Postkultur I: Frankierte Kunst

Konzeptkünstler, Aktionskünstler, Kommunikationskünstler? Oder eher Adressverwalter und Briefmarkendrucker? An Berufsbezeichnungen fehlt es H.R. Fricker nicht, das steht schon in der ersten Monografie über den in Trogen lebenden Künstler, 1989 im St.Galler Vexer Verlag erschienen und betitelt: I AM A NETWORKER (SOMETIMES).
Fricker und die Post: Das ist jedenfalls eine lebenslängliche Beziehung. 1981 hat Fricker mit Mail-Art begonnen, das Instrumentarium waren Briefbögen und Stempel. Seit den Anfängen habe er über 1000 Briefumschläge und etwa 100 verschiedene «Artistamp»-Bögen für den Aufbau und die Kontakte im weltweiten Mailart-Netzwerk geschaffen.
Entscheidend, sagt Fricker im Gespräch, war für ihn die Einsicht, «dass per Post ein direkter Austausch mit anderen Kunstschaffenden und mit dem Publikum möglich wurde unter Umgehung des Kunstbetriebs». Das blieb bis heute so: Ob er Mail-Art betrieb oder seine legendären Orts-Schilder entwickelte, die Umwelt beschriftet wie zuletzt diesen Sommer die Stufen einer alten Treppe in Castasegna im Bergell, ob er Gasthäuser im Säntisgebirge zu Alpstein- Museen erklärt, die Stadt St.Gallen mittels in die Trottoirs eingelassenen Messingbolzen mit einem 5,6 Kilometer langen Orte-Kataster überzieht oder seine Arbeiten auf Facebook plaziert: Stets findet Frickers Kunst im kunstfernen Alltag statt.
Was die Mail-Art betrifft, hatte er damit allerdings erstmal ein Anerkennungsproblem: «Nur wer grosse Bilder malte, galt als richtiger Künstler», sagt er. Und mit der Post ging es auch nicht ganz ohne Friktionen ab. Briefmarken dürfen, weil im öffentlichen Raum unterwegs, nicht anecken. Fricker schuf drum unter anderem 1985 einen ABC-Briefmarkenbogen für persönliche Botschaften und bot ihn der Post an – die verzichtete mit dem Argument, dies wäre für die Ausgabe am Postschalter zu kompliziert, brauche es doch viel mehr A’s als Z’s.
Die meisten anderen Bögen Frickers waren hingegen explizit subversiv. WHO IS AFRAID OF WORDS AND SENTENCE? steht auf einem Briefumschlag. Ein Selbstbildnis mit den Händen vor den Augen ziert eine HELVETIA-Marke. Anderswo steht das Anagramm GLASNOST / ANGSTLOS, auf US-Marken RACISM oder DELETE: ein Reflex der Tatsache, dass die Kommunikation nicht immer konfliktfrei war und ist; so reagierte jemand in den USA empört auf einen Fricker-Brief mit lauter Four-Letter-Words in Briefmarken.
Spannend sei für ihn stets auch die Tonalität gewesen – auf Marken oder mit Stempeln kann nur mit schlagkräftigen Slogans gearbeitet werden, ähnlich wie auf Twitter, sagt Fricker. Und was gestempelt daherkommt, wirke offiziell. Pikant war dies insbesondere bei Frickers Kontakten in die DDR und andere Ostblock-Staaten – per Mail-Art konnte man den Eisernen Vorhang überwinden, umgekehrt fanden Kunstschaffende aus dem Osten damit Anschluss an die westliche Avantgarde. Und die ersten Leser im Osten wie im Westen waren die Pöstler; eigentlich habe er ihnen seine Briefe geschickt, lacht Fricker.
Von seinem «Büro für künstlerische Umtriebe auf dem Lande», ausserhalb von Trogen gelegen, ist Fricker in der Blütezeit der Mail-Art bis zu dreimal täglich mit dem Töffli ans Postfach im Dorf gefahren, in der Erwartung von Kunst-Post. Auch abgeschickt habe er seine (neben den eigenen Marken stets regulär frankierten) Briefe immer von der Dorfpost aus. Heute steht die Post Trogen auf der Liste der bis 2022 zu schliessenden Poststellen. Und seit die Post ihr Markenmonopol aufgegeben habe, interessiere ihn die Markenkunst nicht mehr. Dazu kam schon früh sein Bedürfnis, im Mail-Art-Netzwerk nicht nur postalisch, sondern auch leibhaftig zu kommunizieren. Die direkte Begegnung, das Reisen oder in Frickers Terminologie: TOURISM trat an die Stelle der Briefpost.
Was für Fricker bei allen unterschiedlichen Medien zentral ist: Es geht immer um Kunst als Kommunikation. Und um den Kernsatz: NUR SENDER KANN MAN ORTEN. Persönliche Briefe habe er hingegen letztmals in jungen Jahren geschrieben, als Vreni, seine spätere Frau, in London war. «Und wenn ich sonst Briefe verschickt habe, war es meist aus Ärger oder wenn ich glaubte, mich wehren zu müssen.» Doch auch das sei, vielleicht aus Altersmilde, seltener geworden. Gut für ihn, schlecht für die Post.
Dieser Beitrag erschien im Januarheft von Saiten.