«Punk ist geil, weil es einfach ist»

Samstagabend vor dem Schwarzen Engel in St.Gallen. Lauro Carisch, Elia Frei und Flurin Gschwend stehen vor der Beiz und warten auf Marius Hehli, den vierten im Bunde. Zusammen nennen sie sich Bear Pit – Irrenhaus – und wollen über ihr neues Album sprechen. Der Engelgarten ist gut gefüllt, die meisten kennen sich an diesem Abend, wir setzen uns an einen freien Tisch und holen Bier & Cola. Die Jungs verteilen ein paar Flyer für ihre Plattentaufe.
Saiten: Diesen Samstag ist es soweit, ihr tauft euer «Baby». Wie war es für euch, das erste Album aufzunehmen?
Lauro Carisch: Das war en huere Ritt!
Marius Hehli: Ein riesen Ritt war es. Super geil, aber schon auch streng und aufwändig.
Elia Frei: Und es hat auch sehr viel Spass gemacht. Am Anfang war es einfach mal ein Ausprobieren, bis man weiss, wie es funktioniert.
MH: Was man vielleicht erwähnen sollte ist, dass wir – abgesehen vom Mastering – alles selbst gemacht haben. Wir sind nicht ins Studio gegangen, sondern haben alles allein aufgenommen. Wir haben im Oktober begonnen und jetzt ist es fucking August.
EF: Am Anfang war das Ziel für den Relase mal so Neujahr.
Flurin Geschwend: Jetzt ist noch ziemlich viel gelaufen, wir hatten dann irgendwann das Zeugs im Kasten und jetzt alle Tracks beieinander.
Ihr habt die Songs zuhause aufgenommen?
EF: Yep, Zuhause übers Interface auf den Laptop und dann mit Garageband die Spuren zusammengemischt, ganz simpel.
LC: Den Zeitaufwand haben wir dabei schon ziemlich unterschätzt. Du nimmst da mal was auf und dann bist du nicht zufrieden oder findest «yeah, das tönt geil, machen wir dort noch den und den Effekt rein» – so kann man schon viel Zeit verplempern. Aber schlussendlich ist es eigentlich easy geil rausgekommen, finde ich. Früher hattest du keine andere Wahl, als ins Studio zu gehen.
EF: Und dann musstest du noch huere viel Geld zusammenschaufeln.
LC: Genau. Und wenn du heutzutage bereit bist, ein bisschen Zeit zu investieren, kannst du die Sachen selber machen, und das ist sowieso ein Konzept, wo wir fanden, wir machen so viel wie möglich selbst.
MH: Ich finde, es hat sich sehr gelohnt, die Platte so zu machen, auch wenn wir qualitativ nicht an Studioalben herankommen werden. Aber das ist eben auch geil. Es ging schon auch darum, dass wir diesen Prozess des Albumschaffens erlernen konnten.
Wie lange gibt es Bear Pit schon?
EF: Bis vor paar Monaten hatten wir noch ein fünftes Mitglied, Raphael, ein Jugendkollege und Nachbar von Marius…
MH: Nachbar?
EF: Fast Nachbar, ja halt aus dem gleichen Kaff…
LC: Beide aus Mörschwil!
EF: … und Raphael hat mich dann angehauen, dann haben wir zu dritt ein paar Sessions gehauen, es kam noch eine Bassistin dazu, Henrietta, und dann suchten wir einen Sänger und haben Lauro gefunden, der mit Marius an die Wirtschaftsmittelschule ging. Und dann hat alles zusammen gepasst. Henrietta hat uns irgendwann wieder verlassen. Und dann haben wir glücklicherweise Flurin gefunden.
FG: Also ich habe mich eigentlich selbst vorgeschlagen.
MH: Zuerst haben wir uns «Weak Hand» – schwache Hand – getauft.
EF: …häufig links übrigens.
MH: Und dann haben wir das aber irgendwie überdacht, weil alle dachten, wir hiessen entweder «Weekend» oder «We can’t».
