Raubkunst zurückgeben! Aber wie?
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«Ohne Macron wären wir nicht hier», sagte Hans Fässler, Historiker und politischer Aktivist. Der französische Präsident hatte nämlich Ende 2017 in Ouagadougou, Burkina Faso, verkündet, in fünf Jahren müssten die Voraussetzungen erfüllt sein, um das gestohlene afrikanische Erbe zurückzugeben. Damit müsse man ihn beim Wort nehmen, betonte Fässler im Historischen und Völkerkundemuseum Sankt Gallen auf dem Podium. Das Gespräch mit dem Titel «Die Benin-Bronzen sind nur der Anfang» lockte gut 50 Personen ins Museum, trotz sehr schönem, sehr warmem Februarsonntag.
Macrons Ankündigung ist vor allem auch im deutschen Raum breit debattiert worden. Macron hatte einen Bericht in Auftrag gegeben, der im November 2019 in deutscher Übersetzung erschienen ist unter dem Titel: Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter (Matthes & Seitz, Berlin). Diesen Bericht von Felwine Sarr und Bénédicte Savoy könne man nun als Handlungsgrundlage benützen, empfahl Fässler mit Nachdruck.
Ein lebenslanger Schock
Charles Uzor, Komponist, 1968 in Folge des Biafra-Kriegs als Siebenjähriger in die Schweiz gekommen, sagte auf dem Podium: «Als Afrikaner, der ich immer noch bin, hat man in Europa einen lebenslangen Schock, nämlich das Gefühl von Ungenügen und Minderwertigkeit.» Das bringe man fast nicht weg. Für ihn ist also wichtig: Afrikanisches Kulturgut, das sich Europa einverleibt hat, muss zurückgegeben werden, unbedingt – auch mit dem «Risiko», dass in den Herkunftsländern mit den Kunstobjekten nicht nach europäischer Manier umgegangen werde.
Ausserdem brachte Uzor die von den Nazis geraubte Kunst aus jüdischem Besitz ins Gespräch. Die jüdische Gemeinschaft habe sehr effektiv mittels Sammelklagen gehandelt, um die Restitutionen zu erwirken. Dieses gemeinsame Vorgehen fehle den Afrikanern.
Alle Objekte sind online
Achim Schäfer, Vizedirektor am HVM, betonte, dass Museumsfachleute sich schon lange mit Provenienzforschung und Restitution von Kulturgütern befassten, gerade auch das kleine Sankt Gallen – deutlich bevor Macron sie medienwirksam publik gemacht habe. Das HVM halte sich an die Richtlinien des internationalen Museumsrates ICOM. Und zurzeit strebten die Schweizer Museen eine nationale Strategie an, was die Rückgabe von Werken aus Nigeria betreffe. Bis jetzt habe das HVM keine Anfragen aus Afrika erhalten, dies «obschon alle Objekte online gesetzt sind».
Fässler erwähnte ausserdem die Einfache Anfrage von Stadtparlamentarier Gallus Hufenus (SP) in der Sache der Benin-Bronzen, auf die der Stadtrat zu wenig klar, ja widersprüchlich geantwortet habe. Uzor und Fässler wurden nochmals deutlich: Auch wenn es keine Anfragen aus den Herkunftsländern gebe, müssten alle unrechtmässig erworbenen oder geraubten Objekte zurückgegeben werden.
Als Beitrag zur Raubkunstdebatte zeigt das Kinok St.Gallen den Dokumentarfilm Der Geist ruft aus der Ferne. Er erzählt, wie die bolivianische Botschafterin im Historischen Museum Bern die als verschollen geltende Staute der Andengottheit «Illa de Ekeko» entdeckt. Anschliessend Diskussion mit Hans Fässler, Achim Schäfer und Regisseur Rainer Hoffmann:
Do, 13. Februar, 18.30 Uhr.
Kulturvermittler Richard Butz hatte ein «Demo-Objekt» auf dem Podium dabei: eine etwa 40 cm hohe, hölzerne Bundu-Maske, die er in seinen jungen Jahren während eines sechsjährigen Aufenthalts in Sierra Leone erstanden hatte. Er plädierte für eine Wiedergutmachung auf Augenhöhe, es ergäben sich Chancen für Zusammenarbeit zwischen europäischen und afrikanischen Museen. Das heisst: Für Restitutionen von Objekten à tout prix kann er sich nicht erwärmen.
