Neuland in Altstätten
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Zwei Sorten Bewohner hat die ehemalige Baumschule der Gärtnerei Müller in Altstätten bereits. Die Vögel, die sich in den Vogelhäuschen überall im Gelände bereits eingenistet haben, nicht mitgezählt. Im Gebälk des Lagerschuppens haust ein fetter Marderhund, der sich immer wieder einmal blicken lässt, dem aber bis jetzt auch nach mehrmaligem Ausschwefeln nicht beizukommen war. Er wird wohl bleiben. Und in einem Schacht auf dem Gelände hocken drei Kröten. Auch sie bleiben, sie sind schliesslich herzig und weniger gefrässig als das waschbärartige Hundetier.
Bald sollen in den Schiffs-Containern, die zum Teil schon stehen, auch Menschen leben. Zum Beispiel Fiona Tobler, Mitinitiantin der «Zwischennutzung Gärtnerei» im lange verwaisten Niemandsland zwischen neuem Coop und der Firma Ego Kiefer. Die Materialdesignerin, Gastronomin und Permakulturistin aus Berneck wird demnächst ihre neue 12-Quadratmeter-Behausung für die nächsten fünf Jahre beziehen.
Roger Graf und Thomas Oesch, die beiden Altstätter Architekten und Mitinitianten des Projekts, teilen sich unmittelbar neben der ehemaligen Gärtnerei ein Büro. Graf ging täglich am Gelände vorbei, das die Gärtnerei Müller 2009 verlassen und seither nur noch selten genutzt hatte, und dachte sich, dass man damit etwas für die Bevölkerung machen müsse. Ein öffentlicher Raum, der allen zugänglich ist.
Nun führt ein Gehweg durch das aus Dachlatten wild zusammengezimmerte Eingangstor über das Gelände und über ein Holzbrücklein zum Coop. Der Grossverteiler hat hierfür extra einen Parkplatz zur Verfügung gestellt. Denn die Fussgänger haben bisher die Abkürzung über die Anlieferungsrampe benutzt. Nun können sie mitten durch die alte Gärtnerei bummeln, über ein Gebiet, von dem lange niemand mehr richtig Notiz genommen hat.
Zugänglich für alle
Die einstige Baumschule soll zum Treffpunkt werden, wo sich Leute aktiv beteiligen können, beispielsweise am gemeinschaftlichen Permakultur-Garten. Oder sie können einfach nur hindurchspazieren oder ihr Mittagssandwich im Schatten der Bäume verdrücken.
Das Bedürfnis nach öffentlichem Raum sei auch auf dem Land nicht zu unterschätzen, ist Thomas Oesch überzeugt. Selbst wenn es im Rheintal überall stark «einfamilienhäuselt». Auch er wohnt in einem Einfamilienhaus, die Hecken und Zäune rundherum hat er aber entfernt.
Vergangenen Sommer haben die Initianten den Verein «Zwischennutzung Gärtnerei» gegründet. Die Grundbesitzerin, die Gärtnerei Müller, war einverstanden. Erste Aufräum- und Sanierungsarbeiten hat das Team aus Architekten, Sozialarbeiterinnen, Schreinern, Gärtnerinnen, Elektrikern und Maurern bereits geleistet. Deponieberge wurden abgetragen, Totholzhaufen für Kleinstlebewesen aufgebaut.
Das von Kletterpflanzen umrankte Gartenhäuschen wurde geräumt. Darin lagen noch Flaschen und anderer Unrat von der letzten Gärtnersitzung herum. Jetzt dient es als Aufenthaltsstube und Garderobe für Schulklassen, die die Gärten bestellen. Im Lagerschuppen ist eine provisorische Werkstatt eingerichtet. Die sanitären Anlagen werden gangbar, eine Dusche und eine Küche eingebaut.
Gerade wurde die Baueingabe gemacht. «Viele Institutionen legen wenig Mut an den Tag», sagt Roger Graf. «Finanziell unterstützen sie eine Sache erst, wenn sie die Gewissheit haben, dass es funktioniert.» Die Karl-Zünd-Stiftung etwa zeige sich hier schon hilfsbereiter.
Es gehe in dieser Zwischennutzung aber nicht um Profit. «Viel zu oft passiert es in solchen Quartierentwicklungen, dass kulturell, sozial und ökologisch engagierte Menschen einen öffentlichen Raum schaffen, der dann plötzlich hip wird und Investoren anlockt», sagt Graf. «Und schon schiessen die Grundstücks- und Wohnungsmieten in die Höhe.» So soll es in Altstätten nicht laufen, die Gefahr der Gentrifizierung scheint im Städtchen auf dem Land ohnehin nicht gleich gross zu sein wie in städtischen Gebieten. Dennoch hört Graf den Begriff des «urbanen Labors» gerne.
Kein Lärm, aber Leben
Die «Zwischennutzung Gärtnerei» besteht zu zwei Dritteln aus Grünfläche – Gärten, Wiese, Bäume, Sträucher. Der andere Drittel mit den Containern, Holzhütten und SBB-Palett-Konstruktionen nach holländischem Do-It-Yourself-Vorbild wird sich mäandrierend über das Gelände ziehen.
Parallelen zum Lattich in St.Gallen lassen sich nicht leugnen, Roger Graf war selber planerisch tätig in der Zwischennutzung in der Kantonshauptstadt. In den Containern in Altstätten wird es Platz geben für Ausstellungen, ein Vereinslokal, Wohnräume und einen Co-Working-Space mit Ledernähatelier, Grafikstudio, Massagepraxis und Holzwerkstatt.
Laute Konzerte bis tief in die Nacht – die grösste Sorge einiger kritischer Anwohner – wird es nicht geben. Kleinere Musik-Sessions sind hingegen möglich, aber allerhöchstens bis 22 Uhr und in angemessener Lautstärke. Die Zwischennutzung, die vorerst auf fünf Jahre ausgelegt ist, soll die Menschen nicht gegeneinander auf-, sondern sie zusammenbringen.
Das funktioniert schon heute. Auch wenn die meisten eher links-grün angehaucht sind, gibt es Leute, die politisch am anderen Ende des Spektrums anzusiedeln sind und sich dennoch mit Herzblut für die Zwischennutzung engagieren – aus purer Freude an der Sache und am gemeinsamen Arbeiten. Eine Kunstvernissage Ende April war zugleich Startschuss für mehr Betrieb auf dem Gelände.
Marderhund, Vögel, Bienen und Kröten haben es sich längst bequem gemacht. Jetzt folgen die Menschen im Einklang mit Natur und Quartier. Auf dem brachen Areal zwischen Gewerbe- und Industriezone kehrt Leben ein.