, 22. Januar 2018
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NoBillag reloaded

Wer die Absichten hinter der NoBillag-Initiative, über die am 4. März abgestimmt wird, verstehen will, muss zurückschauen – in die Schweiz der 1970er-Jahre. von Toni Saller

Auch die Filmschaffenden sind von NoBillag bedroht. Mehr dazu am Ende des Beitrags und auf filmschaffende-gegen-nobillag.ch. (Bild: Filmstill)

«NoBillag» gab es schon einmal, lange bevor die 1998 gegründete Billag überhaupt existierte, in den 1970er-Jahren. Damals nicht als Volksinitiative, sondern als einen von der SVP und dem sogenannten Hofer-Club orchestrierten Mix aus Nationalratspostulat, aargauischem Fundamentalismus und gezielt mobilisierten Wutbürgern, die Einzelbeschwerden gegen die SRG einreichten bei der damaligen obersten Beschwerdeinstanz und Konzessionsgeberin, dem Eidgenössischen Energie- und Verkehrsdepartement EVED.

Marie Therese Guggisberg, später die erste weibliche Tagesschau-Moderatorin, organisierte im Wintersemester 1976/77 ein Seminar am Publizistischen Institut der Universität Zürich mit dem Titel «Systemtoleranz». Ihre Arbeitsgruppe untersuchte die Beschwerdefälle gegen die SRG wissenschaftlich und systematisch. Ich habe damals als junger Student teilgenommen und den Seminar-Ordner heute, 40 Jahre später zuunterst in einer Kiste im Keller gefunden.

Kontroversen um Armee und AKW

1975 waren Beschwerden gegen Sendungen des Schweizer Fernsehens zwar nicht neu, häuften sich aber auffällig beziehungsweise steigerten sich zu eigentlichen Kampagnen gegen die SRG. Die drei bekanntesten Fälle von damals seien kurz vorgestellt.

«Heer und Haus» war eine Sektion der Schweizer Armee, die nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte, die Haltung der geistigen Landesverteidigung im Kampf gegen den als totalitär kritisierten Kommunismus bei der Zivilbevölkerung wach zu halten. Eine Sendung von Fernsehen DRS über «Heer und Haus» vom 6. Mai 1975 führte zu einer Flut von Beschwerden wegen «genereller Stimmungsmache gegen die Schweizer Armee». Sie forderten «Wiedergutmachung am Bildschirm». Das Eidgenössische Verkehrs- und Energiedepartement als Konzessionsbehörde erkannte zwar keine Konzessionsverletzung, aber immerhin eine journalistische Fehlleistung. 1978 löste der Bundesrat «Heer und Haus» auf.

Heftiger prasselten die Beschwerdeschriften nach einer Sendung vom 16. Oktober 1975 auf die SRG ein, 76 an der Zahl. Der «Bericht vor 8» zeigte ein explizit als Selbstdarstellung ausgewiesenes Porträt des sogenannten Soldatenkomitees, einem Vorläufer der GSoA, die auf offene Empörung stiess. «Linke Propaganda» und «manipulierte, armeefeindliche Gesinnung» sei da am Werk gewesen. Man forderte personelle Konsequenzen, um solche Fehlleistungen künftig zu verhindern.

Eine Inhaltsanalyse der Beschwerdebriefe durch die Projektgruppe Guggisberg ergab, dass diese identische Sätze enthielten und es sich dabei um ein organisiertes Vorgehen gegen das Fernsehen handelte. 90 Prozent der Briefe kamen aus dem Kanton Aargau. Die Beschwerde wurde teilweise gutgeheissen. Der Grundsatz der Objektivität sei verletzt worden und somit die Konzession. Der Generaldirektor der SRG musste eine scharfe Rüge hinnehmen, Besserung geloben und schärfere Programmrichtlinien ankündigen.

