Opernchef wird Superintendant
Zum Ende der Spielzeit 2022/2023 verlässt der Geschäftsführende Direktor Werner Signer Konzert und Theater St.Gallen altershalber nach beinah drei Jahrzehnten. Für die Nachfolge hat der Verwaltungsrat von Konzert und Theater St.Gallen einen Systemwechsel vorgenommen: Gesucht wurde eine Person für die künstlerische und administrative Gesamtleitung des Hauses.
Kontroverse neue Führungsstruktur
Ob eine solche Superintendanz für St.Gallen richtig und in der heutigen Theaterlandschaft noch zeitgemäss sei, wurde im Sommer sowohl innerhalb des Theaters als auch in der Öffentlichkeit in Frage gestellt. Der Präsident des Verwaltungsrats, Urs Rüegsegger, verteidigte den Systemwechsel an einem Podium im Palace unter anderem damit, das Theater stehe in einem verschärften Wettbewerb; ihn zu bestehen, brauche es eine starke Person an der Spitze. Für flache Hierarchien und partizipative Leitungsstrukturen machten sich am Podium dagegen die Dramaturginnen Anja Dirks (Theater Basel) und Ann-Marie Arioli (Theater Kanton Zürich) stark. Das ganze Gespräch hier.
In einem «Tagblatt»-Interview kritisierte auch der deutsche Theaterpublizist Thomas Schmidt, Autor einer Studie über Missbrauch am Theater, eine solche Lösung als «gefährliche Machtballung» und erklärte, die gestiegenen Anforderungen an die Theater riefen im Gegenteil nach Aufgabenteilung. Ein «Multitalent», das kaufmännische, technische, künstlerische und kommunikative Funktionen gleichermassen beherrsche, werde es nicht geben.
Jurist und Opernprofi
Jetzt übernimmt Bogen, seit Beginn der laufenden Spielzeit als Operndirektor in St.Gallen tätig, diese Position. Der Verwaltungsrat hebt die «Breite seiner Ausbildungen im künstlerischen wie akademischen Bereich» sowie die «vielseitigen bisherigen Tätigkeiten» hervor. Bogen zeichne sich zudem durch ein «modernes partizipatives Führungsverständnis» aus.
Jan Henric Bogen, 1983 in Ludwigshafen geboren, hat Jus und Musikwissenschaft sowie Kulturmanagement studiert. Am Theater Hagen war er Marketingreferent und Musiktheaterdramaturg, am Staatstheater Nürnberg Referent des Geschäftsführers und Chefdisponent. Er leitete kurze Zeit das Kurt-Weill-Fest in Dessau und war die letzten fünf Jahre stellvertretender Intendant an der Opera Vlaanderen in Antwerpen und dort u.a. für Casting und Produktionsplanung zuständig. Bogen ist zudem als Dozent für Bühnenrecht, Management und Organisation tätig.
Diversität auf dem Spielplan
In seiner ersten Spielzeit in St.Gallen hat Jan Henric Bogen Klassiker wie die Zauberflöte und La Traviata programmiert, aber auch zeitgenössisches Musiktheater, so Breaking The Waves der US-Komponistin Missy Mazzoli oder eine Tango-Oper. Er setzt stark auf Regisseurinnen und Dirigentinnen, sein Spielzeitmotto heisst «Herstory».
In der Medienmitteilung der Genossenschaft vom Montagabend wird Bogen mit dem Satz zitiert, ihm lägen «Werte wie Gleichstellung, Diversität, Partizipation und Nachhaltigkeit, die bisher bereits meine künstlerische Arbeit geprägt haben, besonders am Herzen».
«Die Breite seiner Ausbildungen im künstlerischen wie akademischen Bereich sowie die Erfahrungen aus seinen vielseitigen bisherigen Tätigkeiten an mehreren Häusern in verschiedenen Ländern bilden eine hervorragende Ausgangslage für die Leitung eines Vierspartenhauses», schreibt der Verwaltungsrat.
Der Begriff «Vierspartenhaus» macht Hoffnung, dass eine seit Jahren geforderte Änderung am Theater St.Gallen nach Signers Abgang Realität werden könnte: die Etablierung des Tanzes als eigenständige Sparte neben Oper, Schauspiel und Konzert. Bisher ist die Tanzsparte der Operndirektion unterstellt.