Parole, parole

Goldoni, auferstanden: Diana Dengler (rechts) und das Ensemble. (Bilder: Jos Schmid)

In der Lokremise ist Commedia angesagt: Das Schauspielensemble des Theaters St.Gallen stürzt sich in Das komische Theater des Signore Goldoni. Viel Lärm um nichts, aber ein toller Spass.

Ist er jetzt Sil­vio oder Flor­in­do? Er weiss es grad selbst nicht, re­det mit sei­nem an­de­ren Ego, wir­belt um sich her­um, Ich ist ein an­de­rer ist Ma­nu­el Her­wig in ei­ner der vir­tuo­sen Slap­stick-Sze­nen, von de­nen es an die­sem Abend wim­melt: Schau­spie­ler fal­len aus der Rol­le und schlüp­fen in Dop­pel­rol­len, kämp­fen um ih­ren Text, ken­nen sich in sich sel­ber nicht mehr aus.

Wer bin ich? Es ist die Fra­ge al­ler Fra­gen, in der Ver­wechs­lungs­ko­mö­die wie im rich­ti­gen Le­ben. Und al­so auch an die­sem Abend na­mens «Das ko­mi­sche Thea­ter des Si­gno­re Gol­do­ni».

Der Ma­es­tro der Com­me­dia dell’Ar­te schaut dar­in gleich sel­ber zum Rech­ten – und muss ent­setzt mit an­se­hen, was aus sei­nem Thea­ter ge­wor­den ist. Die Schau­spie­ler im­pro­vi­sie­ren, statt den ge­nia­len Text des Au­tors zu spie­len. Ma­chen Mu­sik, als wä­ren wir im Zir­kus statt auf der mo­ra­li­schen Bes­se­rungs­an­stalt na­mens Thea­ter. Schau­spie­ler! Arsch­lö­cher! Er liebt sie und er hasst sie.

Goldoni (Diana Dengler) in der Theaterhölle.

Dia­na Deng­ler spielt Gol­do­ni, ge­bückt aber un­beug­sam im Wi­der­stand ge­gen den zeit­geis­ti­gen Zer­fall des Thea­ters. Car­lo Gol­do­ni, vor bald 300 Jah­ren sel­ber der Re­vo­luz­zer, der die Com­me­dia aus dem Sumpf des Steg­reif­kla­mauks und der Rol­len­kon­ven­tio­nen be­frei­te und zu Hö­hen­flü­gen wie dem Best­sel­ler Der Die­ner zwei­er Her­ren hoch­schrieb: Jetzt steht er da, auf­er­stan­den aus der Sarg­kis­te, in der er zu Be­ginn des Stücks sein Le­ben aus­ge­rö­chelt hat­te, stau­big, stei­fer Geh­rock und Pe­rü­cke, äch­zend, kräch­zend. Und lei­det.

Gol­do­ni im Dop­pel

Zwar wird sein Die­ner zwei­er Her­ren in der St.Gal­ler Lok­re­mi­se auch auf­ge­führt, zu­min­dest teil­wei­se, aber da­zwi­schen mon­tiert ist ein zwei­tes, kaum be­kann­tes Opus. «Drit­ter Akt, ers­te Sze­ne oder Il tea­t­ro co­mico» heisst es, 1750 hat es Gol­do­ni zur Er­öff­nung der Thea­ter­sai­son in Ve­ne­dig ei­ner Schau­spiel­trup­pe auf den Leib ge­schrie­ben.

Aus Thea­ter wird Thea­ter im Thea­ter. Wild und schlau sind die zwei Tex­te samt Ver­satz­stü­cken aus der Bio­gra­fie des Si­gno­re in­ein­an­der ge­wurs­telt (Dra­ma­tur­gie Mar­tin Bie­ri). Und der Ober­wurst­ler ist, wie stets in der Com­me­dia, der Har­le­kin im Nar­ren­ge­wand.

Die­ser Truf­fal­di­no, um­wer­fend ver­kör­pert von Aa­ron Hitz, kann Gi­tar­re spie­len und die schöns­ten Can­zo­ni schmet­tern, bloss hal­ten ihn da­von stän­dig sei­ne Herr­schaf­ten ab. Vor­hang auf, Vor­hang zu, Vor­hang auf, Tü­ren zu, Kof­fer schlep­pen, Brie­fe auf der Post ho­len, Do­sen ver­wah­ren, Vor­hang auf, Vor­hang zu, und zu es­sen gibt es wie­der nichts.

Weil er im­mer hung­rig ist, hat sich Truf­fal­di­no ne­ben sei­nem Herrn ei­nem zwei­ten Si­gnor an­ge­dient. Der ei­ne, Si­gnor Fe­de­ri­go, ist in Wahr­heit des­sen als Mann ver­klei­de­te Schwes­ter Bea­tri­ce (An­ja To­bler). Der an­de­re, Flor­in­do (Ma­nu­el Her­wig), ist Bea­tri­ces Lieb­ha­ber, der nach Ve­ne­dig ge­flo­hen ist, weil er Fe­de­ri­go um­ge­bracht ha­ben soll. Zwei Herr­schaf­ten, die zu­fäl­lig im glei­chen Ho­tel ab­stei­gen – das über­for­dert selbst ei­nen Truf­fal­di­no.

