Seit 2020 bin ich regelmässiger Zuschauer von «Stricker TV». In der Sendung vom 23. November 2024 mit dem interessanten Titel «Krass! SP-‹Mann› Cédric Wermuth gesteht, dass ihn Wut und Frust auffressen, was oft zu Gewalt führt» erfuhr ich vom geplanten Fest in Hug’s Kurzeck am 6. Dezember. Da auch drei Songs von Michael Bubendorf, «Hochseeschifffahrts-Unternehmer» und «Freund der Verfassung», angekündigt waren, wusste ich: Da muss ich hin.
Wie kam man da überhaupt hin und rein?
Mit der Appenzellerbahn, vormals Trogenerbähnli, bis Haltestelle Schwarzer Bären, dann zu Fuss hinunter zur Speicherstrasse 141. Geladen waren Mitglieder der Freiheitspartei sowie Supporter von Strickers Kanal «locals». Dort wurde ich kurzentschlossen für 15$ pro Monat Mitglied. Damit war es ein günstiger, um nicht zu sagen: billiger Abend – angesichts der vielen Attraktionen, die einem geboten wurden. Und der Dollar ist ja auch nicht mehr, was er einmal war: Stand am 6. Dezember 2024: 88 Rappen.
Warum fand das Ganze in «Hug’s Kurzeck» statt?
Mit der dort 1937 geplanten und verhinderten Nazi-Totenburg hatte die Veranstaltung nichts zu tun. Beizer Erich Hug, früher tätig in «Hug’s Ochsen» am Ochsenkreisel in Gossau (die «Ochsentour»), ist seit Corona-Zeiten ein grosser Fan von Daniel Stricker. Der begnadete Breakdancer erzählte am späteren Abend dann stolz von der Bühne herab, er habe sich nie getestet, nie geimpft und nie eine Maske getragen. Und im Kurzeck habe er «alli ineloh».
In der ursprünglichen Fassung hiess es, Hug habe «die verlangten Massnahmen in seinem Kurzeck nie umgesetzt: keine Impfzertifikate, keine Masken». Diese Formulierung wurde angepasst.

Die geplante Nazi-Kriegsgräber-Totenburg auf Kurzeck (Zeichnung: Ernst Ziegler)
Wie war die Stimmung im Saal?
Bei einem leckeren Thai-Curry, einem guten Rotwein und interessanten Tischgesprächen ausgezeichnet. Mit Themen wie Chemtrails, Daniele Ganser, Zerreissen von Serafe-Rechnungen, Argumente für Flat Earth, Inexistenz von Viren, Strickers Buch der Schande, versteinerte 300 Meter hohe Riesenbäume, Elon Musk und Anarchokapitalist Javier Milei brachte sich das an sich schon gut gelaunte Publikum in Stimmung. Und wurde dann durch Strickers «Tagesschau» mit angenehm-gruseligen Nachrichten via Beamer belohnt: EU-Vorschriften für Landfrauen-Kuchen auf Weihnachtsmärkten, Still-Verbot für Transfrauen, Völkerball als politisch nicht mehr korrektes Spiel, usw. Dazu gab es Mandarinli, Erdnüssli und köstliche Chräbeli.
Gab es breaking news?
Ja, voll! Der Walliser Roger Bittel hat seit Corona als offiziellen Wohnort Kizimkazi auf Sansibar. Sein Lebensmittelpunkt ist unklar, wenn er überhaupt einen hat. Er ist mal in der Schweiz, dann mal wieder auf Nordzypern. Im Kurzeck-Saal versuchte der Krypto-Währungspionier, IT-Unternehmer, Grafiker und Fotograf zum gefühlt siebenunddreissigsten Mal, ein totes Pferd zu reiten. Tief überzeugt, dass nun alles auffliegt, berichtete er über einen Polizeioffizier in Bergamo, welcher grad kürzlich gegenüber der italienischen Covid-Untersuchungskommission ausgesagt habe, dass in den Militärlastwagen vom März 2020 nur je ein Sarg gewesen sei. Die natürlich konspirative Logik dahinter: Der Konvoi sollte viel länger aussehen und für die Weltöffentlichkeit eine maximale Schockwirkung erzielen. Die Wirkung der Enthüllung auf den Kurzeck-Saal war maximal: Fast alle im Publikum nickten begeistert.
Was trug Stricker?
Er trug einen Zip Hoodie, einen Kapuzenpulli mit Reissverschluss, mit dem Aufdruck «Fight, Fight, Fight» mit einer raffinierten Typografie, die ein Schweizerkreuz ergibt. Die gibt es in seinem Shop auch auf T-Shirts für Fr. 49.-/Stück und auf einer Baseball Cap für Fr. 29.-. Eine solche Mütze überreichte Stricker nach dem Talk seinem Gast Andreas Glarner, der sinngemäss sagte, die könne er zum Wandern brauchen, aber dann doch davor zurückschreckte, sie sich aufzusetzen. Die nette und speditive Bedienung in Hug’s Kurzeck trug übrigens allerhand lustige Santa-Claus-Items wie Mützen, Kostüme und Haarreifen.

