Neue Klänge für den Klangweg
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Die Klangwelt Toggenburg ist im Aufbruch. In rund einem Jahr, am 23. Mai 2025, wird das Klanghaus eröffnet. Der elegante und eindrückliche Holzbau am Ufer des Schwendisees oberhalb von Wildhaus, in malerischer Umgebung zwischen Säntis und Chäserrugg gelegen, wird das neue Herzstück der Klangwelt sein (mehr dazu in der Saitenausgabe vom November 2023). Von aussen wirkt das Klanghaus schon fast fertig, im Innern des Gebäudes, das einem grossen Instrument nachempfunden ist, gibt es aber noch einiges zu tun.
Eine Neuerung gibt es jedoch schon im Frühling zu erleben: In diesem Jahr feiert der Klangweg sein 20-jähriges Bestehen – und bekommt aus diesem Anlass eine Auffrischung.
13 neue Klanginstallationen
Viele der bestehenden 28 Klanginstallationen, die Wind und Wetter ausgesetzt sind, sind in die Jahre gekommen. Die Drahtseile sind spröde, die Holzelemente splittern, die mechanischen Teile klemmen. Doch auch das Bewusstsein für die Wahrnehmung von Klang habe sich in all den Jahren verändert, sagt Kathrin Dörig, Projektleiterin des Klangwegs. Deshalb werden die wichtigsten Installationen erneuert und als «Klassik Edition» positioniert, einige werden ganz entfernt, und 13 neue kommen hinzu – es entsteht der «Klangweg 2.0». Dazu gibt es ein komplett neues Design der Installationsorte.
Die Eröffnung ist diesen Samstag, wenn die Sommersaison der Bergbahnen startet. Schon am Freitag beginnt ein zweitägiges Klangfest mit Konzerten in der Propstei Alt St.Johann. Der erste Abend mit Musik aus dem Appenzellerland und dem Toggenburg steht unter dem Motto «Neues aus der Heimat», am zweiten lautet es «Heimat von fern». Dann gibt es Klänge aus dem Baskenland und Persien (Iran) zu hören. Den eigentlichen Auftakt macht am Donnerstag das Schüler:innenkonzert «Johle und Groove» in der katholischen Kirche Alt St.Johann.
Die Hauptschlagader der Klangwelt
Wenn das Klanghaus das Herzstück der Klangwelt ist, ist der Klangweg deren Hauptschlagader. Er erstreckt sich über drei Etappen auf einer Länge von insgesamt knapp acht Kilometern zwischen der Alp Sellamatt, Iltios und Oberdorf (oberhalb von Alt St.Johann und Wildhaus), mit einer «Nebenader» zu den Schwendiseen und dem Klanghaus. Wer den Klangweg unter die Füsse nimmt, was je nach Aufenthaltsdauer bei den Installationen zwischen drei und sechs Stunden dauert, erlebt eine interessante Auseinandersetzung mit Tönen und Materialien, dem Zusammenspiel von Natur und Geräuschen sowie der Klangerzeugung an sich – das gilt für Kinder wie für Erwachsene. All das macht diese «Freilicht-Ausstellung», wie es Kathrin Dörig nennt, zu einem wichtigen Teil der ganzen Klangwelt, die mit verschiedenen Angeboten Klänge erlebbar macht. Auf theoretische oder praktische, aber letztlich immer sehr sinnliche Weise.
Die Klangwelt Toggenburg wurde 2003 vom Toggenburger Musiker und Komponisten Peter Roth initiiert. Im Zentrum steht die Vermittlung der musikalischen Traditionen des Toggenburgs. Zur Klangwelt gehören neben dem Klangweg auch die Klangschmiede in Alt St.Johann, in der man Schellenschmieden bei der Arbeit zuschauen und verschiedene Klänge sowie deren Entstehen erfahren kann, das zweijährlich stattfindende Klangfestival sowie ab 2025 das Klanghaus. Ausserdem bietet die Klangwelt diverse Klangkurse an.
Für die neuen Installationen haben die Verantwortlichen 80 internationale Künstler:innen zu einem Wettbewerb eingeladen. Rund 40 davon sind dem Aufruf gefolgt und haben Ideen eingereicht. Eine Jury hat aus allen Vorschlägen 14 Installationen ausgewählt. Ein Künstler zog sich nachträglich zurück, weil für sein Projekt die Zeit von der definitiven Zusage – für alle Installationen mussten noch Bewilligungen abgewartet werden – biszur Eröffnung Mitte Mai zu knapp gewesen wäre. Und eine Installation, Orthoptera Track, wird erst etwas später realisiert. «Wir sind unter Zeitdruck», sagt Kathrin Dörig. Sie ist erst im vergangenen Dezember zum Teamder Klangwelt Toggenburg gestossen. Vieles, das siejetzt umsetzt, war damals schon aufgegleist. Sie tut es mit Elan und Gelassenheit.
