Reconnection Cinema

In Kreuzlingen öffnet das ehemalige Lichtspielhaus Apollo seine Türen als neuer Ort für zeitgenössische Kunst und Begegnungen. In der ersten Ausstellung zur Konstanz/Kreuzlinger Kunstnacht wird das Medium Film hier neu interpretiert. Das Line-Up ist überraschend, undergroundig und vielversprechend.
Von  Veronika Fischer
Das Kunstnacht-Team: Tonja Lucia Steppacher, Barbara Haller, Anna Appadoo, Stefanie Scheurell und Jörg Rudolf, v.l. (Bild: Veronika Fischer)

Das Apollo liegt in Kreuzlingen recht zentral, nur ein paar Meter entfernt vom Bahnhof. Ein charmantes Gebäude aus den 1930er-Jahren, das nun schon seit geraumer Zeit leer steht. Die letzte Kinovorführung liegt schon einige Dekaden zurück, zwischenzeitlich war ein Aikido-Club drin.

Vor zwei Jahren wurde das Haus verkauft. Barbara Haller, die in der Region aufgewachsen ist und international als Unternehmerin unterwegs war, hat das Kino gekauft und in den vergangenen Monaten sanft saniert.

Der Flair des Hauses ist immer noch erhalten: grosse Flügeltüren aus Holz und Glas, ein Foyer in Pastelltönen und einem Kassenhäuschen in der Mitte. Der Kinosaal als Herzstück hat jetzt eine Bar bekommen, und eine Tür führt von dort aus in einen kleinen verwunschenen Garten. Im ersten Stock, wo früher die Wohnung der Kinobesitzerin war, sind heute Atelierräume für Kunst- und Kreativschaffende.

Zwischen Berliner Underground und Zürcher Kunsthochschule

«Wir wollen hier miteinander Räume öffnen, Dinge erlebbar machen, neue Horizonte aufzeigen und in ungewohnte Perspektiven denken», so formuliert Barbara Haller ihre Vision. In den vergangenen Monaten hat sie ihr Kunstnacht-Team formiert. Am Start sind nun die Künstlerinnen Stefanie Scheurell und Anna Appadoo, die beide ihre Ateliers im Apollo haben, Tonja Lucia Steppacher, Absolventin der ZHdK kommt von aussen hinzu und der Fotograf Jörg Rudolph kennt das Haus durch Events und Shootings, die er hier organisiert hat.

Für die Kunstnacht haben sie ein Programm zusammengestellt, das nach irgendwas zwischen Berliner Underground und Zürcher Kunsthochschule riecht. Das stillgelegene Lichtspielhaus nimmt das Medium Film wieder auf und spuckt es in die Moderne. Das Thema der diesjährigen Kunstnacht – «bewegt» – wird in einen visuellen und emotionalen Kontext gesetzt.

Im Rahmen der Gruppenausstellung «reconnection cinema» präsentieren regionale sowie internationale Künstler:innen ab Donnerstag bis Ende März ihre digitalen Werke. Das alte Lichtspielhaus wird so zum Spielraum für die Möglichkeiten einer neuen Zeit. Neben dem ehemaligen Kinosaal wird das gesamte Gebäude mit seinen vielen verschiedenen Räumlichkeiten bespielt.

Das Verhältnis von Realität und Virtualität ist vielschichtig, ambivalent und mehrdeutig. Heute hat das Medium Film den Kinosaal weitgehend verlassen und sich über das gesamte digitale Feld verstreut. Entlang dieser Entwicklungen übersetzt das Apollo seine Eröffnungsausstellung neu und zeitgemäss: Videoarbeiten, generative Kunst, Klanginstallationen, Fotografie, Performance und Virtual Reality greifen ineinander.

Gemeinsam ist den diversen Werken das Interesse an den Wahrnehmungsweisen der Schnittstellen von Narration und digitaler Technologie. Auf diese Weise wird das Ineinanderwirken von Technologie, Kunst und Kultur erforscht.

Ein kurzer Programmabriss

Im Programm sind Boyband CHIC, ein Kunstkollektiv, das in Musikvideos von den Mechanismen der Populärkultur erzählt. Dann gibt es den Bieler Fotojournalisten Klaus Petrus, der Fluchtrouten und Polizeigewalt dokumentiert und für sein Projekt «Traces, Places, Faces» mit dem Swiss Press Photo Award ausgezeichnet wurde.

