Nicht nur der Sieger war «zimli zfride»

Die St.Galler Tonhalle für einmal als Worthölle: Am Samstag wurde dort der neue Schweizer Slam-Champ gewählt. Remo Zumstein siegte; Marguerite Meyer war dabei.
Von  Gastbeitrag
Z'fride: Remo Zumstein (Bilder: Marcello Engi)

Kulminationspunkt der dreitägigen Schweizer Meisterschaft im Poetry Slam ist jeweils das Einzel-Finale. Manche würden sagen, der inoffizielle Höhepunkt finde nach der Show morgens um drei Uhr im Backstage statt, aber das sind nur Gerüchte, die wir an dieser Stelle nicht weiter nähren möchten.

Die Tonhalle also: Es hatte etwas Glamouröses, den altehrwürdigen Musiktempel zu betreten. Der Grosse Saal ist eben doch recht eindrücklich. Ebenso eindrücklich: Das violett-rosa Licht der Bühne, die Grossleinwand, die glänzenden Haare (an dieser Stelle sei auch der einzige Etrit-Insider dieses Artikels verziehen: Wella!).

Schick im Anzug mit Fliege (aber in rund 50 Shades of Schwarz) betrat das Moderatorenduo Ralph Weibel und Etrit Hasler die Bühne. Opferlämmer gab es gleich zwei. Stadtrat Markus Buschor machte den Anfang – indem er sich selbst unterhaltsam auf die Schippe nahm. Renato Kaiser, Opfer Nummer zwei und Schweizer Meister 2012, sprach über Menschen mit einem, zwei und drei Hoden und brach damit endgültig das Eis beim Publikum. Mit seinem irrwitzigen Eiertext legte er die Latte schon mal hoch. (Höhö, yes, I just did.)

Von Fürzen und Friedhöfen…

Den Auftakt zum Wettbewerb der neun Finalisten und -innen machte Dani Wirth, der sich sein stark ostschweizerisch eingefärbtes Hochdeutsch zu Nutze machte und sich über jene mühsamen Zeitgenossen in Rage redete, die wir alle kennen: «Jeder will es alles besser wissen!»

Mit «Furz ist ein ganz normales Wort!» gab Lara Stoll einen Vorgeschmack (jawohl!) auf die textliche Absurdität, die sie auch im Stechen des Finales zelebrieren sollte. Ein Essay mit (zu?) vielen Insiderwitzen, aber mit einer unehrgeizigen Nonchalance, die das Publikum überzeugte.

«Bern ist sowas wie ein Friedhof mit Strassenbeleuchtung», gab Titelverteidiger Christoph Simon zu. Ein Text, der einen feinsinnig einwebte. Doch offenbar hatte das Publikum nicht besonders Lust auf Feinsinnigkeiten. Doch muss jedoch festgehalten werden, dass die Publikumsjury mehr oder minder fair und konsistent benotet hat.

Laurin Buser lud ein auf eine Reise in das «Überbewusstsein» – das er als ehemaliger Steiner-Schüler kenne, wie er spöttelte. Sein explosiver Stilmix aus Rap-, Beatbox- und Theaterelementen, mit Publikumseinbezug und popkulturellen Referenzen kam zwar an, reichte aber nicht fürs Stechen.

Ins Dreier-Stechen schaffte es hingegen Remo Zumstein, der mit berndeutschen Wortspielereien, Anspielungen auf First-World-Problems gepaart mit Blödeleien auftrumpfte und es gar schaffte, seine Website am Schluss des Textes zu erwähnen. Geschicktes Marketing!

…und einer Bühne im Gummibärchenlicht

In der Zwischenzeit fühlte sich die Autorin dieses Artikels etwas flau im Magen, was vielleicht an den Rosa-Grün-Blau-Wechseln des Bühnenlichts lag. Knapp am Glück schrammte Phibi Reichling vorbei, der mit der atemberaubenden Geschichte über Balduin, den Königspinguin (der nicht fliegen kann, es aber trotzdem versucht) eine moderne Fabel (auf Speed) geschaffen hat. Elende Streichnoten! Mehr dazu später.

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Lara Stoll, Fitim Lutfiu und Remo Zumstein, umrahmt vom Moderatorenduo Ralph Weibel und Etrit Hasler bei der Siegerehrung.

Als fiktiver Kunstauktionär holte Valerio Moser Gebote für nicht vorhandene Gemälde vom Publikum ein. Sein mit Schimpftiraden angereicherter Text brach mit dem Erwarteten genauso wie seine (leider) heiser gewordene Stimme. Doch was ist schon eine Schweizer Meisterschaft ohne Heiserkeit!

Mit Peter Heiniger war ein weiteres Berner Talent vertreten: Geschickte Alliterationen und irre Zungenbrecher erzählten die Geschichte von «Piratenlotti». Es ging auch noch um eine Ratte, eine Robbe und Rabauken. Viel verstanden hat die Autorin nicht, aber das lag definitiv am eigenen schwammig-verkaterten Hirn.

Überrascht hat Fitim Lutfiu, der den Albaner raushängte und den einzigen wirklich politisch-kritischen Text des Abends las («Du sollst Vater und Mutter nicht unter Marktwert verkaufen»). Er brachte das Publikum auf seine Seite – und sich selbst Punktegleichstand mit Phibi Reichling. So kam die Zählung der Streichnoten zum Einsatz: Mit 0,1 Punkten Unterschied zu Phibi zog Fitim ins Stechen ein. Um eine Floskel zu bemühen: Des einen Glück, des anderen Leid.

Ein Märchen für den «Selbstverhinderer»

Im Stechen ging dann alles ganz schnell: Fitim hatte keinen weiteren Text dabei und improvisierte über den Heimatbesuch in Mazedonien. Laras dadaistisch-provokative, raumfüllende «Deine Mutter»-Performance kam dann doch nicht ganz an gegen Remos Text für alle «Selbstverhinderer» und Selbstmitleidwälzer.

Und so wurde der Poet zum Schweizer Meister gekürt, der bereits im vergangenen Jahr ganz knapp den Titel verpasst hatte. Märchen gibt es eben manchmal doch. «Im Grosse und Ganze bini zimli zfride» hatte er noch in seinem Text wiederholt – und fürs Mehr-als-Zufriedensein hatte Schweizer Meister Remo Zumstein am Ende des Abends allen Grund.

Bilder: Marcello Engi