Die Natur diktiert den Zeitplan
Der Zeitplan ist äusserst knapp bemessen. Bis zum Osterwochenende war im Obertoggenburg noch Skisaison, deshalb konnten die Verantwortlichen nur die Planung im Hintergrund vorantreiben. Vor Ort waren keine Arbeiten möglich, weder Erneuerungen der bestehenden Installationen noch die Vorbereitung für die neuen Klangkunstwerke. Mit anderen Worten: Bis zur Vernissage des neuen Klangwegs am 18. Mai blieben nur rund eineinhalb Monate Zeit, um sämtliche Arbeiten durchzuführen. Dass es auch in der zweiten Aprilhälfte noch schneite, war dabei alles andere als hilfreich.
Aber eben: Der Klangweg ist mitten in der Natur, ja ein Teil der Natur. Also muss man akzeptieren, dass zwischendurch die Natur das Tempo vorgibt und nicht die Zeitpläne der Projektverantwortlichen. Es wird ein Wettlauf gegen die Zeit.
Sensibilisierung zum Hören
Während bei den bestehenden Klanginstallationen vor allem das Spielen, die Klangerzeugung im Zentrum stand, ist es bei den neuen eher die Sensibilisierung zum Hören. Der neue Klangweg stehe ausserdem mehr in Verbindung zur Natur, sagt Christian Zehnder, der künstlerische Leiter der Klangwelt Toggenburg. Auch deshalb, weil sich die Schutzzonen in den Wäldern in all den Jahren verändert hätten. Es sei eine Herausforderung, die neuen Installationen an Orten zu positionieren, an denen Natur und Mensch in Einklang kommen – und an denen die Natur nicht durch die Installationen gestört wird.
«Achtsamkeit ist ein zentraler Aspekt», sagt Zehnder. Dabei geht es auch um Themen wie Klangökologie, also den Menschen die Klänge der Umwelt näherzubringen oder überhaupt erst bewusst zu machen. So besteht eine der neuen Installationen lediglich aus zwölf Holzstühlen, die auf einem Podest montiert sind und nur dazu dienen, dass man ganz konzentriert den Umgebungsgeräuschen lauschen kann. Dem Wind in den Baumkronen, den Geräuschen der Tiere, den Stimmen der Menschen, den Traktoren auf den nahegelegenen Feldern.
Geblieben ist jedoch das Spannungsfeld zwischen einem sehr niederschwelligen Zugang – der Klangweg ist kostenlos, Besucher:innen müssen nur das Ticket für die Bergbahnen bezahlen – und einem inhaltlichen sowie ästhetischen Anspruch. Und der Spagat zwischen traditionellen Toggenburger Klängen und modernen und experimentellen Klangformen.
Überdimensionale Mahnmale für den Betruf
Eine für den Klangweg zentrale (und gleichzeitig dezentrale) neue Installation sind drei Holztrichter mit jeweils mehr als zwei Meter Durchmesser – überdimensionale Symbole für den traditionellen Toggenburger Betruf, entwickelt von der Klangwelt Toggenburg. Sie sind quasi Mahnmale für die jahrhundertealte Tradition, die auszusterben droht. Es handelt sich um eine mobile Installation ohne festen Standort.
Als Botschafter der Neueröffnung des Klangwegs wird ein Trichter vom 15. Mai bis 4. August in St. Gallen vor dem Stadthaus stehen, vis-à-vis dem Kloster. Er ist ein Geschenk der Ortsbürgergemeinde St.Gallen und Ausdruck der engen Zusammenarbeit mit der Klangwelt, die sich bereits während der aktuellen Aufbauphase von Klanghaus und Jennyhaus entwickelt hat. Die beiden Häuser befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander und ergänzen sich. Geplant sind Probeaufenthalte für Stadtsanktgaller Musikgruppen im Jennyhaus und dem Klanghaus.
Künftig werden die Betruftrichter jeweils einen Sommer lang auf verschiedenen Alpen rund um den Klangweg stehen und als Botschafter auch ausserhalb der Region, etwa im Fürstenland, im Rheintal oder im Appenzellerland.