Ausgehend von den zwei titelgebenden Benin-Bronzen nannte Butz Zahlen, auch zum Vergleich: Sankt Gallen besitze etwa 6000 Objekte, das Museum Rietberg in Zürich ungefähr 320’000. (Dort präsentiert man zurzeit in Zusammenarbeit mit kongolesischen Künstlerinnen und Künstlern die Ausstellung «Fiktion Kongo – Kunstwelten zwischen Geschichte und Gegenwart».)
Fässlers Coup mit der Krüger-Strassentafel
Hans Fässler wartete zum Schluss mit einer Überraschung auf: Er präsentierte eine blaue, weissumrandete Tafel, beschriftet mit «Krügerstrasse» – und erinnerte damit an die Intervention von 2009, die bewirkt hatte, dass das städtische Tiefbauamt die Krügerstrasse im Lachenquartier in Dürrenmatt-Strasse (hinweisend auf Friedrich Dürrenmatts Werk Die Virus-Epidemie in Südafrika) umbenannte. Fässler hatte zusammen mit der Anti-Apartheid-Bewegung (AAB) die Zuständigen davon überzeugt, dass es St.Gallen schlecht anstehe, eine öffentliche Strasse nach dem führenden, burischen, weissen und rassistischen Südafrikaner Paul Krüger (1825 – 1905) zu benennen.
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Hans Fässler übergibt die originale Strassentafel an Museums-Vizedirektor Achim Schäfer, links auf dem Podium Charles Uzor, rechts Richard Butz. (Bild: pd)
Auf diese Aktion von 2009 wird im Museum in einer Vitrine hingewiesen, und zwar mit einer 2013 angefertigten Replik der besagten Strassentafel – denn eine Originaltafel war 2009 nicht mehr auffindbar. Am Sonntag, 9. Februar 2020 aber hält Fässler eine solche Tafel in Händen, die ihm zugetragen worden sei, und übergibt sie als Geschenk Achim Schäfer – kleiner Coup des gewieften Politaktivisten Fässler.
Wir Postkolonialistischen
Vermutlich teilten nahezu alle der Anwesenden die Meinung, Raubkunst sei zurückzugeben. Leicht gesagt, denn direkt betroffen ist man als Privatperson ja nicht. Oder etwa doch? Frage einer Besucherin an Richard Butz: Geben Sie Ihre Bundu-Maske an Sierra Leone zurück? Butz stutzte kurz, er wirkte überrascht: Wie soll er als Privatperson damit umgehen?
In der Sonderausstellung «Bricolage: wild – exotic – different» visualisieren die Kunstschaffenden Brigit Edelmann, Stefan Rohner und Andy Storchenegger ihren Umgang mit den Themen Kunst und Ethnologie.
Historisches und Völkerkundemuseum St.Gallen, bis 1. März 2020
An dieser Stelle fragte sich vielleicht die eine oder der andere im Publikum: Was steht eigentlich seit Jahren bei mir zuhause im Büchergestell, auf dem Büroschrank? Ist das Erbstück vom Onkel authentische Afrika-Kunst, also vermutlich nicht rechtmässig erworben? Oder doch nur sogenannte Airport Art, an irgendeinem afrikanischen Flughafen gekauftes Souvenir?
Hans Fässlers Vorschlag, in Sachen Benin-Bronzen einen Brief ins Herkunftsland Nigeria zu schreiben, stiess beim Präsidenten des Stiftungsrats Arno Noger auf offene Ohren. Fässler liess eine ganz praktische Frage dabei offen: An wen soll denn ein Brief in Sachen Rückgabe der Benin-Bronzen adressiert werden?
Auch ihm war klar, dass eine nicht geforderte Rückgabe sehr aufwendig werden könnte – das dürfe das Museum aber nicht davon abhalten, sie in Angriff zu nehmen. So bot er denn dem Stiftungspräsidenten Arno Noger an, einen Brief nach Nigeria zu entwerfen. Gerade das HVM mit einer Stiftung als Trägerin sei doch flexibel und selber verantwortlich; hierzulande sei man nicht so etatistisch wie in Frankreich.