, 5. März 2015
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Philosoph und Mensch im Lesen

Ein Grosser unserer Buchbranche ist nicht mehr. Das schreibt die Buchhändlerin Leonie Schwendimann im nachstehenden Nachruf auf Louis Ribaux, ihren vor Wochenfrist 84-jährig gestorbenen Lehrmeister. Morgen findet die Abdankung statt.

Auch wenn es mit den Jahren in der Schweizer Buchlandschaft still um ihn geworden ist, uns hier in St. Gallen blieb er bis zuletzt als Büchermensch erhalten. Im kleinen, übervollen Antiquariat am Paracelsusgässlein hat Louis Ribaux bis vor zwei Wochen an vier Tagen seine Türe aufgeschlossen. Tief gebeugt von schmerzvollem Rückenleiden und Krankheit und geistig hellwach, musste er doch diesen Ort aufsuchen, um darin noch immer zu wirken. Jetzt brennt dort eine Kerze im Fenster.

«Ich lese, also bin ich»: Diese Zeile hat seine Familie auf die Todesanzeige gesetzt. Ich wüsste niemanden, auf den dies mehr zutreffen könnte als auf Louis Ribaux. In all der Konsequenz und Ausschliesslichkeit dieser Aussage. Er war Buchhändler, Philosoph und Mensch im Lesen, in Büchern, in Texten. Darin ging wohl sein Herz auf.

Stehend in der Ladenenge

Louis Ribaux kam als junger Buchhändler von Cham nach St. Gallen. Hier gründete er 1974 seine eigene Buchhandlung, wurde dreifacher Familienvater, politisch engagierter Freigeist im Stadtparlament, kultureller Akteur in der angestaubten Buchstadt. Er lud Schriftsteller und Autorinnen in seine kleine Buchhandlung ein, Elias Canetti, Otto F. Walter, Laure Wyss und viele viele mehr. Und alle kamen, um stehend in der Ladenenge den Lesungen und Begegnungen beizuwohnen. In dieser Zeit schrieb er das umfassende Lehrwerk «Der Sortimentsbuchhändler», ein Begriff für alle angehenden Buchhändlerinnen und Buchhändler jener Jahre. Er verfasste den Wanderführer St. Gallen-Appenzell, schrieb seine literarischen Erinnerungen nieder. Noch immer lieferbar ist sein sehr lesenswertes Büchlein «Zu Papier gebracht» im Verlag VGS.

Ich trat 1976 bei Louis Ribaux in die Lehre ein und schloss sie als erste von ihm ausgebildete Buchhändlerin ab. Es waren Lehrjahre bei einem Meister seines Fachs, mit dem gleichen Anspruch an Einsatz wie er ihn sich selbst abforderte. Überstunden und Sondereinsätze (zum Beispiel nach Ladenschluss die Weihnachtsbestellungen für schnelle Lieferung im Post-Kabäuschen per Telex zu übermitteln!) waren selbstverständlich. Nur einmal nahm ich allen Mut zusammen, einen arbeitsfreien Samstag zu erbitten. Ich wollte unbedingt ganztags dabei sein beim ersten Open-Air-Festival St. Gallen. Es gab ein Nein mit der Begründung «Man muss halt Prioritäten setzen». Meine Priorität wäre eben diese Hippie-Veranstaltung gewesen. Und davon hielt mein Lehrmeister vermutlich gar nichts. Meine Wut war riesengross.

Fenster

Das Fenster des Antiquariats am Pfauengässlein mit der Piatti-Eule, dem «Logo» von Louis Ribaux.

Der Funke hat gezündet

Louis Ribaux hat die Leidenschaft für unseren Beruf vorgelebt, und der Funke hat gezündet. Nach meiner Lehrzeit pflegten wir keinen Kontakt mehr. Ich machte meine beruflichen Erfahrungen in der Buchhandlung Rösslitor, in der Genossenschaftsbuchhandlung Comedia und zuletzt während neun Jahren als Geschäftspartnerin im Bücherladen Appenzell.

Im Jahr 2004 erbat ich den Rat von Louis Ribaux zu meiner Idee, in St.Gallen eine eigene Buchhandlung zu gründen. Er riet mir besorgt ab, hohe Mietpreise, ein allgemein schwieriger Büchermarkt würden eine Existenz heutzutage verunmöglichen. Trotzdem habe ich 2005 den Schritt gewagt und voller Stolz empfahl er mich seiner verbliebenen Kundschaft weiter.

Jährlich veranstalten wir in unserem Gewölbekeller den «Cave littéraire». Wir stellen unsere Lieblingsbücher vor, manchmal tut dies zusätzlich auch noch ein Gast. 2009 war es Louis Ribaux. Er brachte eine Auswahl von dreissig Büchern mit. Die Befürchtung war gross, dass die zugesagte halbe Stunde Sprechzeit überschritten würde. Aber in einem weiten Bogen entnahm er in wenigen Sätzen das Essentielle seiner empfohlenen Bücher und gab es an uns weiter. Meisterhaft und unvergesslich.

Ein frischer Wind fürs Buch

«Eine vorgezogene Totenfeier» nannte er den wunderschönen Abend im Dezember 2014, der ihm von Jost Hochuli und Hanspeter Spörri im Saal der Freihandbibliothek bereitet wurde. Stühle wurden angeschleppt, der Saal war übervoll und Louis Ribaux sehr berührt von seiner Würdigung. Er hat sie verdient – zu Lebzeiten. Zusammen mit ihm konnte an diesem Abend das Erscheinen des kleinen Büchleins von Brigitte Schuster «Das Antiquariat Ribaux im Paracelsusgässlein St. Gallen» (Verlag VGS) gefeiert werden.

Louis Ribaux hat in St. Gallen das Buch, den Buchhandel bedeutend gemacht. Es ist ein schöner Zufall, dass die Nachricht von seinem Tod, und auch von seiner Erlösung von einem gequälten Körper, zusammenfällt mit der Eröffnung (oder Geburt) einer grossen, öffentlichen Bibliothek im Gebäude der Hauptpost St. Gallens. Mitten in der Stadt weht ein anregend frischer Wind fürs Buch.

Abdankung: Freitag, 6. März, 14 Uhr, Kirche Linsebühl St.Gallen

Leonie Schwendimann führt die Buchhandlung zur Rose 
in St.Gallen. Diesen Beitrag schrieb sie für das Branchenblatt «Schweizer Buchhandel».

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Bild: Brigitte Schuster

 

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