Den Klängen des Untergrunds lauschen
Eine weitere besondere Installation ist das Edaphon des Schweizer Klangkünstlers Marcus Maeder – «der Roman Signer der Klangkunst», wie ihn Christian Zehnder bezeichnet. Als einziger der teilnehmenden Künstler:innen hatte Maeder von den Verantwortlichen eine Carte blanche bekommen. Sein Edaphon ist ein «Bodenobservatorium», wie es Kathrin Dörig nennt. Durch Mikrofone im Boden können die Besucher:innen in einem Tipi-Zelt dem Klang des Erdreichs horchen. Auch das Edaphon soll an verschiedenen Standorten entlang des Klangwegs zum Einsatz kommen. Dadurch sollen die Besucher:innen erfahren können, wie verschiedene Landschaften klingen. Wie unterscheidet sich ein Moor von einem Wald oder von einer Wiese?
Bei einigen neuen Installationen spielt der Wind mit: Von Florian Dombois stammt das Aeolion, eine fünf Meter hohe Windharfe. Diese lässt sich durch das Drehen der Trommel im Wind bewegen, welcher wiederum das riesige Instrument erklingen lässt. Vom französischen Designer und Bildhauer Frédéric Laffont ist The ringing and shining flower. Dabei handelt es sich um drei mehrere Meter hohe Nachbildungen der Wilden Möhre, wobei die Blütenblätter aus Klangschalen mit unterschiedlichen Durchmessern und Dicken bestehen. Diese klingen insbesondere bei Wind.
Eine Telefonkabine als Klangweg-Archiv
Das gilt auch für die Seilbahnen, die die Landschaft zwischen den Dörfern im Tal und den Gipfeln der Churfirsten prägen. Sie werden nun ebenfalls in den Klangweg eingebunden: der Tonträger des Luzerner Komponisten und Musikforschers Michael Roth. Ein Seilbahnmast wird über ein Metallgestänge, das als «akustische Brücke» dient, mit einem Tunnel aus Holz verbunden. Dieser schirmt die Umweltgeräusche ab und verstärkt die Resonanzen der Seilbahnschwingungen – auch dann, wenn sie stillsteht und kein Rattern der vorbeifahrenden Sessel zu hören ist, sondern nur die Seile und der Mast im Wind singen.
Die Besucher:innen können selbst Teil des Klangwegs werden. Das ermöglicht The archive cabin der französischen Klangkünstlerin und Sounddesignerin Mélia Roger. Die «Archivkabine» ist eine alte Swisscom-Telefonkabine, die dank eines Sensors von selbst klingelt, wenn jemand an ihr vorbeigeht. Wer abnimmt, hört Geräusche, die entlang des Klangwegs aufgenommen wurden. Anhand einer Karte sieht man die Orte, von denen die Aufnahmen stammen, und kann diese gezielt über die Nummerntasten auswählen. Anschliessend kann man, wie auf einem Telefonbeantworter, seine eigenen Erinnerungen und Gedanken zu diesen Geräuschen beziehungsweise zum Klangweg hinterlassen. Auch die Sprachnachrichten anderer Besucher:innen lassen sich abhören. So entsteht eine Art Archiv, das stetig wächst.
In einem steten Wandel
Wenn die Geschäftsstelle der Klangwelt Toggenburg im Herbst in den Neubau der Talstation der Seilbahn in Unterwasser umzieht, werden in den heutigen Büros in der Klangschmiede in Alt St.Johann Räume frei. Dort soll eine Künstler:innenresidenz entstehen. Und es ist durchaus möglich, dass während solcher Aufenthalte auch Ideen für neue Klangweg-Installationen entstehen. So bleibt der Klangweg nicht statisch.
Die Kosten für die Neukonzeption und Aufwertung des Klangwegs belaufen sich auf etwas mehr als eine Million Franken. Davon entfallen rund 700’000 Franken auf die neuen Installationen, der Rest sind Planungs und Projektkosten sowie Ausgaben für Renovationen, Inbetriebnahme und die neue Signaletik. Den Grossteil der Kosten – etwa 90 Prozent – übernehmen Stiftungen und die öffentliche Hand. Den fehlenden Teil von 100’000 Franken wollte die Klangwelt Toggenburg über ein Crowdfunding zusammenbringen; bis Redaktionsschluss, drei Tage vor dem Ende der Kampagne, sind von den in einem ersten Schritt anvisierten 70’000 Franken knapp 40’000 Franken zusammengekommen. [Nachtrag: In den letzten drei Tagen wurde das Crowdfunding mit knapp 73’000 Franken erfolgreich abgeschlossen.]
Neueröffnung Klangweg:
Schüler:innenkonzert: 16. Mai, 17 Uhr, katholische Kirche Alt St.Johann.
Klangfest: 17. und 18. Mai, jeweils 19.30 bis 22 Uhr, Propstei Alt St.Johann.
-ernissage: 18. Mai, 10.30 bis 16 Uhr, zwischen Alp Sellamatt und Oberdorf.