Quarantänetipp 22: Menschwerdung auf Mundart

D Robo Religion von Kaktus Neus ist unser Quarantänetipp für alle, die mehr wollen als drei Akkorde und Krach: Nerdet euch hinein in die Geschichte über den Roboter, der leben will, in Kaya Guggenheims Poesie und Ambient-Musik. Von Stefan Böker
Von  Gastbeitrag
Illustration: Dario Forlin

Maschinenmenschen sind ein Dauerbrenner in der Pop-Kultur. Wir haben den Terminator auf seinem Weg von der seelenlosen Killermaschine zum Familienvater begleitet. Wir haben mit Dolores Abernathy mitgefiebert, als sie die Hosts in Westworld gegen die Parkbesitzer führte. Ein Tränchen verdrückt, als David, der junge Mecha aus A.I., die Liebe seiner Mutter suchte. Und uns gegruselt, als ein anderer David in Alien: Covenant barfuss Gott spielen wollte.

D Robo Religion von Kaktus Neus erscheint heute auf allen gängigen Online-Plattformen.

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Mensch und Maschine, wo fängt das eine an und wo hört das andere auf? Der Schlagzeuger von Shattered Mind Machine hat sich auf seiner neuen Solo-EP mit genau dieser Frage beschäftigt. Zu sphärischen, elektro-akkustischen Soundlandschaften rezitiert er Gedichte über einen Roboter, der eine Seele entwickeln muss, um aus seinem mechanischen Gefängnis auszubrechen. Musikalisch stellt Kaya Guggenheim dabei seine Faszination für szenische Musik unter Beweis, seien es Werke der Klassik oder Filmsoundtracks. Grundstein der EP sind experimentierfreudige Aufnahmen, an denen er schon als Jugendlicher gebastelt hat. Die fünf Songs der EP hat AuGeil bereits im September letzten Jahres veröffentlicht.

Narrative Live-Lyrik

Mit ruhiger, emotionsloser Stimme erzählt Guggenheim die Story vom Durchbrechen der Geischterwand, auf Mundart, untermalt von diesen bereits veröffentlichten Aufnahmen. Anlässlich der Plattentaufe auf dem Winterthurer Kunstfestival Mit Vorschlaghammer und Pinzette trug er seine Verse erstmals live vor. Er habe diesen zweiten Veröffentlichungsschritt als nötig empfunden, denn die intendierte Geschichte von der Menschwerdung trotz Schaltkreis liess sich nicht mit Musik allein erzählen.

Das ischs Endi vonre Legende
De Aafang vode Liebi und de Ustritt us de Gfahr
S Verlah vom Kinderzimmer
D Gschicht vode Transformation vome Impuls, me Signal, zunre Seel

Physisch zu erstehen gibt es Robo Religion nicht, die Songs stehen digital auf allen gängigen Plattformen zur Verfügung. Allerdings hat Kaya Guggenheim die Gedichte künstlerisch von Hand niedergeschrieben. In limitierter Stückzahl gibt es diese Notizbücher zu kaufen; später soll eine gedruckte Auflage folgen. Eine physische Veröffentlichung der Musik sei heutzutage obsolet, findet der Künstler: «Vinyl und CDs wären edel, aber notwendig oder relevant, um gehört zu werden, sind sie nicht.»

Das Frauenfelder AuGeil-Kollektiv beweist mit seinem neuen, ungewöhnlichen Release einmal mehr die Genre sprengende Vielfalt des Labelprogramms. Dahinter verbirgt sich eine unbedingte Leidenschaft für Musik, die ansteckend ist.

Kaya Guggenheim rezitiert die Gedichte live in Winterthur. (Bild: pd)