LC: Als ich erstmals mit Raphi und Marius zusammen gejammt habe, waren wir alle so auf dieser Metallcore-Schiene und sagten uns dann aber: Punk ist geil, weil es einfach ist. Es funktioniert einfach, und so gingen wir dann immer mehr in diese Richtung – aber natürlich auch, weil wir eh schon eine Punkaffinität hatten.
EF: Aber es war schon ein langer Prozess, bis wir uns fanden.
LC: Punk ist für uns einfach die Art, uns auszudrücken. Wir brauchten eine Identität und Punk hat eine angeboten.
MH: Wir haben schon irgendwann gemerkt, dass wir mehr ausdrücken möchten mit unserer Musik, das stand schon auch im Zentrum, wenn wir über die Bandentstehung sprechen wollen.
Was inspiriert euch als Band?
FG: Ist es nicht schon Motivation genug, wenn du siehst, wie rund um dich herum auf der Welt alles scheisse läuft und dann zu sagen, schaut mal hin?
MH: Und rein musikalisch holen wir uns wohl Inspiration aus verschiedenen Ecken, es kommt dann alles zusammen. Wir jammen oft einfach zu einer Idee und schauen, was sich daraus machen lässt.
EF: Was ich eine mega coole Entwicklung finde, dass wir uns musikalisch so gut kennen, um einfach losspielen zu können.
Euer Album heisst Oi!topie. Wie schaut denn eure Utopie aus?
LC: Ich habe mal auf Wikipedia gelesen, dass Utopie sich aus dem altgriechischen Wort Oitopos ableitet, und da Oi! ein Punk-Subgenre ist, fanden wir das passend. Von den Texten her kann man wohl nicht sagen, dass wir ein Konzeptalbum herausgebracht haben, aber was man von unserer Band wohl sagen kann, ist, dass wir alle auf eine Art Utopisten sind und uns die Welt in einem utopischen Zustand vorstellen können und wollen.
MH: Analog zu unserem politischen Willen als Band ist natürlich unsere Utopie, in einer gerechteren und friedlicheren Welt zu leben. Natürlich wirds dann schnell wieder unterschiedlich, weil die Utopie für jeden auch etwas anders aussieht. Aber so der Grundgedanke der Utopie, sich zu träumen zu wagen und auch nicht immer realistisch zu denken, finde ich einen geilen Deckmantel für das ganze Album.
FG: Hey sorry, alle unsere Gläser sind leer, wollen wir mal schnell nachfüllen?
Ich mache mich auf zur Bar und hole Bier für alle, in der Zwischenzeit setzt sich Jan Räbsamen vom Hiphop-Duo ProjectET, das auch schon zusammen mit Bear Pit im Engel spielte, zur Band und fragt nach der Plattentaufe. Das Mikro läuft weiter.
Jan Räbsamen: Freut ihr euch auf die Taufe?
LC: Jaja, das wird witzig. Ich hoffe, meine Leber steht das durch. Wir müssen einfach schauen, dass das Katermittel nicht wieder verschwindet wie beim letzten Mal. Bei unserem ersten Engelauftritt hatte ich eines dabei und ich fühlte mich so verdammt smart und dann wurde das einfach unten in der Beiz eingeschlossen, als wir schon oben im Hotelzimmer waren. Am nächsten Morgen gings uns allen nicht so gut.
Was habt ihr denn so für Katermittel?
LC: Schüsslersalz!
FG: Und Basetabletten.
Ihr äussert euch gegen Xenophobie, Volksparteien, Kapitalisten, Militär. Was geht euch denn sonst so auf den Geist?
FG: Das Patriarchat.
EF: Sexismus.
MH: Dass nichts gegen den Klimawandel gemacht wird. Klimalügnerei.
LC: Die Ladezeiten bei Youtube.
MH: Die Werbung bei Youtube.
FG: Die Repression, die herrscht.
EF: Das Konsumverhalten in unserer Gesellschaft.
FG: Es gibt nicht genug Lieder für alles, was uns auf den Sack geht.
MH: Wir gehen auch nicht unbedingt an einen Song heran, indem wir ein Thema im Kopf haben, also nicht immer…
EH: Künftig wohl schon.
