«Ohne Musik geht es nicht»
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Saiten: Seit 30 Jahren machst du Musik und schreibst eigene Songs, hast hunderte Konzerte solo und in verschiedenen Formationen gespielt und diverse Kooperationen gemacht. Warum kommt dein Debüt-Album erst jetzt?
Elyn: Das fragen sich wohl viele (lacht). Manches braucht halt seine Zeit. Es dauerte, bis ich mit meinem Sound dorthin kam, wo ich sagen konnte: Damit fühle ich mich jetzt wohl. Ich brauchte ausserdem eine Vorlaufzeit, damit ich das Album selber produzieren konnte.
Elyn: BORN[E], erscheint am 1. April bei Irascible Music, auf allen gängigen Onlineportalen und bald auch auf Vinyl.
Plattentaufe: 8. Oktober, Palace St.Gallen, mit Gastauftritten von Kimyan Law und Baumeister
Angefangen hast du mit Klavier und Gesang.
Ja, bei den Aufnahmen bin ich immer von den Aufnahmen von Gesang und Klavier ausgegangen. Dann kamen Gitarre und Kontrabass, perkussive Drums und feine elektronische Elemente hinzu. So wirkt der Sound nun viel dichter. Während der Album-Produktion hat sich auch mein Live-Setup weiterentwickelt. Die Klavier- und Rhodesbegleitungen ergänze ich mit dezenten Synthesizern, Bass und einer Stompbox. Dazu generiere ich hohe und tiefe Stimmen. Die Songs klingen deshalb auch live voller, wenn auch in reduziertem Mass. Dass mich jetzt Kontrabassist Christoph Bucher live begleitet, gibt dem Ganzen den nötigen Boden. So fühle ich mich endlich richtig wohl auf der Bühne.
Du bist gar nicht so ein Bühnenmensch?
Ich hatte immer riesigen Respekt vor der Bühne. Durch die Fertigstellung des Albums und das neue Setup hat sich die Situation aber sehr entspannt (lacht).
Bringt der Albumtitel BORN[E] dieses Gefühl zum Ausdruck?
Genau. Einerseits ist es für mich wie ein Anfang. Das klingt vielleicht komisch, nachdem ich schon so lange Musik mache. Aber es fühlt sich für mich an, als würde ich jetzt erst so richtig auf dieser Welt ankommen als Musikerin. Andererseits beziehe ich mich beim Albumtitel auf gemachte Erfahrungen und das Getragensein. Man wird auch beim Zuhören auf eine gewisse Weise durchs Album getragen.
Bist du ein melancholischer Mensch?
In meiner Musik und meinen Texten bin ich schon auch darauf aus, das Leben zu betrachten und einen Umgang damit zu finden, was mich beschäftigt oder einmal beschäftigt hat. Aber nicht nur. Find Gold zum Beispiel, ein älterer Song, ist eine kleine Hymne an das Gefühl, etwas geschafft zu haben.
Da ist also immer auch Zuversicht?
Aus der Musik schöpfe ich Kraft, das ist mitunter ein Grund, warum ich überhaupt Musik mache. Bei While I’m Falling, meinem neusten Song, beschreibe ich die Situation, wenn im Leben einmal so viel auf einen zukommt, dass man fast nicht mehr vorankommt und einem der Boden unter den Füssen entgleitet. Der Song handelt aber auch davon, trotz allem wieder einen Halt zu finden.
Welche Themen treiben dich um?
Es gibt sie natürlich, die konkreten Geschichten hinter den einzelnen Songs. Dennoch möchte ich die Lieder lieber so stehen lassen und dem Publikum Raum geben, sich seine eigenen Bilder und Gedanken dazu machen zu können.
Die Beziehung der Menschen zur Natur ist ein wiederkehrendes Motiv in deinen Texten.
Ich bin sehr gerne in der Natur unterwegs, oft auch allein. So finde ich Ruhe, aber auch neue Ideen. Der Mond kommt immer wieder vor in meinen Texten. Er ist für mich Symbol dafür, einen Schritt zurück zu treten. Die Betrachtung aus der Distanz hilft, um den Überblick zu behalten und Dinge zu sehen, die man vielleicht nicht bemerkt oder wahrnimmt, wenn man zu nahe dran oder mitten drin ist.
