«Niemand muss mir sagen, dass der Status quo funktioniert»

Seit sechs Jahren macht Rebecca Meier grüne Politik im Jugendparlament. Bei einer Tasse Kaffee erzählt die 22-jährige ETH-Studentin, welches Argument sie von Älteren nicht mehr hören kann und warum ihr Realpolitik Spass macht. 

Rebecca Meier, fotografiert von Laurin Bleiker.

Re­bec­ca Mei­er kommt aus ei­nem po­li­ti­schen Haus­halt. Ihr Va­ter po­li­ti­sier­te in der FDP, die bei­den dis­ku­tie­ren am Kü­chen­tisch ger­ne ih­re Pro­jek­te und an­ste­hen­de Ab­stim­mun­gen. «Er ist mein gröss­ter Fan und un­ter­stützt mich in dem, was ich ma­che.» Oft tei­le man die Sicht auf die Din­ge. Man ge­wich­te die Ar­gu­men­te nur an­ders. Ge­nau das in­ter­es­siert die Arn­eg­ge­rin auch im Ju­gend­par­la­ment. «Der Aus­tausch zwi­schen un­ter­schied­li­chen Po­si­tio­nen in­spi­riert mich.» Aus­ser­dem ste­he das Ju­gend­par­la­ment selbst für Par­ti­zi­pa­ti­on und po­li­ti­sche Bil­dung. Es sind The­men, die Mei­er be­we­gen und an­trei­ben. 

Spass ha­ben 

Si­mon Gründ­ler von der Ju­so, mit dem sie das Ju­gend­par­la­ment prä­si­diert, kennt sie seit der Schu­le. Er nahm sie 2018 mit ins Ju­gend­par­la­ment, seit­her ist sie da­bei. Erst spä­ter trat sie den Jun­gen Grü­nen bei. Der Kli­ma­streik hat sie zu die­ser Zeit zu­sätz­lich po­li­ti­siert. «Ob­wohl ich ei­gent­lich nicht be­son­ders ger­ne auf De­mos ge­he.» Na­tür­lich sei Po­li­tik auf der Stras­se wich­tig, es ist aber nicht der Ort, an dem sie am liebs­ten po­li­ti­sie­re. 

Junge Politik

Am 16. No­vem­ber hat sich im St.Gal­ler Kan­tons­rats­saal zum 50. Mal das Ju­gend­par­la­ment der Kan­to­ne St.Gal­len und bei­der Ap­pen­zell ge­trof­fen. An­läss­lich die­ses Ju­bi­lä­ums hat Sai­ten sechs Nach­wuchs­po­li­ti­ker:in­nen aus al­len gros­sen Ost­schwei­zer Jung­par­tei­en por­trä­tiert und sie un­ter an­de­rem ge­fragt, wie sie zur Po­li­tik ge­kom­men sind, was sie sich von ihr er­hof­fen und was sie ver­än­dern wür­den.

Fo­to­gra­fiert wur­den die sechs Jung­po­li­ti­ker:in­nen von Lau­rin Blei­ker am Ran­de der Ju­gend­ses­si­on im St.Gal­ler  Kan­tons­rats­saal. Blei­ker, 2003, ist selb­stän­di­ger Fo­to­graf und Vi­deo­pro­du­zent aus St.Gal­len. Auf­ge­wach­sen ist er im Tog­gen­burg.

Ist das über­par­tei­li­che Kom­pro­mis­se­fin­den denn spas­si­ger? «Nicht im­mer, doch der Switch in die Re­al­po­li­tik ist wich­tig, wenn wir die Ge­sell­schaft wei­ter­brin­gen wol­len», sagt Mei­er. Spass hat sie aber durch­aus: Dis­ku­tie­ren kön­ne lust­voll sein, das Rin­gen um das bes­te Ar­gu­ment sei oft ein auf­schluss­rei­cher Pro­zess. Am meis­ten Freu­de hat sie je­doch, wenn Lö­sun­gen ge­fun­den wer­den. «Wenn ich mit je­man­dem aus ei­nem an­de­ren po­li­ti­schen La­ger Kom­pro­mis­se fin­de, gibt mir das ein gu­tes Ge­fühl.» 

Doch manch­mal for­dert das auch, ei­ge­ne Po­si­tio­nen zu re­vi­die­ren. Im­mer noch spas­sig? «Ja, denn dann ler­ne ich ja was! Auch das ist ein Wei­ter­kom­men.» Und Kri­tik aus­hal­ten zu kön­nen, sei ein Stück weit auch ein­fach Übungs­sa­che. 

Grü­ne Po­li­tik in der Schweiz, neue Lö­sun­gen für mehr Kli­ma­schutz und Fort­schrit­te in der En­er­gie­po­li­tik: Mei­er ge­steht, dass bei den ak­tu­el­len po­li­ti­schen Mehr­hei­ten na­tür­lich vie­les nicht mög­lich ist. Es sei des­we­gen zen­tral, auch klei­ne Er­fol­ge zu fei­ern: ver­hin­dern oder Mi­ni-Schrit­te in die rich­ti­ge Rich­tung ma­chen. Auch das Ein­brin­gen von neu­en The­men ge­hört zu Er­fol­gen da­zu, wie in der Stadt St.Gal­len zum Bei­spiel mit der «Sex? Aber safe»-In­itia­ti­ve. Die­se for­dert, dass Tests für se­xu­ell über­trag­ba­re Krank­hei­ten für Jun­ge gra­tis sein sol­len. «Schon bei der Un­ter­schrif­ten­samm­lung konn­ten wir der Be­völ­ke­rung ein wich­ti­ges The­ma nä­her­brin­gen», sagt Mei­er. «Das ist be­reits ein Er­folg.» 

Ge­gen ver­al­te­te Denk­wei­sen 

Po­li­tik wird vor al­lem von äl­te­ren Men­schen ge­macht. Mei­er sieht hin­ge­gen die Jun­gen in der Ver­ant­wor­tung. Aber nicht nur. «Ge­wis­se Struk­tu­ren in der Ge­sell­schaft ma­chen es den Jun­gen auch nicht ge­ra­de leicht, sich po­li­tisch zu en­ga­gie­ren. Die Al­ters­gren­ze beim Stimm- und Wahl­recht zum Bei­spiel.» Bei po­li­ti­schen Ent­schei­den wür­den die Jun­gen nur sel­ten ge­fragt. Oft hö­re man auch, Jun­ge hät­ten ger­ne Ten­den­zen zu ra­di­ka­len Po­si­tio­nen. Mei­er er­klärt sich die­sen Vor­wurf so: «Jun­ge fra­gen sich, was sie ge­nau wol­len und wie sie da­hin kom­men. Äl­te­re fra­gen sich halt lie­ber, was sie mit den vor­han­de­nen Mög­lich­kei­ten tun kön­nen.» 

«Äl­te­re tun jun­ge Ideen ger­ne als Ex­pe­ri­men­te ab.» Ei­ne Beh­haup­tung, die Mei­er nicht ger­ne hört: «Nie­mand muss mir sa­gen, dass der Sta­tus quo funk­tio­niert.» Es soll­te um die Pro­ble­me und Lö­sun­gen ge­hen. Dass die Jun­gen teils mehr Vor­stel­lungs­kraft und neue Ideen hät­ten, könn­te auch für die Re­al­po­li­tik in­ter­es­sant sein. «Ich sa­ge nicht, dass die For­de­run­gen von jun­gen Men­schen im­mer gut um­setz­bar sind. Das Pro­blem ist aber, dass sie oft nicht ein­mal ge­hört wer­den.»