Performance im «Auto» …
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Das Kulturkonsulat ist seit Ende Juni zu – und damit auch der Ausstellungsraum Nextex. Dieser zügelt von der Frongartenstrasse ein paar Steinwürfe weiter. Im Haus «Zum Auto» an der St.Galler Wassergasse bezieht Nextex zwei neue, schmucke kleine Räume.
Gerade sind die Schau-Fenster mit schwarzen Stoffbahnen teilweise abgedeckt. Sehschlitze in unterschiedlichen Höhen lassen den Blick frei ins Innere. So wird es heute und morgen Abend auch sein bei der Eröffnungsperformance: Das Publikum sieht von draussen zu, was drinnen passiert.
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Das Ausstellungslokal an der St.Galler Wassergasse, hier noch passend zum Hausnamen mit Autos verstellt.
«Bloody Morrow, Lavender Sunrise» nennen Martina Morger und Wassili Widmer ihre insgesamt sechsstündige und sechsteilige, auf zwei Abende verteilte Performance. Der Plan stammt noch aus Coronazeiten – in den kleinen Räumen wäre keine Abstandsregel einzuhalten, deshalb sind die Besucherinnen und Besucher draussen plaziert. Vielleicht 20 Personen finden Platz vor den Sehschlitzen – und sollen sich auch abwechseln. «Die Idee ist nicht, dass man alle sechs Teile sehen muss», sagt Martina Morger.
Drinnen werden die zwei Räume zu bewegten «szenischen Bildern» aus Live-Performance und Projektionen an die Rückwände. Die sechs Kapitel stehen je für sich allein, führen durch verschiedene Energiephasen und gesellschaftliche Themen und sind jeweils einer Farbe zugeordnet: Von Gelbgold über Orange und Rot zu Koralle, Magenta und Lavendel reicht das Farbspektrum.
«Bloody Morrow, Lavender Sunrise»: 9. und 10. Juli, je 18-21 Uhr, AUTO ex Nextex
Wassili Widmer und Martina Morger geben ein paar Stichworte: Mit einem «Golden diner» fängt Teil eins an, ein goldenes «Fressen», Luxus und Schlemmerei pur in Slow Motion. Im zweiten Teil schieben sich Texte ein, ein Gedicht des Dadaisten Richard Huelsenbeck zum «Ende der Welt» oder ein eigener «Traumatext». Der dritte Teil verspricht wild zu werden mit platzenden Ballonen, dann tritt die Göttin der Katharsis auf die Bühne, der Wahn der Selbstoptimierung («Self Care») und die «Kapitalisierung der Sorge» wird kritisch beleuchtet, und schliesslich steht das grosse Reinemachen an, samt Lavendelduft.
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Wassili Widmer und Martina Morger vor dem Haus zum Auto, dem neuen Ausstellungsort von Nextex. (Bilder: Su.)
Die Ankündigung verspricht eine vielfarbige Mischung von Ernst und Witz. Die Bezüge zu eigenen Erfahrungen wird man als Zuschauer unterschiedlich herstellen – für Morger und Widmer spielt die gesellschaftliche Lage aber in alle Kapitel hinein. «Performance ist immer politisch», sagt Martina Morger.
Morger und Widmer, das Duo mit Ausserrhoder, Innerrhoder und Liechtensteiner Wurzeln, zeigten ihre Arbeiten unter anderem am Heimspiel 2018, an der Biennale Venedig 2019 und an der Suomi Art Fair in Helsinki 2019.
Nach dem performativen Auftakt hat es auch das kommende Programm im neuen «Auto» in sich und dürfte den Anspruch des Nextex, «aktuelle Kunst im Diskurs» zu zeigen, aufs Spannendste erfüllen: Vom 19. bis 23. August gastiert Angela Marzullo mit ihrem Projekt «Living (in) the Archives of Radical Feminism» im Nextex und im Frauenpavillon. Reto Müller und Francisco Sierra zeigen ab 27. August «Shanghaien». Ab 22. Oktober realisieren diverse Ostschweizer Kunstschaffende eine Ausstellung mit dem Arbeitstitel «Brunnenprojekt»: Barbara Brülisauer, Tine Edel, Andy Guhl, Marc Norbert Hörler, Frank Keller, Thi My Lien Nguyen und Marion Täschler. Und den Abschluss 2020 machen Gilgi Guggenheim und Johanna Nissen.
Baukultur im Doppel
Ebenfalls am Innenstadtrand, etwas östlicher im St.Galler Linsebühlquartier, gibt es bis zum 18. Juli gleich doppelt Kultur als Zwischennutzung. «Die Moderne im Kleinen», eine Baukultur-Recherche zu den Dreissigerjahren von Nina Keel, hat sich in einem der für jene Epoche repräsentativen Häuser eingenistet, dem geschwungenen Linsebühlbau – nachzulesen im Maiheft und auf saiten.ch.