Hast du alle Songs neu fürs Album geschrieben?
Nein, das Album ist eher so etwas wie ein Tagebuch über die letzten 15 Jahre. Es sind jene Songs drauf, die meinem Live-Repertoire über die Jahre erhalten geblieben sind und die mir auch nach all der Zeit noch etwas bedeuten. Für mich ist mit der Veröffentlichung von BORN[E] ein Moment des Innehaltens gekommen. Im Dezember vor Corona hatte ich beschlossen, mich in mein «Rüümli» zurückzuziehen und endlich das lange angedachte Album aufzunehmen. So hatte ich auch das Glück, während des Lockdowns keine Konzerte absagen zu müssen. Jetzt ist das Album da und ich kann mich wieder auf Neues konzentrieren.
Steht also nach dem langersehnten Debüt gleich das nächste Album ins Haus?
Das weiss ich noch nicht. Es ist auch möglich, dass ich einfach nach und nach einzelne Songs veröffentliche. Und wenn ein Päcklein entsteht, das passt, dann gibts vielleicht eine EP oder wieder ein Album. Ich muss mich da nicht festlegen, was schön ist. Die Veröffentlichung von BORN[E] gibt mir diese Freiheit, da nun bereits ein komplettes Album da ist.
Wie bist du überhaupt zur Musik gekommen?
Im Giebelzimmer des Elternhauses in Flawil stand ein Klavier. Wir durften als Kinder nicht oft Fernsehen, aber wenn, dann eilte mein Vater in den Werbepausen jeweils nach oben und klimperte die Melodien nach, die er im Film gehört hatte. Filmmusik ist auch heute noch seine grosse Leidenschaft. Mit der Zeit habe ich dann auch angefangen, ein wenig auf dem Klavier zu improvisieren. Wie mein Vater, rein übers Gehör. Als ich 12 war, zog Urs C. Eigenmann nach Flawil, und meine Eltern ermutigten mich, bei ihm Klavierstunden zu nehmen. Eigenmann fand dann, wer eigene Akkordfolgen spiele, könne auch singen. So habe ich meine ersten Songs geschrieben und durfte auch mit ihm in der Kellerbühne auftreten. Später kamen andere Projekte und Bands dazu.
Zum Beispiel?
Am längsten war ich sicher bei Madtrix. Wir spielten funkige Sachen à la Keziah Jones, später ging es mehr in Richtung Triphop und Elektropop. Ungefähr Mitte der Nullerjahre war ich dann mit Klangforscher und Kafi D unterwegs. Damals begann ich auch, eigene Songs zu Hause am Computer aufzunehmen und selber zu produzieren. Mir fehlte allerdings die Vision und auch ein bisschen der Mut, wirklich etwas zu Ende zu bringen, obwohl mich mein Umfeld immer wieder dazu ermunterte. Für mich war es damals mehr ein Ausprobieren. Irgendwann stand ich musikalisch aber an und wusste nicht mehr weiter.
Wie hast du darauf reagiert?
Ich habe mit 28 eine vierjährige Musikpause eingelegt. Ich musste mir klar darüber werden, warum ich überhaupt Musik machen will und wie. Mit dem aufzuhören, was mir so viel bedeutet, war nicht leicht und hat viel Energie gekostet, aber zu diesem Zeitpunkt war es notwendig. Irgendwann merkte ich, dass es ohne Musik nicht geht und dass Klavier und Gesang meinen musikalischen Kern ausmachen. Flo Schär, der mein Album gemischt hat, hat mich dabei unterstützt, meine Fertigkeiten im Aufnehmen und Produzieren auszufeilen.
Du bist ja nicht nur Solokünstlerin, sondern auch eine gefragte Gastsängerin. Der Türöffner war ein Cover, das du auf YouTube veröffentlicht hast.
