, 13. November 2018
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Neuer Glanz für die Fifties – und den Pfau

Gebäude, ihre Stile und ihre Konstruktion geraten in der Regel nach ein paar Jahrzehnten in Verruf. In der Folge werden sie oft abgebrochen oder grobschlächtig erneuert. Ein Gegenbeispiel ist der St.Galler «Pfauen».

Die Häuser auf der Ostseite der Torstrasse: das Eckhaus zur St.Jakobstrasse, der Pfauen und die frühere Garage, in der heute «Klang und Kleid» eingemietet ist. (Bild: Tobias C. Bäuerle)

Die Kreuzung am Ostrand der St.Galler Altstadt, dort wo die stadtauswärts führende St.Jakobstrasse beginnt, heisst Platztor oder Pfauen. Auf der Brache in der einen Ecke wird am neuen Campus der Universität geplant, sonst finden die Gebäude an der Kreuzung wenig Beachtung. Doch wer auf der Torstrasse am Lichtsignal wartet, hat ihn wahrscheinlich schon entdeckt: den jetzt wieder farbigen und teils vergoldeten Pfau an der Fassade des Eckhauses.

Dieses ehemalige Wirtshausschild ist zwischen 120 und 150 Jahre alt – genau lässt sich das nicht eruieren. Das Besondere: Es hat einen Abbruch, einen Neubau und zwei Renovationen überlebt. Ein sehr seltener Fall – und das Beispiel eines sorgfältigen Umgangs nicht nur mit diesem Werbeschild von einst, sondern auch mit der Bausubstanz.

Mit fliegenden Dächern: die Fifties

Die stadtsanktgaller Baugeschichte ist geprägt vom Boom der Textil- und Stickereiindustrie. In hohem Tempo wurde ab Mitte des 19.Jahrhunderts die Stadt umgebaut, die Hügel wurden zugebaut. Danach, mit dem Zusammenbruch der Textilbranche in den 1920er-Jahren, stand auch die Bautätigkeit lange still. Gebäude aus den 1930er- und 1940er-Jahren sind in St.Gallen deshalb selten.

Der alte «Pfauen», 1925. (Bild: Stadtarchiv St.Gallen, PA Foto Gross)

Erst ein Jahrzehnt später fanden sich wieder Investoren. Ihre Bauten aus den 1950er-Jahren haben ihre eigene Typologie. Die Geschäftshäuser jener Zeit zeigen streng gegliederte, nüchterne Fassaden und vor allem weit auskragende, fliegende Dächer.

Wie so vielen Baustilen ging es auch dem der 1950er-Jahre: Zuerst gelobt als das Modernste, kam er 20 Jahre später in Verruf, um heute wieder geschätzt zu werden. So diskutiert St.Gallen darüber, wie das markante Union-Gebäude von 1951 mitten in der Stadt zur Publikumsbibliothek umgebaut werden könnte. In der ehemaligen Expresspost an der St.Leonhardstrasse gegenüber des Gaiserbahnhofs – auch ein typischer Bau aus dieser Zeit – soll das Parterregeschoss neu genutzt werden. Zwei Häuser weiter haben sich im Restaurant Leonardo die Fifties fast unverändert erhalten. Und selbst die bescheidene Rondelle auf dem Marktplatz soll mit der neuen Platzgestaltung wieder zu Ehren kommen.

Blick zum Platztor mit «Pfauen» und Avia Tankstelle, 1957. (Bild: Stadtarchiv St.Gallen, PA Foto Gross)

Wenig Beachtung fanden bisher die aus der gleichen Zeit stammenden Häuser auf der Ostseite der Torstrasse: das Eckhaus zur St.Jakobstrasse, der Pfauen, und daneben die frühere Garage in der heute «Klang und Kleid» eingemietet ist. Gebaut wurde der «neue» Pfauen 1956 als Hotel mit Restaurant und Kegelbahn, geplant vom St.Galler Architekturbüro Osterwalder und Neuweiler. An seiner Stelle stand schon zuvor ein Gasthaus mit gleichem Namen. An diesem Vorgängerbau hing das Wirtshausschild, der Pfau, über der Ecke. Der Eingang zum Neubau lag dann aber an der Torstrasse und darüber wurde der Pfau wieder montiert. Dort hängt er heute wieder.

Aus den Hotelzimmern werden Cluster

Das Schicksal war dem Pfauen von 1956 nicht immer gut gesinnt. In den 1970er-Jahren wurde das Parterre abgesenkt und ein Zwischenboden eingezogen. Die horizontale Gliederung, wie sie das Nachbarhaus heute noch zeigt, ging dabei verloren. Aus den Hotelzimmern wurden mit ziemlich grobschlächtigen Eingriffen enge kleine Wohnungen, unter anderem ausgestattet mit asbesthaltigen Novilonbelägen. Doch das Erstaunliche: Das Wirtshausschild, der aus Stahl, Blech und Kupfer getriebene, feingliedrige Pfau, hat auch diesen Umbau überlebt.

Nun haben das Haus und der Pfau eine weitere Sanierung erlebt – diesmal eine mit Sorgfalt und Rücksicht auf die Substanz. Michael Zürcher als Vertreter der Bauherrschaft Immotrado AG und Architekt Peter Lüchinger entschieden sich, in drei der fünf Stockwerke Clusterwohnungen einzubauen – eine für St.Gallen neue Form der «veredelten» Wohngemeinschaft.

