Poesie der Verletzlichkeit

Man hat bereits nach den ersten Sekunden das Gefühl, dass das nicht gut ausgehen wird. Egal, was da kommen mag. Und so ist man nicht erstaunt, als sich Lou und Aro, kurz nachdem sie sich kennengelernt haben, die ersten Verletzungen zufügen.
Skizzen von Lou ist ein Film über die Liebe. Aber es ist eine schwierige Liebe. Eine urbane Liebe in der heutigen Zeit, in der junge Menschen noch viele andere Pläne haben. Lou und Aro wohnen beide im pulsierenden Zürich, wo man Anonymität sei Dank mal in diesem, mal in jenem Bett schläft. Er bezieht eine Wohnung im Haus, wo Lou ein paar Etagen höher gerade auf dem Sofa ihrer Freunde lebt. So lernen sich die zwei kennen, und bereits am ersten Abend landen sie umschlungen auf seiner Matratze.
Denn das ist einfach: Sex. Schwierig wird es, wenn man ein bisschen mehr über den anderen erfährt. Sie, die Schweizerin, braucht Freiheit. Sie will den Sommer in Zürich geniessen und dann weg. Vielleicht nach Nepal, wo ein Freund in einem Hilfswerk arbeitet. Er, der gewordene Schweizer mit kosovarischen Wurzeln, wünscht sich irgendwann eine Familie. So eine, wie er sie als Kind hatte. «Am liebsten eine ganze Fussballmannschaft.»
Feuer und Wasser
Wir beobachten also die 29-jährige Nomadin Lou (Liliane Amuat) und den 35-jährigen, noch erfolglosen Künstler und Barmann Aro (Dashmir Ristemi), wie sie sich langsam annähern, wie um das unverbindliche Geschlechtliche herum plötzlich Verbindlichkeiten auftauchen: Erwartungen, Wünsche, Forderungen.
Während Aro aber offensichtlich und allen Beteuerungen des Gegenteils zum Trotz mehr von Lou will, mehr wissen, mehr Vertrauen, hält sie ihn sich von Leib und Seele. Der elastische Verband, den sie um den Arm trägt, verdeckt eine Vergangenheit, die sie eisern verschweigt. Unter diesem Verband liegt das verborgen, was Lou zur Nomadin macht.
Skizzen von Lou kommt ohne viele Worte aus. Der Film spielt hauptsächlich in Aros Wohnung und an der Limmat. Das sind die grossen Gegensätze, die miteinander ringen. Das Häusliche und die Freiheit. Lou ist oft im Wasser, widersteht – noch – dem Strom, der sie wegreissen will. Wasser ist die Gegenwart, Lous Element. Denn die Vergangenheit war ein Feuer, das ihr den Arm verbrannt und die Mutter geraubt hat.
Skizzen von Lou: ab 2. Februar
im Kinok, St.Gallen
Infos und Spielplan: kinok.ch
Laut und leise
Die Regisseurin Lisa Blatter (Heimatland) setzt auf poetische Bilder, auf die kleinen Gesten und Berührungen. Die Schnitte lassen manches aus, werfen die Zuschauerin von einer Emotion in die nächste. Wenn Eintracht herrscht, ist es ein leiser Film. Wenn aber Gegensätze aufeinanderprallen, dann wird er bedrohlich laut, dann liegt knisternd Gewalt in der Luft, dann gibt es Scherben.
Die Geschichte lebt vom starken Spiel der beiden Hauptdarsteller. Oft muss und kann man in ihren Gesichtern lesen, wie es gerade zwischen ihnen steht. Lou geht einem dabei schon einmal auf die Nerven mit ihrer Kälte, die aus der Feuersbrunst geboren wurde.
So poetisch die Bilder, so poetisch sind auch die Dialoge. Denn dass zwei Menschen in Wirklichkeit so miteinander reden, so wenig, in so bedeutungsschwangeren Sätzen, das ist unvorstellbar. Der ganze Text gleicht eher einem Gedicht. Und manchmal wirkt das fast plakativ. Das klingt zum Beispiel so. Er: «Wenn du daran denkst, mit mir zusammen zu sein, wovor hast du dann Angst?» Sie: «Vorwürfe. Bedürfnisse. Träume.» Er: «Aber träumen ist doch wichtig.» Sie: «Ja, aber haben wir dieselben Träume?»
Der Film lässt viel Raum für eigene Gedanken und Gefühle. Was liegt unter diesem Verband verborgen?, fragen sich Aro und der Zuschauer. Und wenn man am Anfang nicht erstaunt ist, wenn sich Lou und Aro nach jeder Annäherung wieder zurückweisen, so setzt das Erstaunen später ein, wenn vielleicht doch alles anders kommt als erwartet.