Ohren auf im Liegestuhl

Diesen Samstag findet in St.Gallen erstmals das Festival Les Digitales statt – eine Veranstaltung, die sich ganz der elektronischen und experimentellen Musik verschrieben hat. Im Vordergrund steht aber nicht das Tanzen, sondern das Chillen im Liegestuhl.
Von  Philip Bürkler
Bild: pd

Ausserhalb der Szene der elektronischen und experimentellen Musik ist Les Digitales vielleicht weniger bekannt. Doch die Veranstaltungsreihe hat eine lange Tradition: Ursprünglich 2005 in der Westschweiz gestartet, hat sie seither auch in Deutschschweizer Städten wie Zürich, Bern, Basel oder Luzern Wurzeln geschlagen. Nun, nach fast 20 Jahren und über 80 Ausgaben in insgesamt 13 Schweizer Städten, kommt das Festival erstmals nach St.Gallen.

Die Idee, Les Digitales in die Ostschweizer Metropole zu holen, hatten die drei St.Galler Freunde Jochen Tempelmann, Nico Kast und Jannis Bont im September 2023. Die drei kannten Les Digitales bereits von Zürich als Besucher. Ein befreundeter Künstler wurde dort vor einigen Jahren für einen Auftritt gebucht. 2023 sei ausserdem die Stelle für die Organisation des Festivals in der Stadt Zürich frei geworden, erklärt Jochen Tempelmann. «Nachdem sich Jannis dort beworben hatte, die Stelle aber anderweitig vergeben wurde, kamen wir auf die Idee, den Anlass doch einfach nach St.Gallen zu holen und ihn gleich selbst zu organisieren.»

Franchise der alternativen ­Musikkultur in St.Gallen

Dafür haben Tempelmann, Kast und Bont den «Verein für alternative Musikkultur St.Gallen» gegründet. Die St.Galler Ausgabe ist gewisser-massen eine Art «Franchise» der nationalen Dachorganisation von Les Digitales. Diese kümmert sich um Kulturförderung auf nationaler Ebene und die visuelle Identität des Festivals, beispielsweise die übergreifende Gestaltung der Plakate in den verschiedenen Städten.

Les Digitales ist kein gewöhnlicher Techno-Event und auch kein weiterer Daydance. Statt auf harte Beats und Tanzen setzt das Festival vielmehr auf sanfte, sphärische Klänge und eine Atmosphäre, die zum Entspannen einlädt. Die erste St.Galler Ausgabe findet deshalb auf dem Areal des Vereins Urbanes Grünatelier statt, gleich im Lattich-Quartier beim Güterbahnhof. Er pachtet dort seit fünf Jahren von den SBB eine Parzelle, auf der Urban Gardening gelebt wird. «Dieser Ort passt aufgrund gelebter Nachhaltigkeit mitten in der Stadt optimal zum Konzept von Les Digitales», freut sich Tempelmann.

Er und seine Kumpels verwandeln den Ort einen Nachmittag lang in eine gemütliche Lounge und «Wohlfühlzone». «Das Besondere am Konzept von Les Digitales sind Liegestühle, die eine entspannte Atmosphäre schaffen», so Tempelmann. Darin liessen sich die sphärischen Klänge besonders entspannt geniessen und auf eine ganz andere Weise erleben.

Experimentelles Ambient-Line-up

Jeweils im Frühling startet die Non-Profit-Dachorganisation von Les Digitales einen Call for Artists. «Auf diesen Aufruf haben sich dieses Jahr gesamtschweizerisch über 160 Künstler:innen beworben», sagt Tempelmann. Gut ein halbes Dutzend ist im September nun bei der ersten St.Galler Ausgabe von Les Digitales dabei. «Alle Künstler:innen spielen live, es gibt keine DJs.»

Les Digitales: 7. September, 15 bis 22 Uhr, Urbanes Grünatelier im Lattich-Quartier St.Gallen

lesdigitales.ch

Spannende Klänge gibt es unter anderem aus Zürich mit Nebno, einer Künstlerin, die nicht nur durch ihre Musik, sondern auch durch ihre weiche Stimme herausragt. Das Genfer Duo Photoktet oder die Zürcherin Shayu nehmen das Publikum ebenfalls auf eine träumerische Reise mit. In Richtung Dub gehen die Sounds des Berners Kasma. Der St.Galler ParadigMan sei wahrscheinlich der tanzbarste Act am Anlass, sagt Tempelmann. «Ein weiterer erwähnenswerter Act ist Aroom aus dem Wallis, ein Vertreter jener Kunstschaffenden, die leider nur selten Auftrittsmöglichkeiten bekommen, obwohl sie grossartige Musik produzieren.»

Für ihn und seine Freunde sei elektronische und experimentelle Musik eine Herzensangelegenheit, so Tempelmann, der sich mit Nico Kast nicht nur einen Proberaum teilt, sondern auch gemeinsam als Blue Sofa Musik produziert. «Unser Proberaum ist voll mit Synthesizern und Keyboards aus den 1980er-Jahren.» Mit Les Digitales wollten sie anderen Künstler:innen eine Bühne bieten, auf der sie sich auch selber wohlfühlen würden, erklärt er.

Wie so oft in der Stadt St.Gallen sei die Bewilligung für den Anlass eine der grössten Herausforderungen bei der Planung gewesen, gibt Tempelmann zu. Obwohl Les Digitales keine laute Techno-Party sei und der Anlass um 22 Uhr ende, habe ihn die anfängliche Skepsis der Behörden etwas überrascht. Dabei ist Les Digitales ein Fest für alle Sinne und eine wertvolle Ergänzung zur Kulturlandschaft der Ostschweiz, umso mehr, nachdem das Weihern Openair nicht mehr auf der jährlichen Kulturagenda steht. Das Einzige, was der Gemütlichkeit auf dem Liegestuhl noch in die Quere kommen könnte, ist das Wetter. Chillen zusammen mit der Sonne macht halt noch viel mehr Spass.