Das exklusive Fight-Shirt aus dem Strickershop
Wird Michi Bubendorf der Bob Dylan der Verschwörungsschwurblerwirrköpfeszene?
Eher nicht. Er sang, wie es bei Heinrich Heine heisst, «mit wahrem Gefühle und falscher Stimme». So falsch, dass man aus dem ihm sehr wohlgesinnten Publikum sogar hörte: «Da isch scho no muetig!» Das zweite Lied schien seinen Welt-, Seelen- und Coronaschmerz auszudrücken, zumindest konnte man das Reimpaar «Never free / never me» heraushören. Von ganz anderer Qualität war sein erster Song. Da hörte man – nebst viel anglophil Unverständlichem – deutlich den bedeutungsschweren Refrain «Lest we forget / the great reset!» heraus (Deutsch: Auf dass wir nicht den grossen Reset vergessen!). Ob Bubendorf dabei von Kipling beeinflusst war, der in seiner Hymne Recessional den Stolz auf das britische Empire, aber auch dessen Vergänglichkeit ausdrückt («Judge of the Nations / Spare us yet / Lest we forget – / Lest we forget!»), oder von Klaus Schwabs «grossem Neustart» am WEF 2020 – das war an diesem Abend nicht in Erfahrung zu bringen. Musikalisch sehr viel professioneller wurde es dann später am Abend, als der Sänger und Musikproduzent Salvatore «Salvo» Ingrassia die Bühne betrat. Unvergesslich sein Hit Losed sie Frau Küenzi, bitzli gwaggle müend si, der 1989 von Charles Lewinsky getextet und von Carlo Brunner vertont wurde.
Mutig: Michael Bubendorf
War SVP-Glarner extrem rechts oder rechtsextrem unterwegs?
Der Wein-, Spirituosen- und Olivenölhändler aus dem Aargau, der über die «Ochsentour» Nationalrat geworden ist, war grossartig. Zusammen mit dem schlagfertigen und zeitgeistreichen Stricker machte er Comedy vom Feinsten. Das Gürtellinienniveau lag irgendwo zwischen Peach Weber und «Comedymänner», aber was die beiden während einer guten halben Stunde auf die immer wieder anders beleuchtete Bühne brachten, war um Längen besser als Büssi, Schweizi, Herzi, Vetti, Ivani, Fabi, Ladari, Patti, Zuccoli, Mutzi und wie all die Comedians und Clowns in der geschützten Werkstatt «SRF» heissen. Sogar die wenigen hartgesottenen Linken in «Hug’s Kurzeck» mussten lachen.
Comedy vom Feinsten: Stricker und Glarner
Was für Jokes platzierte der in Glarus heimatberechtigte Aargauer Glarner zum Beispiel?
Nennenswert sind mindestens vier. «Was ist der Unterschied zwischen einem Elektroauto und Durchfall? Es gibt keinen. Man ist in beiden Fällen froh, wenn man es nachhause schafft.» Noch besser: «Aargauer Wein erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung.» Dann einer im Zusammenhang mit Glarners finanziellen Verlusten im Weingeschäft: «Baron von Rothschild sagte zu einem Vermögensverwaltungskunden: ‘Ihr Geld ist nicht verloren. Es gehört jetzt nur einfach jemand Anderem.’» Und schliesslich der hier: «Nicht jeder Muslim ist ein Terrorist, aber fast jeder Terrorist ist ein Muslim!» Letztere Aussage wurde, das soll hier nicht verschwiegen werden, aus dem Publikum durch einen Zwischenruf herausgefordert. Ob es dazu Zahlen gebe, rief jemand.
Was war der von Stricker angekündigte «Tiefpunkt»?
Stricker ist Liederrmacher, ein three hit wonder: «Frei gezeugt und frei geboren», «Selber gemacht» und «Let’s Make die Schweiz Winnetou Again». Schon im Voraus hatte er von einem provozierenden neuen Song mit dem Titel «Ihr werdet von den Brücken hängen» geraunt. Am Abend in St.Gallen kündigte er dann an, er werde am Schluss des Abends, als absoluten «Tiefpunkt», dieses Werk uraufführen, um dann gleich noch Daniele Ganser zu dissen. Stricker, der Glarner «einen echten Mann» nannte, der den ganzen Abend mit «Eier»-Metaphern brillierte und auch gern köstliche Witze über Penisgrössen machte, hält den Historiker und Friedensforscher und 9/11-Propheten offenbar für ein Weichei. Dem werde er nun, so ein richtig angetörnter Stricker, ein für alle Mal zeigen, wer hier der krasse und furchtlose Widerstandskämpfer und Zampano sei.
Und, wie war das Lied?
Der «Chlaus-Hit» war eine herbe Enttäuschung. Trotz Herumgefuchtel mit grossen Messern, trotz mehr sprachlichem Dreck und grimmigem Dreinschauen, trotz reizendend Wörten wie «Schaitan» und «Nürnberg» und trotz Breitseiten gegen Bushido, Campino, Farin, Smudo, Sido, Berger, Koch, Berset, Merkel und Lauterbach u.a.m. gelang es dem «Rap-Gott» (Stricker über Stricker) nicht, den Eindruck zu zerstreuen: Dass da einer auf Marilyn Manson des Thurgaus macht und dass da einer glaubt, sich austoben, den harten Kerl und den Freiheits-Guerillero markieren zu müssen, weil einfach niemand den ehemaligen Immobilienbewirtschafter, den Hochzeits- und Trauerredner einmal in den Arm nimmt und zu ihm sagt: «Alles ist gut, Dani. Alles ist gut. Pssst, Dani! Ruhig! Es gibt ein Leben nach Corona, Dani! Psssst! Komm zu dir! Komm zu mir! Alles wird gut!»
Hans Fässler, 1954, ist Historiker und Kabarettist. Seit 2017 versucht er herauszufinden, was passiert, wenn man sich freiwillig in Parallelwelten begibt. Nach Besuchen bei Peach Weber, Daniele Ganser, Christoph Blocher, dem FC St.Gallen und Andreas Gabalier setzt er heute seine Serie «Von-einer-Filterblase-zur-anderen» mit Daniel Stricker & friends fort.

Videostill aus «Sie werden von den Brücken hängen»