Problemkinder werden gemacht, nicht geboren

In rund zweieinhalb Stunden erzählt Ben von seinem Leben. Er beschreibt seine Gedanken und Gefühle, erzählt von seinen besten Freunden und seinem Trotz. Er erzählt aber auch über das Leben. So wie er es sieht. Es ist die Geschichte eines Ungewollten, aber auch die Geschichte eines Rebells, der sich niemals mit der Opferrolle zufrieden gibt.
Ben philosophiert nicht, sondern schildert seine Beobachtungen. Beobachtungen, die er als Sechsjähriger im Heim macht oder als 17-Jähriger im Gespräch mit seinem Vormund. Das Leben und Ben passiert im Zug, bei den ersten Drogenerfahrungen und den Ängsten eines Pflegekindes in seinem ersten neuen Heim bei Pflegeeltern.
Vom «Problemkind» in die Kriminalität
Ben lernt früh, dass er sich nur auf sich selbst verlassen kann und entwickelt sich, gefangen in einem lieblosen System, das ihn nur verwalten und versorgen will, zuerst zu einem «Problemkind» und später zu einem «schwererziehbaren» Jugendlichen, der erste Erfahrungen mit Liebe und Drogen macht und dann Stück für Stück in die Kriminalität abdriftet. Seine einzigen Bezugspersonen über die Jahre sind Jasa und Edona.
Vieles spielt in den 90er-Jahren, die Geschichten werden aber nicht chronologisch erzählt. Gerade noch ist Ben sechs Jahre alt und kämpft mit der Einsamkeit im Thurgau und den Regeln in seiner Pflegefamilie. Bereits im nächsten Kapitel geht es um eine (anlasslose) Polizeikontrolle im Alter von etwa 15 Jahren in Zürich.
Man kann es sich als Zuhörerin also nicht allzu gemütlich machen in einem dahinplätschernden Erzählstil. Auch die Länge der einzelnen Kapitel variiert. Mal braucht eine Geschichte aus Bens Leben nur fünf Minuten, um erzählt zu werden, ein anderes Mal sind es elf. Eins bleibt aber gleich, die einzelnen Episoden sind in sich geschlossen.
Die kleinen Sätze klingen nach
Das Leben und Ben könnte als Untertitel auch «Ungleichheit ist nicht nur ein Wort» oder «Problemkinder werden gemacht und nicht geboren» tragen. Denn die Geschichte als solches gleicht in Grundzügen vielen Erzählungen.
Wot Sefak: Das Leben und Ben. Mitwirkende: Dana Ramthun, Amazing July, Pat MC, Philippe CRF Rieder, Paula Deme, Wot Sefak, erschienen bei Zona 167 Produzioni.
Kaufen und spenden: wotsefak.com/das-leben-und-ben-spendenaktion
Gerade die kleinen Sätze klingen nach. Auch wenn man die Erfahrungen von Ben nicht teilt, kann man die Hilflosigkeit eines Sechsjährigen im Satz «Keiner will, dass ich möchte, was ich möchte» nachvollziehen. Oder die Unsicherheit des 16-Jährigen spüren, der in seinem Leben noch nie – ein vermeintlich normales – Schweizer Eigenheim betreten hat und sich innerlich sagt: «Es ist das Wohnzimmer, denke ich.» Diese kleinen Formulierungen machen den Unterschied. Das ist die grosse Stärke dieses Stücks.
Die Umsetzung als Hörspiel haucht der Geschichte zusätzliches Leben ein. Da verzeiht man als Zuhörerin kleine Verhaspler oder manchmal fehlende oder übertriebene Dynamik der Gesprächspartner in den Dialogen.
Unterstützung für Kinder in Not
Der Autor selbst lässt offen, ob oder in wie weit Teile von Bens Geschichte autobiografisch sind. Das ist am Ende auch nicht wichtig. Man kann mit der Geschichte von Ben und den Gedanken von Ben machen, was man will. Parallelen ziehen, das eigene Leben hinterfragen oder einfach nur Zuhören.
Dass Wot Sefak die Einnahmen aus diesem Hörspiel-Experiment auch komplett an die Notunterkunft für Kinder in St.Gallen fliessen lässt, scheint dabei nur ein logischer Schritt. Es braucht diese Plätze, an denen tatsächlich auch zugehört wird.
Und vielleicht bleibt ja noch ein bisschen Herzblut (oder Geld) übrig um weitere Geschichten zu erzählen.