«Pflegende sind Menschen, keine Maschinen»
Am Montag, 28. November, ist es genau ein Jahr her, seit die Schweizer Stimmbevölkerung die Pflegeinitiative deutlich angenommen hat. Seither hört man aber nichts mehr zum Thema. Auf der Website des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zur Pflegeinitiative heisst es bloss: «Der Bundesrat hat im Januar 2022 eine erste Aussprache über die Umsetzung der Pflegeinitiative geführt.» Nun verschafft sich das Pflegepersonal selbst wieder Gehör: Anlässlich des Jahrestags organisiert das Pflegebündnis der Kantone St.Gallen, Thurgau und beider Appenzell einen «Walk of Care» auf dem St.Galler Kornhausplatz. Saiten hat mit Fatime Zekjiri, Teamleiterin Pflege und Betreuung bei der Unia Ostschweiz-Graubünden, gesprochen.
Saiten: Frau Zekjiri, warum braucht es einen «Walk of Care»?
Walk of Care: Montag, 28. November 2022, 17 bis 19 Uhr
Start am Kornhausplatz beim Hauptbahnhof St.Gallen.
Fatime Zekjiri: Es braucht ihn, damit man das Pflegepersonal wieder hört. Denn seit der Annahme der Pflegeinitiative ist nichts passiert, zumindest nichts, wovon die Pflegenden in ihrem Arbeitsalltag irgendetwas gemerkt hätten. Die Probleme sind immer noch dieselben, es hat überhaupt keine Verbesserung der Arbeitsbedingungen gegeben. Wenn wir dafür schon wieder auf die Strasse gehen müssen, tun wir das eben.
Welches sind denn kurzfristig die dringendsten Forderungen?
Es gibt einen akuten Personal- und Fachkräftemangel. Die Forderungen haben zwei Seiten: Die Pflegenden reden von mehr Personal, die Spitalleitungen von mehr Geld seitens der Politik. Das ändert aber nichts an der Ausgangslage. Die jetzige Situation hat viele Nachteile: Ständig wechselnde Dienstplanung aufgrund von Personalmangel, krankheitsbedingte Ausfälle und so weiter. Für das Pflegepersonal ist das nicht nur eine physische, sondern auch eine psychische Belastung. Und sie fühlen sich zu wenig ernst genommen.
Woran machen Sie das fest?
Aus den Gesprächen mit ihnen. Es gibt viele, die aufgrund der Umstände nicht mehr in einer Festanstellung, sondern nur noch temporär arbeiten. Dadurch können sie alles besser regeln: Den Lohn, die Arbeitszeiten. Sie müssen selber Lösungen finden für ein Problem, für das die Politik zuständig wäre. Das ist traurig.
Die Lage hatte sich durch die Covid-19-Pandemie zusätzlich verschärft, weil viele Pflegerinnen und Pfleger wegen der hohen Belastung gekündigt haben. Hat es wenigstens diesbezüglich eine Entspannung gegeben?
Nein. Seit der Pandemie verlassen in der Schweiz durchschnittlich 300 Pflegerinnen und Pfleger pro Jahr den Job. Die gesundheitliche Versorgung kann so nicht mehr gleich gewährleistet werden – und hier sind wir beim Thema Gefährliche Pflege, das viel zu wenig Beachtung bekommt.
Was macht Ihnen denn Hoffnung, dass sich in absehbarer Zeit etwas bessert?
Die Pflegenden selber. Ich betreue sie für die Unia in der Region seit viereinhalb Jahren. Damals waren sie noch nicht so aktiv, doch inzwischen kämpfen sie mit grosser Energie und grossem Willen für ihre Rechte. Und sorgen dafür, dass man über die Probleme öffentlich spricht.
Die Politik erwähnen Sie mit keinem Wort.
Nein, sie macht mir auch nicht allzu viel Hoffnung. Ich bin informiert worden, dass es bis 2025 dauern könnte, bis Verbesserungen umgesetzt werden. So lange können wir nicht warten. Pflegende sind Menschen, keine Maschinen.