Neandertaler mit Laserschwertern
Kabarett ist Mist – ausser Hagen Rether kommt. Der 44-jährige Deutsche ist eine dringend benötigte Fachkraft in der humorfernen Schweiz, auch wenn es nicht wirklich zum Lachen ist, was Rether macht: nämlich alles so kompliziert und doch wieder einfach, während er seelenruhig die Fassade poliert. Das ist es, was diesen Mann so sexy macht – nicht blümchensexy, eher unkrautsexy, fernab von Vasen und Vorgärten.
Was gemeint ist mit diesem Bio-Porno? Dass Blumen auf die Wiese gehören, Fische ins Meer und Flüchtlinge nicht, dass endlich Reichtümer statt Atomkerne geteilt werden müssen, und dass mündige Menschen mächtiger sind als die Macht – die sinngemässe Zusammenfassung eines typischen Rether-Programms, das übrigens schon immer «Liebe» heisst, auch wenn man die Menschen danach etwas hasst. Wie kann man das nicht sexy finden.
Tut weh und macht süchtig
Seit über zehn Jahren paart Rether zynisch-böses Gutmenschentum mit wohltuenden Ohrfeigen. Wers nicht glaubt, fragt YouTube. Der preisgekrönte Kabarettist ist ein charmanter Dauer-Ticker der Dinge, über die niemand Bescheid wissen will; Flüchtlings- und Massentierhaltung, Umwelt- und Kinderausbeutung, Kapital- und Glaubensmonster. Es ist wie beim Tätowieren: tut weh, macht aber süchtig. Weg geht das nicht mehr.
Das Wort Mist in Kombination mit Kabarett ist übrigens bewusst gewählt: Während Rether die Welt an den Stammtisch holt, spielt das hiesige Kabarett lieber den übersatten Dorfkönig, der lauthals mitschweigt. Too big to fail und doch so lebensnah dank ewig-erneuerbarer Ressourcen wie Blondinen, Mantas, Fussballer. Wehe es wird politisch! Falls doch, entscheidet das Bundesgericht, ob gelacht werden darf. Und ob alle das dürfen, oder nur jene, die noch den Hitler grüssen.
Hagen Rether live:
Sonntag, 25. Oktober 2015, 20 Uhr, Theater Konstanz
hagenrether.de, theaterkonstanz.de
Mit einem Seitenhieb auf ebendieses Urteil des Schweizer Bundesgerichts hiess der Essener sein Publikum am Donnerstag willkommen. Spätestens da haben auch die Unbefleckten realisiert, dass ein Rether-Abend ziemlich tief geht. Und er hat sie alle entjungfert, mit vorgehaltenem Spiegel. Einige mussten sichtlich ihre Empörung verbergen – was anstrengend gewesen sein muss, denn der gebürtige Rumäne ist gut in Form: Er kann locker dreieinhalb Stunden «Liebe» machen.
Hauptsache Denken
Gesellschaftskritik à la Rether mag anstrengend sein, aber so geht Kabarett, das diese Bezeichnung verdient: Es ermächtigt zum Denken und Fühlen. Das einzig Empörende daran ist, dass sich manche im Publikum offenbar göttlich amüsieren können, wenn Rether über Flüchtlinge, Monokulturen oder Kinderarbeit sinniert, nur um dann sofortestens die Augen zu verdrehen, sobald er sich den Geschlechtern oder dem Christentum widmet.
Arm sein kann bekanntlich auch, wer reich ist. Es musste ja so kommen in einer Gesellschaft, die dermassen ohnmächtig ihrer eigenen Entwicklung nachhinkt. Oder mit Rethers Worten: «Neandertaler mit Laserschwertern.»