«Die Moderne im Kleinen», «Erweiterte Nachbarschaften»: bis 18. Juli, Linsebühlbau und Hafnerstrasse 8, St.Gallen
ninakeel.com
Gleich um die Ecke laden Rita Kappenthuler und Nathan Federer zum Projekt «Erweiterte Nachbarschaften». Sie zeigen jeweils an den Wochenenden Camera Obscura-Aufnahmen im Grossformat 61×90 cm in einem nicht minder grosszügigen Wohnblock aus den Sechzigerjahren, der bis zur Sanierung als kulturelle Nische genutzt werden kann.
Improvisation in Kapellen
Eigenwillige, nicht von vornherein konzertante Räume zu erkunden ist eine Spezialität des vierköpfigen Ensembles Stimmsaiten. Jetzt im Diesen August unternimmt das Quartett eine über fünf Tage verteilte Tour durch insgesamt zwölf Kapellen. Die musikalische Reise startet am Montag früh in der Schutzengelkapelle St.Gallen, führt dann gleich an die exponierteste «Location», die Wildkirchli-Kapelle unterhalb der Ebenalp, weiter ins Bündnerland, von dort an den Walensee, nach Gossau, in den Thurgau und schliesslich in die Schlosskapelle der Kyburg. «Jeder dieser Räume hat seinen eigenen Klang und erzählt seine eigene Geschichte. Wir improvisieren den Soundtrack dazu», heisst es in der Ankündigung.
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Stimmsaiten mit Lorena Dorizzi, Marcello Wick, Sonja Morgenegg und Marc Jenny (von rechts, Bild: pd)
«A la cappella»: 10. bis 14. August, diverse Orte in der Ostschweiz
stimmsaiten.ch
Das Projekt trägt den Titel «A la cappella». Das Wortspiel passt zu dem, was die Formation auch musikalisch bietet: a cappella-Gesang erweitert um tiefe Streicher. Marcello Wick und Sonja Morgenegg (Gesang), Lorena Dorizzi (Cello) und Marc Jenny (Bass) haben sich mit ihrer «Alpine Worldmusic» in den letzten Jahren einen klingenden Namen gemacht. Improvisation ist das A und O ihrer Musik, aufgebaut auf Naturjodel, Ober- und Untertongesang, zeitgenössischer Klassik und Jazz.
Politik und Musik im Salon
Und ein Blick über die zumindest momentan wieder offene Grenze: Seit 2015 gibt es in Feldkirch die Montforter Zwischentöne, ein mehrteiliges, übers Jahr verstreutes Festival. Für 2020 hatte es sich vor längerem das Motto «Umwege» gesetzt – und geriet mit Corona tatsächlich ab vom geplanten Weg. «Nach der umfassenden Erfahrung eines kulturellen Stillstands war klar, dass nicht nur neue Formate, sondern auch neue Sichtweisen gefragt sind», schreibt die Festivalleitung.
Die Corona-Ausnahmesituation habe eine Vielzahl von Fragen aufgeworfen. Zum Beispiel diese: «Wer wird gesehen, wessen Bedürfnisse geraten in den toten Winkel der Gesellschaft? War es nicht merkwürdig, wie präsent die Kultur mit Balkonkonzerten im ganzen Land, Sondersendungen, zahllosen kostenlosen Downloads von Theaterstücken, Lesungen, Musik während des Shutdowns war und wie abwesend im Corona-Krisenmanagement der Kulturnation Österreich?»
Nie zuvor seien politische Entscheidungen so konkret und plötzlich in unser alltägliches Leben eingedrungen. Deshalb weitet sich dieses Jahr einer der Festival-Schwerpunkte, die Salon-Paula-Abende, ins Politische aus. Die Idee der Salons ist es, Musiker und Expertinnen als Dialogpartner in die eigenen vier Wände einladen zu können. Statt geplanten sieben finden jetzt 35 solcher Dialoge statt – mit dabei sind, man stelle sich das mal für die hiesigen Kantonsparlamente vor, fast alle Abgeordneten des Vorarlberger Landtags.
Diskutiert werden sollen Kernfragen der Coronakrise. Edgar Eller, Geschäftsführer der Stadtkultur Feldkirch, sagt: «Wir haben gelernt, dass die Gesellschaft zu sehr viel bereit ist, wenn die Hütte brennt.» Kunst und Kultur könnten zeigen, «wohin die Reise nun gehen soll».
Montforter Zwischentöne: bis 1. September, Feldkirch
montforter-zwischentoene.at
Neben den Salons greift das Festival die drei im letzten Jahr gehaltenen «Begräbnisreden» prominenter Persönlichkeiten nochmal auf. Ihre Themen – der Tod von «Gewissheiten», der «Privatsphäre» und der «Musse» – präsentierten sich durch Corona unter dermassen veränderten Vorzeichen, dass darüber nochmal neu (und per Stream) nachgedacht wird.
Lockerer geben sich die Zwischentöne am 8. August, virale Entspannung vorausgesetzt: Dann spielen Ensembles des Symphonieorchesters Vorarlberg und die Wiener Band Café Drechsler in den Gassen der Feldkircher Altstadt.
Der hier aktualisierte und erweiterte Beitrag erschien auch im Sommerheft von Saiten.