Der bekannteste Beschwerdefall war die Sendung über Kaiseraugst vom 6. Mai 1975. Beschwerdeführer war Louis Lang, Mitglied der 1971 gegründeten SVP und Aargauer Regierungsrat. Die Sendung habe zugunsten der Besetzer des Kaiseraugst-Geländes informiert und unzulässige Hinweise auf Aktionen und Demonstrationen gemacht, ja, die linken Aktivisten seien geradezu unterstützt worden von der SRG, hiess es. Man forderte, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden und das Fernsehen eine Gegendarstellung samt Entschuldigung sende. Die Beschwerdeinstanz stellte jedoch keinerlei Verletzungen der Konzession fest. Wesentlicher Treiber der Attacke war das «Aargauer Tagblatt», das sich als einziges Presseorgan vehement auf die Seite des Beschwerdeführers stellte.

Das «extremistische» Fernsehen

Die Angriffe auf die SRG von 1975 hatten eine Vorgeschichte auf der politischen Bühne: Massgeblich war das Postulat der beiden Nationalräte Fritz Krauchthaler und Erwin Akeret (beide SVP) «für mehr Kontrolle eines nicht mehr objektiven Fernsehens und die Schaffung von wirksamen Kontrollinstanzen» aus dem Jahr 1972. Artikel 13 der damaligen Fernsehkonzession vom Bund forderte explizit objektive Berichterstattung.

No-Billag: Wie weiter mit dem öffentlichen Fernsehen und Radio? Diskussion mit Regula Rytz (Präsidentin Grüne), Lukas Weiss (Union Nicht-Kommerzieller Lokalradios), Noah Menzi ( Kantonalpräsident Junge FDP) Sascha Schmid (Kantonalpräsident Junge SVP) und Hansi Voigt (Journalist): 23. Januar, 20:15 Uhr, Palace St.Gallen

Begleitet wurde das Postulat von einer breiten Polemik des SVP-Pressedienstes, der sich auf eine unzufriedene Bürgerschaft berief und viele Verstösse gegen Artikel 13 zu sehen glaubte. Dazu gehörte die Berichterstattung über den Jura-Konflikt oder über das vom Justizdepartement verhängte Einreiseverbot gegen den linken Ökonomen Ernest Mandel. Und immer sahen die SRG-Kritiker ein von links unterwandertes, mit dem Kommunismus sympathisierendes, ja, gar mit ihm verbandeltes Schweizer Fernsehen als Feindbild. Im März 1972 schrieb der SVP-Presserat: «… und es ist ebenso offensichtlich, dass unser Fernsehen überall dort dabei ist, wo radikale, extremistische Kräfte am Werk sind». Selbst am Kulturprogramm bemängelte man, dass «progressive» Autoren wie beispielsweise Adolf Muschg bevorzugt behandeln würden.

1974 wurde aus diesen SVP-Kreisen die Schweizerische Fernseh- und Radiovereinigung gegründet. Bald war diese nur noch nach ihrem Gründer benannt: Hofer-Club. Walther Hofer war Historiker und Nationalrat der SVP und wollte im Geiste des Kalten Kriegs die linkslastigen Medienschaffenden zur Räson bringen. Zusammen mit Ernst Cincera, dem «Kommunistenjäger» (FDP), verkörperte Hofer die McCarthy-Ära der Schweiz.

Teleboy und die Sorgen der Kleinbürger

Nach mehr Privatisierung konnte der Hofer-Club noch nicht schreien. Seine Forderung hiess mehr Kontrolle – und dies mit Erfolg: Die SRG wurde gezwungen, eine Beschwerdestelle und Richtlinien für ein geregeltes Beschwerdewesen einzurichten. Alle Beschwerdefälle mussten seither statistisch erfasst, sortiert und analysiert werden.

Was dann allerdings nach 1975 beim Fernsehen an Protesten eintraf, waren weniger politische Zurechtweisungen, sondern vielmehr Beschwerden eines bereits auf seichte und harmlose Sendungen getrimmten Publikums. In einem Bericht der Beschwerdestelle aus dem Jahr 1976 kommt ein Schweizer Kleinbürgertum ohne Ambitionen zu Wort: «Warum fallen Teleboy und Dalli-Dalli auf den selben Abend?» – «Die Rudi Carrell Show war in letzter Zeit eine Zumutung!» – «Fühle mich wegen der Namensgleichheit mit einem Gesuchten aus Aktenzeichen XY geschädigt». Diese Liste liesse sich beliebig verlängern und böte Stoff für eine veritable Fernsehparodie. Das noch politischste Statement findet man in einer Beschwerde vom September 1976, wo sich ein Radiohörer über die eingespielte Trauermusik zu Maos Tod beschwert.