LC: Jetzt sind wir glaub genug erwachsen, um das zu machen.
Zwei Tabakpromoter schreiten zu unserem Tisch: «Braucht wer noch Tabak oder Zigaretten, Filter, Papes?»
MH: Genau das meinen wir mit Kapitalismus.
LC: Aber das sind eben auch nur ausgebeutete Proletarier.
MH: Ein weiteres Thema ist die Ausbetung der Arbeiterschaft.
Plattentaufe:
14 Uhr: Workshop und Vorträge von Extinction Rebellion
ab 21 Uhr: Support by Frank. (Jazzy Ska) und anschliessend Plattentaufe Bear Pit
Afterparty mit DJ aus Berlin und DJ 9mm polg
Einer euerer Songs heisst Saufen gegen Rechts. Glaubt ihr, dass die Verpolitisierung von Konsum funktioniert?
LC: Es gab da mal eine Kampagne von Hamburger Kneipen, wo sie überall diese Sticker kleben hatten mit der Aufschrift «Saufen gegen Rechts». Da wussten Faschos und Rechte genau, dass sie sich nicht in diesen Kneipen aufhalten sollten. Unser Merchandise-Boy Tim Weibel hatte mal so einen Button, von daher kam die Idee. Aber in diesem Song stand eigentlich auch eine musikalische Überlegung dahinter, denn wir wollten unbedingt mal einen Song machen, in dem der Chorus in einem Break beginnt, also so à la «Saufen! Saufen gegen Rechts! Tammtammdödelööö.» Ein Teil des Textes kam mir in den Sinn, als es bei mir zuhause läutete und draussen so Sternsinger standen. Die sangen dann so: «Gmeinsam gömmer uf d’Stroos föör äää besserii Wäält» und so fängt dann der Song an – «gemeinsam auf die Strasse für eine bessre Welt, wir sind zwar schon besoffen, zwei Kisten Bier sind kaltgestellt.»
EF: Lauro, du musst uns viel mehr vom Background der Texte erzählen imfall!
LC: Ich fand das einfach eine easy geile Line. Und dann sind da so Kinder vor dir, die das singen in einem ganz anderen Kontext… Die überlegen ja gar nicht, was sie da singen, das war einfach der Text, den ihnen vermutlich die Religionslehrperson gegeben hat.
MH: Ich finde, der Song spiegelt ziemlich gut, was uns auch zu einem gewissen Mass ausmacht: Saufen. Gegen rechts.
Eure Plattentaufe findet genau während dem St.Gallerfest statt, hat das einen bestimmten Grund?
FG: Vielleicht ist es eine Alternative für die Leute, die keinen Bock haben aufs St.Gallerfest und das nicht als Ort sehen, wo man in den Ausgang will. So kann man trotzdem in die Stadt gehen und muss nichts mit dem Ganzen tun haben.
MH: Es war einerseits ein bisschen Datumszwang, weils uns nicht anders ging, aber gleichzeitig soll es natürlich auch ein Gegenpol zum St.Gallerfest sein, das durch und durch kommerzialisiert ist. Bei uns kostet alles nichts und man bekommt Musik und auch politische Bildung.
LC: Ich gehe jetzt wohl so paar Jährchen in St.Gallen in den Ausgang und jedesmal im August ist da der Gedanke: «Fuck, dieses Wochenende ist St.Gallerfest, ja komm, wir gehen einfach nicht raus, machen irgendwas zuhause», denn es ist immer so ein Überdruss. Ich war in meinem Leben nur einmal dort und fand die Stimmung echt nicht geil.
FG: Ja, teils stinkt es echt einfach zu hart nach Testosteron, wenn du dort durchläufst.
Die Plattentaufe beginnt bereits am Nachmittag mit einem Politevent – was genau habt ihr geplant?
FG: Extinction Rebellion wird sich als Verein vorstellen und es wird auch ein bisschen workshopmässig.
MH: Wir wollten die ganze Plattentaufe in einem grösseren Kontext machen und haben deshalb Extinction Rebellion eingeladen, welche sich durch zivilen Ungehorsam für einen Wandel in der Klimapolitik einsetzen.