Politik als Privatsache
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Mathias Gabathuler und sein Wahlteam sind im Verlauf der Wahlkampagne schon einige Male über Unzulänglichkeiten gestolpert: die verwendeten Daten von ehemaligen SchülerInnen, nicht abgesprochene Inserate, überhebliche Antworten auf Fragen der Fachstelle für Inklusion oder die Geschichte einer Lehrerin, die in einem Bewerbungsverfahren für eine Stelle als Prorektorin an Gabathulers Schule, der Kantonsschule am Brühl, durch geschlechtsspezifische Fragen diskriminiert wurde.
Am Mittwochabend das wohl letzte Kapitel: In einem kurzen Facebook-Kommentar empört sich Kandidat Gabathuler über die Wahlempfehlung für Maria Pappa durch eine Professorin für Soziale Arbeit der Fachhochschule Ost. Diese habe ihre Profession an der Fachhochschule missbraucht, für die die Kanti am Brühl schliesslich auch eine «grosse Zuliefererschule» sei, so Gabathuler. Er schrieb: «Ich erwarte umgehend eine Kontaktaufnahme durch Sie».
Mittlerweile ist er zurückgerudert und spricht von einer persönlichen Verletzung, die er durch die Wahlempfehlung erlitten habe. Alles also halb so wild und nur eine eitle Kränkung? Könnte man meinen. Der Kommentar sagt aber mehr, ihm liegt ein höchst problematisches Demokratie- und Politikverständnis zugrunde, das immer wieder im Kontext der Fachhochschule auftaucht: die Vorstellung, wonach Politik nur im privaten Raum stattfinden dürfe.
Die Fachhochschule als öffentlicher Raum
Die professorale Wahlempfehlung tanzt dann natürlich aus der Reihe, weil sie von einer Person des öffentlichen Lebens und aus einer öffentlichen Institution stammt. In dieser Logik könnten im Umkehrschluss all die Privaten und privaten Institutionen unbeschwert politisieren. Demnach hat Gabathuler natürlich keine Mühe damit, wenn ihn der Präsident von Gewerbe Stadt St.Gallen unterstützt oder der Direktor von St.Gallen-Bodensee Tourismus (finanziert übrigens hauptsächlich durch die öffentliche Hand).
Aus dem Post spricht damit auch eine gewisse Verachtung und Geringschätzung von öffentlichen Räumen wie der Fachhochschule, die immer auch politische und konflikthafte Räume sind, Orte der Auseinandersetzung. Es sind damit (zumindest im Anspruch) äusserst demokratische Räume, weil sie von allen gleichermassen in Besitz genommen werden können, umkämpft und dynamisch sind.
Der öffentliche Raum ist jener Ort, in dem sich alle Menschen zu Wort melden oder sich melden können sollten – wie dies die Professorin mit ihrem Votum für Pappa getan hat. Ihr den Mund verbieten zu wollen, hiesse, das Politische in die private Sphäre zu verbannen.
Und damit in eine Sphäre, die per Definition (und auch in der Praxis) nur funktioniert, indem sie Menschen ausschliesst und jene privilegiert, die über die privatisierten Räume verfügen: die Hausbesitzerinnen, Verlagshäuser, Firmenbosse.
Dass das eine machtpolitische Implikation hat, beweisen gerade auch die verschiedenen Wahl- und Abstimmungskampagnen im Land. Während viele KOVI-Fahnen, aber auch jene für Maria Pappa wohl in einem rechtlichen Graubereich wehen, weil es eigentlich der Erlaubnis der Hauseigentümer bedürfen würde, stehen die Plakatwände auf privaten Grund oder an privaten Fassaden auf stabilerem juristischen Grund. Öffentlichkeit muss man sich leisten können.
Soziale Arbeit ist politisch
Gabathulers Kommentar erinnert an die vielen moralischen Zeigefinger, die hochgehalten wurden, als sich die KRISO der FHS gegen die private Überwachung von SozialhilfebezügerInnen ausgesprochen hatte (weitere Beiträge hier und hier und hier). Er ist auch darum besonders unbedacht, weil die Wahlempfehlung nicht aus dem Nichts kam: Maria Pappa war langjähriges Vorstandsmitglied des Berufsverbands AvenirSocial und damit an der Professionsentwicklung Sozialer Arbeit beteiligt.
Aus Kreisen der FHS sind damals wie auch jetzt Stimmen zu hören, die die Aufforderung, öffentlich oder im Zusammenhang mit dem beruflichen Wirken an der FHS keine politischen Positionen zu vertreten, zurückweisen. Es sei weder mit dem internationalen professionellen Selbstverständnis von Sozialer Arbeit vereinbar noch mit dem Berufskodex des Berufsverbands AvenirSocial. Die Verpflichtung, Menschenrechte und gesellschaftliche Teilhabe zu fördern, sich gegen Diskriminierung und unterschiedlichste Formen der Unterdrückung auf allen Ebenen – also auch politisch – einzusetzen, ist in Geschichte und Selbstverständnis Sozialer Arbeit verankert, und ebendies wird am Studiengang gelehrt.
Kein Problem scheint Gabathuler mit seinem eigenen Professionsverständnis zu haben. Er war es, der in seiner Funktion als Rektor Wahlempfehlungen an ehemalige SchülerInnen verschickte und eine Wahlveranstaltung der FDP an seiner Schule bewilligte. Und es war wiederum Gabathuler als Rektor, der über den Kommentar auf Facebook Wahlkampf betrieb. So bleibt das Bild, dass Politik nur dann was in der Bildung verloren hat, wenn es einem nützt.
Will man dem Beitrag etwas Positives abgewinnen, könnte man sagen, dass er immerhin politische Positionen sichtbar macht – in einem Wahlkampf, in dem es allzu oft nur um «Führungsstärke», «Persönlichkeit» oder «kommunikative Fähigkeiten» geht.