Rand und Mitte – eine Frage des Standpunkts
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«Je länger Sie da arbeiten, je mehr Sie verdienen, je mehr Zeit Sie im Büro verbringen, desto weiter weg rückt alles andere. Irgendwann haben Sie das Gefühl, dass Sie die Welt da draussen nicht mehr brauchen. Und dann müssen Sie auch nicht mehr darüber nachdenken, ob das, was Sie tun, irgendwelche Konsequenzen in dieser Welt da draussen haben könnte. Besonders plastisch können Sie sich das vorstellen, wenn Sie hoch oben aus einem der gläsernen Banktürme runterschauen auf die ameisengrossen Leutchen da unten auf der Strasse, die keine Ahnung haben, wie das Spiel gespielt wird. Das ist dann das Gefühl: Ich bin Master of the Universe.»
Der Ex-Banker besucht Schönengrund
Der so spricht, der Deutsche Rainer Voss, ist unlängst aus der Bankenwelt ausgestiegen und hat seine Erfahrungen in einem Dokumentarfilm verbreitet: Master of the Universe. Voss und sein viel diskutierter Film werden an der Kulturlandsgemeinde vom 3. und 4. Mai in Schönengrund zu sehen und zu hören sein – samt der Frage, die dieses Jahr über dem ganzen Anlass steht: Mitte oder Rand? Ist man dort, im Zentrum der Finanzströme, tatsächlich in der Mitte des Universums, im Mainstream, wie die Spinne im Netz – oder nicht vielmehr an den Rand der realen Realität geraten? Weit weg von jener Wirklichkeit, wie sie für die «ameisengrossen Leutchen da unten» gilt?
«Mitten am Rand» fragt die Kulturlandsgemeinde in Debatten, Kunstaktionen und Spielen nach Zentrum und Peripherie, Einmittungen und Ausgrenzungen. Die erste von drei Debatten (am Samstag um 10.30 Uhr) dreht sich um den Raum und seine Besetzung, mit der Architektin Astrid Staufer, den Raumplanern Gallus Hess und Anna Schindler und Künstler Georg Gatsas prominent besetzt. Die Fragen lauten: Wer definiert die Perspektiven und die Hierarchie des Blicks, lokal wie global? Was macht die Randlage möglich, wie baut die Mitte?
Die zweite Runde (Samstag 13.30 Uhr), mit der Psychologin Barbara Auer, Jurist Peter Moesch, Woz-Journalist Kaspar Surber und dem Zürcher Theater-Hora-Leiter Michael Elber, beschäftigt sich mit sozialen Grenzziehungen: Wann geraten Menschen und Themen an den Rand und kippen weg? Wer mittet ein und schliesst aus? Die dritte Runde schliesslich (Beginn 17 Uhr) ist individuell-biografisch angelegt und thematisiert lebensgeschichtliche Umbrüche – mit Ex-Banker Rainer Voss, der Ludwig-Hohl-Forscherin Anna Stüssi, dem St.Galler Buchantiquar Louis Ribaux und dem Zürcher Polizeivorstand Richard Wolff.
Zwei Kantone, ein Ort
Künstlerische Beiträge kommen vom Fotografen Georg Gatsas, der die Londoner Musikszene dokumentiert, von den Schauspielerinnen Jeanne Devos und Karin Enzler und vom Künstlerkollektiv Faller Mieth Stüssi Weck, das kurzerhand ein Loch zur Mitte der Erde gräbt.
Schönengrund, der diesjährige Festivalort, ist selber randständig in geografischer Hinsicht: Zusammen mit Wald SG bildet die Ausserrhoder Gemeinde mit ihren 500 Einwohnern einen Doppelort samt Kantonsgrenze mittendurch. Passend zum Thema kooperiert die Kulturlandsgemeinde 2014 mit Zürich – die Hauptveranstaltung vom Sonntag, mit einer Rede der Schriftstellerin Zsuzsanna Gahse, wird live an die abgelegene Zürcher Bahnhofstrasse übertragen. Vom Rand in die Mitte. Oder umgekehrt.
Kulturlandsgemeinde Appenzell Ausserrhoden: Samstag, 3. Mai, von 10 bis 22 Uhr und Sonntag, 4. Mai, ab 11 Uhr, Mehrzweckgebäude Schönengrund
Infos: kulturlandsgemeinde.ch