Politisches Theater muss mehr können

Da hat Daniele Muscionico die Erwartungen ganz schön hochgeschraubt.  Über das Theaterstück «MedEia» des südafrikanischen Regisseurs Brett Bailey schreibt sie in der «NZZ am Sonntag», politischer könne eine Klassiker-Adaption kaum sein, ein unheiliges Frösteln befalle die Zuschauer, das Stück sei eine satanische Asylantinnen-Biografie, ein Abend der mit «Fuck you!» ende und den man so schnell […]
Von  Andrea Kessler

Da hat Daniele Muscionico die Erwartungen ganz schön hochgeschraubt.  Über das Theaterstück «MedEia» des südafrikanischen Regisseurs Brett Bailey schreibt sie in der «NZZ am Sonntag», politischer könne eine Klassiker-Adaption kaum sein, ein unheiliges Frösteln befalle die Zuschauer, das Stück sei eine satanische Asylantinnen-Biografie, ein Abend der mit «Fuck you!» ende und den man so schnell nicht vergessen werde. Hört sich nach einem proppenvollen Theaterabend in der Werf in Zürich an.

Brett Bailey, der Kapstadter, mag keine Theaterbühnen, sondern sucht sich gerne spezielle Locations für seine Stücke aus.  Nun ist er auf Europatournee und auf die Bühne gezwungen.

Video: MedEia in Südafrika

In der Werft reichen die Stühle steil bis unter das Dach. Eine Leinwand bringt Verortungen ins Stück, zeigt ein Quartier in Zürich, zeigt Feuer, zeigt Blut. Der drei-Frauen-Chor spricht, reimt, bewegt, singt und erzählt formvollendet. Das Schlagzeug peitscht Medea von ihrem hoffnungsvollen Beginn zu ihrem traurigen Ende. Dazwischen reissen eingespielte Lieder eine neue Atmosphäre hinein. Joy Devisions «Love will tear us apart», Randy Crowfords «One day I’ll fly away».

Die Adaption auf die Theaterbühne lässt das Stück über die Stimmen wirken – darüber hinaus bleibt das Publikum ruhig, keine politischen Aufstandsregungen. Klar, da ist eine schwarze Frau (Medea), die mit einem weissen Mann (Jason) und der Liebe über das Meer kommt, doch die Liebe, die schwindet dann und am Ende ist Medea misshandelt und ausgestossen.

Das allein ist noch kein politisches Theater. Damit hat er seinen Ruf noch nicht bewiesen, Brett Bailey, dessen Ankunft in den europäischen Theaterhäusern Muscionico so beschreibt: «Hier gilt der 45-jährige Künstler aus Kapstadt als eine der Hoffnungen, die das europäische Theater aus seiner unpolitischen, gewichtslosen und selbstverliebten Agonie befreien sollen.»

«Mich lässt eure Konzeptkunst kalt», sagt Bailey Muscionico. «Überhaupt scheint mir, euer Theater hat den Bezug zu den wichtigen politischen Fragen und zu den gesellschaftlichen Problemen verloren. In Südafrika ist das völlig anders. Hier reden wir auf dem Theater von den Traumata der Welt und von kulturellen Kollisionen und religiösen Zusammenstössen. Wäre das nicht auch bei euch ein Thema?»

Nach dem Theaterstück gibt es in der kühlen Hallenbar ein Gespräch mit Bailey. Er erklärt, dass das Stück nicht über Südafrika sei, sondern über uns Europäer. Ein Stück über die Festung Europa, über die Minarett-Initiative, über die Ausschaffungen. Die Zuschauer lächeln und neigen die Köpfe, eine Person applaudiert. Bis zum Hals reichen die Probleme in Südafrika, sagt Bailey in Hut und Karojacke, in Europa aber werden die Probleme ignoriert und abgeschoben. Nun, das mag teilweise stimmen, aber der Wahrheit letzter Schluss ist damit nicht gefunden. Wer politisch bewegen will, der sollte sich ein wenig darüber hinaus bilden. Da wundert es nicht, fehlt Bailey die Sprengkraft. Er packt damit das Publikum nicht, bis es Medeas Botschaft aufnimmt und selber ruft «Fuck you!»

Bailey bringe die postkolonialen Transformationsprozesse auf die Bühne, schreibt Muscionico. Just diese Transformation vom politischen Theater in Südafrika, zum politischen Theater in Europa ist ihm selber nicht gelungen. Das sieht er selber. Bis Berlin habe er noch ein bisschen Zeit, deutlicher zu werden, sagt er am Podiumsgespräch. Hoffentlich gelingt es ihm. Ein Weckruf täte unseren Theatern auf alle Fälle gut.

Und sonst gibt es ja noch das IIPM und Milo Rau, der bringt im Oktober Breiviks Erklärung auf die Bühne. Da rumpelt es jetzt schon gewaltig drum rum.

MedEia wird heute, am 1. September zum letzten Mal im Theaterspektakel in Zürich gespielt.