«Reconnecting Cinema»: Ausstellung von 23. bis 31. März, Apollo Kreuzlingen, geöffnet täglich von 11 bis 19 Uhr

Vernissage: 23. März, 18 Uhr
Kunstnacht: 25. März, ab 11 Uhr

Infos und Rahmenprogramm:
apollokreuzlingen.ch/kunstnacht

Das Kollektiv bittelangsam aus Zürich bildet musikalische Klanglandschaften an der Schnittstelle von bildender Kunst und experimenteller Musik. Lulu & Whiskey beleuchten Beziehungen zwischen Lebewesen, die für das blosse Auge unsichtbar sind. Die Multimedia Künstlerin Theres Liechti aus Winterthur zeigt die Zartheit des Lebens, Heile-Welt-Vorstellungen und deren Fragilität in einer Installation an der Fassade des Gebäudes. Und Martina Morger, ebenfalls aus der Region, lässt ihre Arbeiten über Display, Fürsorge und Begehren sprechen.

Bianca Kennedy aus Berlin schafft mit Video, Virtual Reality, Found Footage und Zeichnungen sie Parallelwelten, indem sie gegensätzliche Kontexte umwandelt oder neu kombiniert. Lisa Wintermantel lebt in Berlin und Basel und arbeitet als multidisziplinäre Künstlerin in Skulpturen zu Landschaften wie Audio Visual Installationen und ortsspezifische Performances und interessiert sich für die Fiktion des Alltags und den Erhalt unserer Umgebung.

Das kollektiv333 zeigt in seinem Werk und dann assen sie vom feigenbaum einen Versuch der Anerkennung des identitären Teils, welcher die kirchliche Prägung insbesondere als Frau ausmacht, sowie der Aneignung eigener Bilder der Spiritualität. Celia Längle, ist eine in Zürich lebende Künstlerin mit trans-disziplinärem Hintergrund und entsprechender künstlerischer Praxis. Und Romantic Technology zeigen eine virtuelle NFT-Galerie im Kinosaal und erschaffen darin mit Zukunftstechnologien tanzende Roboter und virtuelle Welten, die sich real anfühlen.

Am Samstag findet im Rahmen der Kunstnacht ein Konzert von Klangmechanik und seinem Instrument «Reactable Live» statt, einer Art Tisch mit greifbarer Benuteroberfläche. Tönt nach Minimal, Detroit oder Melodic-Techno.

Fynn Schmidt und Lukas Hundertpfund, ein Filmproduzentenduo aus Konstanz, fordern Konventionen durch den gezielten Einsatz von Mixed Media heraus. Sie zeigen am Freitag um 21 Uhr ihren Kurzfilm I mit der live Klang-Performance AM von Selina Friedmann. Am Sonntag um 14 Uhr gibt es dann einen Artist-Talk mit der Kunsthistorikerin Maria Larsson.

Technologie und Themen der Gegenwart

Im Feld der digitalen Kunst ermöglicht die Ausstellung eine Auseinandersetzung mit den relevanten Fragen der Gegenwart. Die Künstler:innen wenden die Technologien in ihren Werken nicht nur an, sondern machen sie zum Instrument des Erkenntnisfortschritts. Mit der Fähigkeit zu Kontextualisierung, Verfremdung und Abstraktion eröffnet die digitale Kunst Widersprüche, Assoziationen und neue Perspektiven.

Kuratorin Tonja Lucia Steppacher betont, dass es ihr bei der Auswahl der Künstler:innen um eine grosse Reichweite und Chancengleichheit ging. Sie ist gespannt, welche Dialoge entstehen. Die Künstlerin Anna Appadoo freut sich sehr, dass alle, die sie angefragt hat, sofort zusagten. Und dass sie durch die Unterstützung von Städten, Stiftungen und privaten Sponsorings für alle Beteiligten Honorare zahlen können – was in der Kunstszene leider immer noch nicht selbstverständlich ist.

Stefanie Scheurell träumt von einem neuen Ort im Grenzgebiet, wo sich im Brachland eine Oase auftut für zeitgenössische Kunst im Bereich Video, Installation, Licht, Klang, und Experiment – mit neuen technologischen Ansätzen. Klar ist schon jetzt, dass das Apollo mit diesem Line-Up einen fulminanten Start aufs Parkett legt.

Die Idee der Besitzerin Barbara Haller, dass sie Dinge erlebbar machen möchte, gemeinsam Räume öffnen will und neue Horizonte und Perspektiven aufzeigt, ist schon umgesetzt, wenn man sich nur durch das Programm auf der Website klickt. Wie sich das ganze dann «in Echt» anfühlt? Aufregend… Als würde man ein Online-Date zum ersten Mal treffen. Virtuelles wird real.

Damit ist schon mal eine Anfangsneugier entfacht, und was in diesem Diskurs noch alles möglich ist, erfahren wir ab Donnerstag vor Ort.