Immerhin: Hofer entdeckte die Wirksamkeit und Nützlichkeit des «Wutbürgers» und erfand damit den rechten Populismus, das Erfolgsrezept der SVP. Auch ohne Internet und Social Media taten simple Leserbriefe das ihrige, um der SRG einzuheizen. Diese widerstand weitestgehend, und der Versuch, sie zu entpolitisieren und gefügiger zu machen, versandete zusehends. Allerdings nicht ganz, wie die bevorstehende NoBillag-Abstimmung zeigt.

Toni Saller, 1956, ist Ethnologe, hat 30 Jahre in der Informatik gearbeitet und ist heute freier Schreiber. Er lebt in Zürich.

b-schreiben.ch

Die NoBillag-Initiative bedroht auch den Schweizer Film und insgesamt 13’500 Stellen, schreibt das Komitee Filmschaffende gegen NoBillag heute in einer Medienmitteilung. «Um die Absurdität dieser gefährlichen Initiative aufzuzeigen, haben über 40 Filmschaffende aus eigenem Antrieb und unentgeltlich drei kurze Spots produziert. Diese behandeln die Privatisierung von öffentlichen Institutionen, wie der Feuerwehr, der Schule und der Trottoirs.»

Hier ein Müsterchen:

2 Kommentare zu NoBillag reloaded

  • Gottlieb F. Höpli sagt:

    Der Aargauer Regierungsrat Louis Lang, der die Atomkraft befürwortete und scharf gegen das Kaiseraugst-Komitee zu Felde zog, war mitnichten Mitglied der SVP. Der Jurist war zeitlebens SP-Mitglied. Das hätte man rasch recherchiert gehabt. Aber was nicht ins eigene Weltbild passt, existiert eben auch nicht.
    Von einem „SVP-Presserat“ ist mir nichts bekannt. Vermutlich war die entsprechende Pressestelle der Partei gemeint. Beim Presserat handelt es sich um ein aus Journalisten, Verlegern und der SRG besetztes Gremium, das über die helvetische Medienethik wacht und entsprechende Beschwerden bearbeitet.
    Aber dem Autor ging es anscheinend vor allem darum, den Namen SVP möglichst oft in seinem Text zu erwähnen. Wohl in der Hoffnung auf einen Grusel-Effekt bei den „Saiten“-Leserinnen und -Lesern.

  • Toni Saller sagt:

    Vielen Dank für die Berichtigung. Tatsächlich ist mir mit Louis Lang ein peinlicher Fehler passiert, ich kann mich dafür nur entschuldigen. Bei Krauchthaler und Akeret habe ich effektiv beim Schreiben nochmals nachrecherchiert, bei Lang es unterlassen, weil in meinen Unterlagen von damals SVP als Parteizugehörigkeit vermerkt ist. Der Begriff ‚Presserat‘ ist auch ein Fehler meinerseits, es muss ‚Pressedienst‘ heissen, ganz klar.
    Ich habe jetzt gerade erstaunt festgestellt, dass mein letzter Satz im Artikel irgendwo in der Redaktion wohl verlorengegangen ist (vielleicht kann diese das noch bestätigen). Der sollte nämlich meine Intention zum Ausdruck bringen:

    „Was sagt uns das im Jahr 2018: Auch heute ist NoBillag kein Engagement für die geplagten Gebührenzahler, sondern der Kampf eines konservativen und rechtsgerichteten Bürgertums gegen ein in ihren Augen zu linkes Radio und Fernsehen.“

    Dies um zu sagen, dass ich nicht einfach gegen die SVP zielen wollte, denn das wäre damals und ist heute zu kurz gegriffen.

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