Per Arschtritt ins Palace

Singer/Songwriter? Liedermacher? Chansonier? Simon Hotz ist mit keinem der Begriffe so richtig zufrieden, kann aber mit allen irgendwie leben. «Ich will ein Lied, das mich entzündet, verbrennt und mich löscht, sobald ich glüh’» – Der Refrain des Openers Ich will ein Lied auf seinem neuen Album Sand fasst ziemlich gut zusammen, was Hotz überhaupt zum Musizieren gebracht hat. Schon im Kindesalter hat er viel gesungen. Und später, in Teenagerjahren via YouTube auf deutsche Chansons stossend, entdeckte auch er das mittlerweile angegraute, aber in vielen Fällen gut gealterte Genre für sich.
«Als ich anfing Danzer und Konsorten etwas genauer zuzuhören, war ich plötzlich den Tränen nahe», erzählt Hotz, während er in der Buena Onda Bar an seinem grossen Bier nippt. «Dass Musik so etwas in mir auslösen konnte, war eine neue Erfahrung für mich. Seither wünsche ich mir, selber Musik zu schreiben, die diese Gefühle bei mir und hoffentlich auch beim Publikum auslöst.» Es seien in seiner musikalischen Laufbahn aber diverse «Tritte in den Arsch» nötig gewesen, teils auch von prominenter Seite, die den Musiker und angehenden Primarlehrer mit Jahrgang 2000 bei der Stange hielten.
Die Arschtritte hört man dem Album nicht an, im Gegenteil: Hotz ist es, der hier austeilt und protestiert. Stets mit einem charmanten Grinsen im Gesicht. Bewaffnert ausschliesslich mit seinem Mikrofon, seinem Piano, seltener auch mit Gitarre oder E-Orgel. Er singt an gegen Ungerechtigkeit, gegen die Klimaverschmutzung, gegen das Ausschaffungswesen, nicht unbedingt (nur) gegen die Polizei an sich, sondern gegen Polizeigewalt und «den Polizisten in uns allen». Aber Hotz kann noch viel mehr als schimpfen. Lieber erliegt er dem Liebesschmerz als gar kein Herz zu haben, wie er in Herz aus Stein singt.
Sand im Getriebe
Mit kindlicher Freude schüttet Hotz wie im Traum, dem Schlüsselstück des Albums, den Sand, «der da gestern so rum lag», in die grosse Maschine, in die Maschinerie der überdrehenden, spätkapitalistischen, egoistischen Gesellschaft. «Und wir werden uns ein wenig freuen», sprechsingt Hotz weiter, «weil wir genau wissen: Irgendwann bleibt sie stehen, die riesige Maschine.» In den Strophen optimistisch schwebende Piano-Arpeggios, dazwischen instrumentales Drama pur, der friedliche Cello-Teppich, gespielt von Marlen Inderwildi, mündet in ein apokalyptisches Forte.
Das klingt erst einmal nach abgedroschenem 68er-Protest, auch wenn es Hotz locker gelingt, wie schon früher (zum Beispiel im Roboter-Lovesong Die Ware Liebe von der 2020er EP Wo wir hinkämen), seine Erzählungen immer wieder ins Hier und Heute holt.
Politisiert worden sei er von seinem Umfeld. Er fragt sich, in welcher Generation wir denn heute lebten. «Natürlich wurde ab Ende der 60er und in den 80ern viel durch Protest erreicht, gerade was die sozialen Normen betrifft», resümiert Hotz. «Aber faktisch stehen wir heute trotzdem vor einem Scherbenhaufen. Ohne unsere, meine Generation auf die Klimakrise reduzieren zu wollen: Aber das ist die nun mal die alles entscheidende Existenzfrage.» Er bedauert, dass viele in seinem Alter, zumal in der Ostschweiz, vor allem mit sich selber beschäftigt seien und dauernd von Termin zu Termin rennen. «Sich gewisse Fragen nicht stellen zu müssen, ist ein grosses Privileg.»
Wenn Hotz singt, dann mit Haltung und geradem Rücken und fester, im Konzertchor geschulter Stimme. Nirgends ein verträumtes Hauchen oder kehliges Kratzen oder gekünsteltes sehnsüchtiges Seufzen. Und schon gar kein Autotune. Wenn er in seiner WG, die er mit einer Politaktivistin und einer Velokurierin teilt, zeitgenössische Musik hört und sich über die digital verzerrten Vocals oder unsauber gereimte Raps beklagt, nennen seine Mitbewohnerinnen ihn liebevoll «Boomer». Vielleicht habe das auch mit seinem Kleidungsstil oder seiner Wortwahl zu tun, mutmasst Hotz mit einem Lachen.
Mit Wecker auf ein paar Bier
Wenn man Hotz zuhört an einem seiner Solokonzerte oder bei Auftritten an Kundgebungen und Demos, könnte man seinen Wohngenoss:innen beipflichten. Texte und Musik erinnern stark an seine Vorbilder aus dem vorigen Jahrhundert: Georg Kreisler, Franz Josef Degenhardt, Georg Danzer, Ludwig Hirsch, Reinhard Mey, Hannes Wader und Konstantin Wecker.
Von Wecker durfte Hotz persönlich lernen. Als 17-Jähriger besuchte er bei ihm als Gast einen Songwriter-Workshop in Würzburg. «Ich war der Benjamin unter den Teilnehmenden», erzählt Hotz. «Nach dem Workshop zogen wir mit Wecker durch die Kneipen der Stadt. Er nannte mich andauernd ‹Bub› und bezahlte mein Bier.» Wenn sie sich heute nach einem Konzert Weckers begegnen, nennt er ihn nicht mehr Bub, sondern Simon.
Der Workshop in Würzburg sei einer dieser wichtigen Tritte in den Arsch gewesen, sagt Hotz. Mit der künstlerischen Nähe zu seinen Vorbildern hat er längst keine Probleme mehr. «Wecker hat am Workshop gesagt, man dürfe nicht so tun, als hätte man schon von Anfang an seinen eigenen Stil. Wir sollten einfach viel hören, viel lesen, alles aufsaugen.»
Hotz ist auf bestem Weg, seine ganz eigene Sprache zu finden, um zu besingen, was ihn umtreibt. Auf seinem Langspiel-Erstling Sand etwa die wahre Geschichte der kleinen Poojah, seines Schulgspänlis, das plötzlich nicht mehr im Unterricht erscheint, weil sie mit ihrer Familie nach Indien ausgeschafft wurde. Oder eine grotesk-ironische Systemkritik à la Hotz, wenn er angelehnt an die Melodie des Drunken Sailor singt: «Hey, wir wollen Stelzen laufen», um alles von oben herab sehen zu können und nötigenfalls zu zertreten.
Ein besonderes Bijou ist die Belauschte Allegorie, ein Gedicht von Erich Kästner, das Hotz gemeinsam mit seiner Band Das grössere Übel grungig angehaucht vertont hat. Es wird nicht digital zugänglich, sondern ausschliesslich ab CD respektive Tape zu hören sein. Oder dann natürlich live, denn getauft wird Sand nicht solo, sondern eben in kompletter Bandbesetzung, am Freitagabend im Palace.
Das Vorprogramm bestreitet Alltagsbeschreiberin und Saiten-Comiczeichnerin Julia Kubik. Für Tanzstimmung sorgt im Anschluss DJ Naurasta Selecta mit seiner fröhlichen Mischung aus Breakbeats, Dub, Surfrock und Cumbia.