Truffaldino (Aaron Hitz) 

... und Florindo (Manuel Herwig).

De­fi­ni­tiv ver­trackt ist die La­ge, weil der rei­che Pan­ta­lo­ne (Mar­cus Schä­fer) sei­ne Toch­ter Cla­ri­ce (An­na­bel Hertweck) an den to­ten und jetzt doch ver­meint­lich le­ben­di­gen Fe­de­ri­go ver­hei­ra­ten will und da­mit Cla­ri­ces Ge­lieb­ten Sil­vio (auch Ma­nu­el Her­wig) vor den Kopf stösst. Cla­ri­ces Zo­fe Sme­ral­di­na (auch Dia­na Deng­ler) zieht im Hin­ter­grund Fä­den.

Miss­ver­ständ­nis­se, Ver­wechs­lun­gen, Du­el­le, Wort­ge­fech­te, Lie­bes­schwü­re und Bei­nah-Herz­in­fark­te sind die Fol­ge – ein Glück, dass es Gol­do­ni zeit­le­bens mit der Ko­mö­die und nicht mit der Tra­gö­die hielt. So en­det die Sa­che hap­py, samt Küs­sen zwi­schen Truf­fal­di­no und Sme­ral­di­na und ei­nem halb­wegs ver­söhn­ten Dich­ter.

Re­gis­seur Max Mer­ker und das über­spru­deln­de En­sem­ble spi­cken die un­ver­wüst­li­che Ko­mö­die mit Sei­ten­hie­ben aufs eben­so un­ver­wüst­li­che Pa­tri­ar­chat. Cla­ri­ce, vom Au­tor ver­nach­läs­sigt und vom Va­ter zwangs­ver­kup­pelt, ver­schafft sich Text, trotzt dem Hei­rats­be­fehl, tur­telt als Tau­be und bän­delt mit Bea­tri­ce an. Die ent­schei­det ih­rer­seits das De­gen­du­ell ge­gen Sil­vio (oder war es Flor­in­do?) mit Schü­fe­li und Be­se­li für sich.

Da­zu kom­men al­ler­hand Re­ve­ren­zen an Bel­la Ita­lia. Die Ak­te wer­den als pri­mo und se­con­do piat­to ser­viert, die Ban­da mit Block­flö­te könn­te ei­nem Felli­ni­film ent­sprun­gen sein, Re­gie führt ein ge­wis­ser Mas­si­mi­lia­no Mer­ca­to, man zwängt sich in ei­ne Vin­ta­ge-Te­le­fon­ka­bi­ne, ser­viert dann zwar Zü­rig­schnetz­lets und Brod­worscht, aber bis da­hin wis­sen wir so­wie­so: al­les nur «pa­ro­le pa­ro­le». Die le­gen­dä­re Can­zo­ne aus den Sieb­zi­ger­jah­ren lie­fert den hin­ter­sin­ni­gen Sound­track.

Clarice und Beatrice kommen sich näher (Annabel Hertweck, Anja Tobler).

La­chen ge­gen die Schwer­mut

Ist es er­laubt, sich an­ge­sichts des rund­her­um beelen­den­den Welt­ge­sche­hens an­dert­halb ra­san­te Thea­ter­stun­den lang zu amü­sie­ren? Si­gno­re Gol­do­ni hät­te si­cher nichts da­ge­gen, wo­bei: Hat das Stück am En­de gar nicht er, son­dern Si­gno­ra Sme­ral­di­na er­fun­den?

Ein­ver­stan­den wä­re ver­mut­lich auch Si­gno­re Dür­ren­matt. Die­ser hat­te schon in den Fünf­zi­ger­jah­ren die De­vi­se aus­ge­ge­ben: «Uns kommt nur noch die Ko­mö­die bei». Sein Ar­gu­ment: «Die Tra­gö­die setzt Schuld, Not, Mass, Über­sicht, Ver­ant­wor­tung vor­aus. In der Wurs­te­lei un­se­res Jahr­hun­derts gibt es kei­ne Schul­di­gen und auch kei­ne Ver­ant­wort­li­chen mehr.»

Dür­ren­matt im Ohr, lässt man es sich gern ge­fal­len, wenn Truf­fal­di­no und sei­ne Com­me­dia-Ban­de so um­wer­fend auf der Büh­ne her­um­wir­beln wie hier. Sie über­neh­men an die­sem Abend auf ih­re Art durch­aus Ver­ant­wor­tung: für Amü­se­ment oh­ne bil­li­gen Kla­mauk, für Büh­nen­kunst mit Witz, Selbst­iro­nie und schau­spie­le­ri­schem Glanz. Vol­le Rei­hen, rau­schen­der Ap­plaus.

 

Nächs­te Vor­stel­lun­gen: 11., 15., 17., 20. De­zem­ber, Lok­re­mi­se St.Gal­len

kon­zert­und­thea­ter.ch

Halbwegs happy: Annabel Hertweck, Aaron Hitz, Diana Dengler, Manuel Herwig im Finale.