Nur zwischendurch die Augen öffnen
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Der Abend, an dem mir Oimjakon zum ersten Mal begegneten, hatte bestens zu diesem Trio gepasst, das den Namen des kältesten Ortes der Welt trägt. Der Winter hatte sich bereits stark bemerkbar gemacht, die Tage wurden düsterer, die Lichter in der einschlägigen Szenekneipe in St.Gallen waren gedimmt und aus den Boxen dröhnte Blackmetal oder Doommetal.
Und da war dieser ehrlich begeisterte, nette Bekannte, der zu mir sagte: «Wenn dir diese Art der Musik gefällt, solltest du dir Oimjakon anhören.» Für ein Mal habe ich einen Konzerttipp angenommen und mir den vergangenen Samstag bereits lange vor Weihnachten dick angestrichen. Letzte Woche stellte ich dann fest, dass an diesem bereits vielbesungenen Abend nicht nur Oimjakon spielen, sondern auch Silentbass aus St.Gallen.
Ich war früh im Palace und habe mich aufs Abdriften vorbereitet. Als Oimjakon schliesslich den Abend eröffneten, fiel ich schnell in eine Art Trance. Ihre Musik ist schwer und düster, Doommetal vielleicht. Vielleicht hat das Schlagzeug teilweise aber auch zu rockige Rhythmen gespielt. Vielleicht machen sie auch Postmetal… oder Postrock? So genau muss man das nicht sagen. Atmosphärisch ist Oimjakons Musik auf jeden Fall. Daran haben auch die unzähligen Effektpedale der beiden Saiteninstrumentalisten ihren Anteil.
Teilweise fand ich es sehr schwer, die Gitarrenstimme genau herauszuhören. Und in dem Moment, da ich sie vielleicht wieder erkannt hätte, haben sich meine Gedanken jeweils wieder losgemacht, inspiriert und getragen von diesem dichtgewobenen, rein instrumentalen Klangteppich. Keine Chance jetzt noch genau zu sagen, ob die Visuals auf der Leinwand ihre Musik unterstrichen haben. Nur wenn der Bass zwischendurch wieder mitreissend metallisch aus den Boxen wummerte, habe ich die Augen geöffnet. Oder gezwungenermassen, um Oimjakon zu einer Zugabe zu bewegen. Vergebens.
Aber da stand ja auch noch die Plattentaufe von Silentbass an. Circle heisst das Werk. Und obwohl sie – Lorenz Niederer und Alessandro Cappilli – in gewisser Weise ganz andere Musik erschaffen, haben sie für mich nahtlos an die Stimmung im mittlerweile sehr vollen Palace angeknüpft.
Geloopte Bassspuren in allen möglichen Varianten: ruhige und schwelgerische, hohe Melodien, filigrane Akkorde, tiefe, bassige Rhythmuslinien und wahnwitzig schnell gespielte Riffs – alles haben diese Virtuosen locker aus dem Ärmel geschüttelt und vermischt. Dabei haben sie noch viel mehr Effektgeräte bedient als Oimjakon. Und obendrein: Über Loops zu spielen verlangt einen sehr hohen Grad an Präzision, gerade vom Schlagzeuger. Bei so viel Können war ich schon beinahe erleichtert, als ich ein einziges Mal einen Spielfehler bemerkt zu haben glaubte.
Die zwischendurch live vorgetragenen philosophischen Texte über alte Griechen, Einstein, das Weltall und die Zeit waren für mich so verblüffend, wie passend. Einzig die Tanzeinlage hat mir nicht so gut gefallen. Meinem Stehnachbarn aber sehr wohl.
Es war ein sehr gelungener, gesamtkunstwerkartiger Abend, der einen mit dem Wunsch nach mehr zurücklässt: mehr Atmosphäre, mehr Hall, mehr Oimjakon, mehr Silentbass – und mehr Metal im Palace!