Infoabend Cluster und andere neue Wohnformen: 13. November, 20 Uhr, Katharinensaal St.Gallen.
Anmeldung: peter.bischof@stadt.sg

Die Vorbilder stammen aus Zürich. Dort wurden die ersten Cluster 2010 bezogen. Genossenschaften hatten mit ihren Projekten «Mehr als Wohnen», «Kalkbreite», «Kraftwerk» und «Gesewo» (Genossenschaft für selbstverwaltetes Wohnen) diese neuen Grosswohnungen erstmals bauen lassen. Im Cluster verfügt jedes Zimmer über eine jeweils eigene Nasszelle mit Dusche und WC. Pro Wohnung gibt es aber – wie in einer WG – nur eine Gemeinschaftsküche und einen Aufenthaltsraum.

Inzwischen wurden solche Wohnformen auch in anderen Städten realisiert – für St.Gallen sind sie nach Wissen des Bauherrn und des Architekten neu. Für den Ort, direkt gegenüber des künftigen Universitäts-Campus, seien sie prädestiniert. Pro Etage teilen sich hier fünf Bewohnerinnen oder Bewohner Küche und Aufenthaltsraum.

«Feinabbrüche» prägten die Baustelle

Dieses Mal wurde das Haus bis auf den Rohbau von 1956 ausgeräumt, mit Ausnahme des Ergeschosses, wo die Pizzeria Dieci auch während der Bauzeit immer in Betrieb blieb. Mit «Feinabbrüchen» wurde in den Obergeschossen Raum für Raum freigelegt, die Umbauten aus den 1970er-Jahren weggeräumt. Im Keller kamen die Reste des Kegelbahn-Belages ans Licht.

Aktuelle Vorschriften zur Erdbebensicherheit, zum Brand- und Lärmschutz erfordern bei einer heutigen Sanierung einen erheblichen Aufwand, auch wenn die Bestandesgarantie gewisse Zugeständnisse an Maximalvorschriften macht. «Trotzdem lohnt es sich, eine solche Substanz zu erhalten, auch wenn sie im Vergleich zu heute sehr materialsparend gebaut wurde», stellt Architekt Peter Lüchinger fest.

Gleichzeitig mit dem Haus wurde auch das Wirtshausschild, der Pfau, restauriert. Michael Peterer, der selbständige Restaurator, nahm sich dem Objekt an. Schon die Tatsache, dass ein so altes, dreidimensionales Schild bis heute erhalten blieb, sei aussergewöhnlich, sagt er. Damals sei ein sehr begabter Kunstschmid oder Kunstschlosser am Werk gewesen: «Der Pfau zeigt sehr würdevolle Proportionen, und sein Federkleid ist sehr detailreich ausgearbeitet», so Peterer. Er sei auch sehr durchdacht konstruiert.

Der Pfau in neuem Glanz. (Bild: Tobias C. Bäuerle)

Doch der Pfau hatte draussen an der Fassade an der stark befahrenen Strasse gelitten. Unter dem Federkleid war die Erosion stark, die Farben waren unter dem Schmutz und Russ kaum mehr zu sehen, die Konsole war teilweise beschädigt. Zusammen mit einem Farbenspezialisten und einer Kunstschlosserei wurde der Pfau stabilisiert, gereinigt und Schicht um Schicht mit den Farben und zuletzt einem Firnis aus Leinöl und Bootslack erneuert.

«Die Erhaltung der Originalsubstanz und des visuellen Charakters sichtbar zu machen, war das oberste Ziel der Restaurierung», sagt Michael Peterer. So erhielt der Schmuck des Auslegers sein originales Blattgold zurück, das erst entdeckt wurde, als die Reparatur begann. «Man weiss, mit welchen Materialien vor 150 oder 120 Jahren gearbeitet wurde», kommentiert Peterer, «allerdings muss man im Einzelfall abwägen, welches Vorgehen konservatorisch Sinn macht». Und er lobt, dass im Zuge einer Gebäuderenovation ein solches, heute selten gewordenen, Schild saniert wurde.

Inzwischen sind die ersten Bewohnerinnen und Bewohner in den renovierten Pfauen eingezogen. Interessierte an der neuen Wohnform stammen nicht nur aus dem Umfeld der Universität, sondern auch vom Spital, auch Geschäftsleute sind darunter. Michael Zürcher erwartet deshalb, dass sich im erneuerten Pfauen eine bunte internationale Gruppe zusammenfinden wird, fast wie im Gasthaus und im Hotel von damals.

Cluster und andere neue Wohnformen
Clusterwohnungen sind nur eine neue Form des Zusammenwohnens. An einem Informationsabend lädt der Quartierbeauftragte der Stadt St.Gallen,
Peter Bischof, zu einem Austausch ein. Mit dabei sind Nicola Hilti, die sich an der Fachhochschule mit diesen Fragen beschäftigt, Jacques-Michel Conrad, der regionale Geschäftsführer des Verbandes «Wohnbaugenossenschaft Schweiz», Bernhard Müller vom Mehrgenerationenprojekt und Stefan Tittmann vom Verein «Ostsinn – Raum für mehr».

Dienstag, 13. November, 20 Uhr, Katharinensaal St.Gallen.
Anmeldung: peter.bischof@stadt.sg

Dieser Beitrag erschien im Novemberheft von Saiten.

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