Radikale Minderheit
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Sind Sie gut im Frühling angekommen? Ja? Das freut mich, denn nicht allen geht es so.
Einer kleinen, radikalen Minderheit in dieser Stadt gefällt es, eine Frühjahrs-Offensive für ein Parkhaus am Schibenertor zu fahren. Genau, es geht um jenes Parkhaus, das ausser besagter Minderheit niemand von uns will.
Ein guter Anlass, um wieder einmal im reichhaltigen städtischen Fundus der guten Vorsätze und Absichtserklärungen zu wühlen.
«St.Gallen strebt einen stadtgerechten Verkehr und keine verkehrsgerechte Stadt an», steht unter dem Titel «Menschengerechter Verkehr» im Leitbild der Stadt St.Gallen. Ein Satz, fast wie vom klugen Stadtplaner Jan Gehl, der es noch etwas pointierter so fomuliert: «Stadt wird ganz allgemein gefördert, wenn ein Grossteil des Nahverkehrs als ‹grüne Mobililät› stattfindet, das heisst, wenn ihre Einwohner mehrheitlich zu Fuss, mit dem Rad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind. Diese Verkehrsarten bieten der lokalen Wirtschaft Marktvorteile und wirken umweltfreundlich, da sie Ressourcen sparen.»
Jan Gehl: Städte für Menschen. Jovis Verlag GmbH, Berlin 2015.
Mehr zu den Aalborg Commitments: sustainablecities.eu
Also das genaue Gegenteil dessen, was unsere radikale Minderheit behauptet. Flanieren ist verkaufsfördernd! Da stürzen tradierte Denkmuster ein und machen vielleicht der Fantasie Platz. Was wäre, wenn man sich künftig bei der radikalen Minderheit nicht wortreich für 134 öffentliche Parkplätze, sondern für 134 Paketbotinnen und -boten einsetzen würde, die den Leuten ihre Einkäufe auf Wunsch aus der komplett verkehrsbefreiten Innenstadt nach Hause lieferten, oder von mir aus auch in ein bestehendes Parkhaus am Rande der Innenstadt?
Damit wäre St.Gallen auch wieder in guter Position, um die Aalborg Commitments zu erfüllen, die die Stadt 2005 unterzeichnet hat und wo es unter Verpflichtung 6 «Verbesserte Mobilität, weniger Verkehr» heisst, man werde daran arbeiten, den «Anteil der Wege, die mit öffentlichem Nahverkehr, zu Fuss oder per Fahrrad zurückgelegt werden, zu erhöhen». Da helfen wir doch gerne mit, indem wir das Schibenertor grün mobilisieren (und dabei gleich die Migros-Brache kulturell zwischennutzen).
Nun denn, auf zum Flanieren.
Dani Fels, 1961, ist Dozent an der FHS St.Gallen und Fotograf. Er schreibt monatlich die Stadtkolumne in Saiten. Dieser Beitrag ist aus unserem Maiheft.