Genau, ich habe 2016 The Greatest von Cat Power gecovert. Der Berner Rapper Greis, der damals bei Flo gerade die Vocals für sein Album Hünd i parkierte Outos aufgenommen hatte, hat den Song gehört. Daraufhin zeigte er mir seinen Track 1000 und fand, dass dieser auch als Duett funktionieren würde. Spontan habe ich zugesagt, einen Tag lang Berndeutsch geübt, aufgenommen und ihm nicht einmal 24 Stunden später meine Begleitstimme abgegeben. Das ging alles recht schnell.
Kurz darauf meldete sich auch der Solothurner Rapper Manillio.
Ja, das Greis-Album hat der Konstanzer Rap-Produzent Jo Piehl gemischt. Er arbeitete ebenso mit Manillio zusammen, der mich dann für ein paar Backing-Vocals und das Intro zum Album Kryptonit angefragt hat. Auf seinem Weg zwischen Konstanz und Solothurn machte Manillio Zwischenhalt in St.Gallen, zeigte mir die Tracks, skizzierte die ungefähren Vorstellungen, die sie hatten, und liess mich dann aber relativ frei arbeiten.
Wie kams zur Kooperation mit Wassily alias Basil Kehl von Dachs?
Wir haben gegenseitig unsere Konzerte besucht. Wassily hat seine Sachen jeweils auch bei Flo gemischt. Da kam eines Tages die Idee auf, einmal gemeinsam einen Song zu machen. Wir trafen uns in der Reithalle im Proberaum von Dachs. Ich brachte vier Textskizzen mit, aus denen am ersten Tag sogleich vier Songs entstanden. Beim nächsten Treffen kamen nochmals drei Songs dazu. Dann haben wir einen Sommer lang daran rumgefeilt und fertig war unsere EP Thickest Waters.
Und wie ist der österreichisch-kongolesische Drum’n’Bass-Produzent und Sounddesigner Kimyan Law auf dich aufmerksam geworden?
Kimyan Law ist auf Soundcloud ebenfalls über The Greatest gestolpert, als er an seinem zweiten Album Zawadi arbeitete. Bis dahin hatte er Gesang nur geremixt und wollte gerne mit einer Sängerin oder einem Sänger zusammen Songs erarbeiten. Beim Folgealbum Yonda (2019) durfte ich für zwei Songs Lyrics und Gesang liefern. Er hat mir jeweils die Tracks geschickt und seine Ideen dazu formuliert, das waren Texttürme, Begriffssammlungen mit Assoziationen, die er im Track verarbeiten wollte: so zum Beispiel für den Track Jaardin der Verlauf eines Menschenlebens, die vier Jahreszeiten und die Demut vor der Natur.
Hat er all deine Vorschläge übernommen?
Nicht ganz. Einen Teil, respektive eine Jahreszeit, hat er weggekürzt. Was aber völlig in Ordnung ist für mich, auch wenn ich drei Wochen am Text gearbeitet habe. Bei einem anderen Track hat er nur die Teile genommen, die konkret zum Songtitel passten. Aus Teilen, die wegfielen, mir aber viel bedeuten, habe ich einen neuen Song geschrieben. Kimyan Law findets cool. Das liebe ich so am Musikmachen, wenn man sich so gegenseitig inspiriert.
BORN[E] erscheint heute, die Plattentaufe ist aber erst am 8. Oktober im Palace. Warum nicht früher?
Das hat tatsächlich mit den Platten selber zu tun. Das Lieferdatum des Vinyls hat sich verschoben und ist noch unklar. Ich wollte die Platten jedoch unbedingt dabei haben, wenn getauft wird. Kimyan Law wird dann übrigens eine Aftershow spielen, was mich riesig freut. Er fand, das sei eine sehr schöne Gelegenheit, sich wieder einmal zu sehen. Wir haben uns bisher pandemiebedingt erst einmal in Echt getroffen. Es erscheint demnächst auch wieder gemeinsame Musik von uns, wann genau, weiss ich aber nicht. «Ganz bald», heisst es auf seinem Insta-Profil.