Radikale Zeitdokumente

Die Ausstellung «Güllens grafisches Gedächtnis» in der Hauptpost widmet sich im Besonderen der musikalischen Punkbewegung der 80er-Jahre. Und da hauptsächlich, eigentlich auch notgedrungen, einer ganzen Reihe von Punkkonzerten und Artverwandtem in der St.Galler Grabenhalle. Sie baut besonders auf dem grossen Fotofundus von Chrigel Braun auf. Dieser begleitete auf vorzügliche Weise viele legendäre Konzerte in der Grabenhalle der 80er-Jahre. Einige dieser Fotos sind auch im Buch Güllens Grünes Gemüse zu sehen. Verwoben wird dieses Fotomaterial hauptsächlich mit den Konzerten der Veranstalter:innen Teufelskraut, Skunk und Spaice.
Entstanden war diese Veranstaltungspower im Dunstkreis von Bro Records, da gingen einige denkwürdige Konzerte über die Bühne! Dazu gesellte sich als besonders umtriebiger Veranstalter Jogi Neufeld. Musikalisch sozialisiert wurde der im Rheintal lebende Musikfreak und dann später auch bei Bro Arbeitende durch erste Punkkonzerte im Vorarlbergischen. Und wie es sich gehörte, gründete er gleich noch eine eigene Band und ein Fanzine namens «Skunk», später «Shrunk». Dadurch entstanden schnell internationale Szenekontakte und musikalische Beziehungen.
Packender Blick in ein Stück Kulturgeschichte
Jogi Neufelds «Spaice Musik» war verantwortlich für eine grosse Anzahl Konzerte in der Grabenhalle. Darüber gab er im Rahmen der Vorstellung des Buches Güllens Grünes Gemüse interessante Einblicke und Hörbeispiele im Schwarzen Engel. Dieser Abend sowie das nun in der Vadiana befindliche Swisspunk- und Wave-Archiv von Lurker Grand sind wichtige Bestandteile für das Zustandekommen der jetzigen Ausstellung in der Hauptpostbibliothek.
Eine Fülle von Plakatmaterial und auch der erwähnte Fotoschatz dienten als Grundlage für den höchst packenden Blick in ein Stück St.Galler Kulturgeschichte. Untermauert wird die Ausstellung durch Texte von Mitveranstalter:innen und Besucher:innen der diversen Konzerte. So ergibt sich ein tiefer Blick in einen Teil der damaligen Subkultur und der musikalischen Punkbewegung.
Ausstellung «Güllens grafisches Gedächtnis»: 5. Mai bis 3. Juni, Bibliothek Hauptpost St.Gallen
Vernissage und Präsentation der Publikation Güllens Grabenhalle Gigs 1984–1990: 4. Mai, 19 Uhr, Café St-Gall. Mit Jogi Neufeld, Lurker Grand und Christian Braun
Erstaunlich zu sehen, was in den 80er- bis Anfang der 90er-Jahre an vielfältigen und bedeutenden Konzerten zu bewundern war. Doch wir dürfen nicht übersehen, dass diese Ausstellung nur einen Teil der damaligen Grabenhalle-Konzerte sichtbar macht. Auch andere Veranstalter:innen waren und wurden tätig, um nur die Beispiele AfriKaribik, Matias Stebler, Daniel Steuri oder Sauton zu nennen. Im Rückblick immer wieder erstaunlich, was es alles zu hören und zu erleben gab. Und wie sich verschiedene Subkulturen an verschiedenen Konzerten einfanden.
Auch die damalige Gestaltung und Grafik sind bemerkenswert, seien es Plakate, Flyer oder Fanzines. Und das noch im nichtdigitalen Zeitalter. Art und Methode von deren Herstellung war noch eine völlig andere als in der heutigen Zeit. Dies ist an dieser Ausstellung gut zu spüren und zu sehen.
Einblicke in politische und kulturelle Kämpfe
Die ganze Vielfalt der dokumentierten Konzerte von Teufelskraut, Skunk, Spaice und Co. wird in einem zur Ausstellung erscheinenden gefalzten mehrseitigen Fanzine zu verfolgen sein. Darin sind auch die Namen der engagierten Veranstalter:innen, der auftretenden Bands und Texte zum Verlauf der Konzerte enthalten. Damit wird ein Teil der Grabenhalle-Konzertgeschichte wertvoll aufgearbeitet. Die Publikation nennt sich Güllens Grabenhalle Gigs 1984–1990 und wurde von Jogi Neufeld, Lurker Grand, Christian Braun und weiteren zusammengestellt. Diese Publikation ist ein wertvoller Begleiter zum Eintauchen in die Ausstellung.
Ein anderer, nicht unwichtiger Teil der Ausstellung ist der gezeigte Querschnitt durch Polit-, Underground- und Kulturzeitschriften, welche in St.Gallen rauskamen oder in der Region verankert waren. Sie stammen aus der Sammlung der Vadiana, so zum Beispiel «Roter Gallus», «Gassenblatt», «Schleppscheisse», «Grabenzeitung», «Sequenz», «Gaff» und selbstverständlich Saiten. Dazu gibt es eine spezielle Vitrine und prägnante Kurzbeschriebe zu den gezeigten Publikationen.
Auch da lohnt sich der Blick in die verschiedenen Gestaltungs- und Inhaltsformen, aber auch der Blick in politische und kulturelle Kämpfe. Sei es für Freiräume, für gesellschaftliche Veränderungen oder für den radikalen Aufbruch. Der Blick und die Auseinandersetzung mit den gezeigten Publikationen, ja Zeitzeugnissen leistet auch Hilfe zur Offenlegung diverser Produktionsmethoden. Dabei sind die Ansätze sehr verschieden: Neue Gestaltungsmethoden treffen auf radikale Agitation. Vielfalt von Bild und Text auf Bleiwüsten. Lust auf Frust. Alles Zeitdokumente, die auf verschiedene Weise und mit verschiedenen Mitteln auf Brennendes, Bewegendes, Unterdrücktes und Zukünftiges hinweisen.