«Naturwissenschaften haben keine Parteifarbe»

Saiten: Seit mindestens 50 Jahren wissen wir, dass uns eine Katastrophe droht, wenn wir es nicht schaffen, die CO₂-Emissionen stark zu reduzieren und die Ökosysteme vor dem Kollaps zu schützen. Seit Jahren schon heisst es tretmühlenartig: Jetzt müssen wir handeln! Subjektiv ist dennoch nicht viel passiert.
Maja Göpel: Es gibt zwei Gründe dafür, dass wir trotz einer Vielzahl von Massnahmen nicht dort angekommen sind, wo wir eigentlich sein sollten. Zum einen haben wir vielleicht unterschätzt, wie viel sich verändern muss oder wie schnell das geschehen muss. Zum anderen haben Interessen und Besitzstandswahrung verhindert, dass wir in bestimmten Bereichen vorankommen.
Für die Einhaltung des 2-Grad-Ziels bleibt uns noch weniger als ein Jahrzehnt, ansonsten ist unsere Lebensgrundlage womöglich nachhaltig zerstört. Wie soll das gelingen?
Wir haben ein gewisses Ressourcen-Budget und eine bestimmte Kapazität unserer Ökosysteme. Es geht darum, die Ökosysteme, also unser natürliches Vermögen, wieder zu regenerieren. Wie das gelingt, versucht die Erdsystemwissenschaft herauszufinden. Es lässt sich auch regional unterteilen, aber einige der Probleme können wir nur global lösen. Im Bereich CO₂ haben wir das probiert. Einzelne Länder können beispielsweise ein Pro-Kopf-Budget berechnen. Das gibt ihnen eine Vorstellung davon, was ihnen an Ressourcen zur Verfügung steht.
Was ist, wenn es bereits zu spät ist und wir es nicht schaffen?
Es ist mir ganz wichtig, dass wir aufhören zu sagen: Wir schaffen es eh nicht. Dadurch paralysieren wir uns. Als Nachhaltigkeits- und Transformationsforscherin ist es mein Job zu zeigen, welche Möglichkeiten es gibt und klar bei der Botschaft zu bleiben: Komplexe Systeme unterliegen Trends und die Zukunft ist offen. Es gibt kein «Zu spät». Es gibt mehr oder weniger starke Veränderungen und ihre Konsequenzen. Und 2,5 Grad sind deutlich besser als 4 Grad.

Maja Göpel arbeitet seit 25 Jahren an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft und ist eine gefragte Rednerin und Autorin. Seit 2016 sind drei Bücher von ihr erschienen.
Möglichkeiten zeigen Sie in Ihren Büchern auf, etwa in Wir können auch anders – Aufbruch in die Welt von morgen. Darin sind Sie ziemlich optimistisch gestimmt, dass wir es schaffen werden.
Es geht mir gar nicht so sehr darum zu sagen, dass wir es schaffen werden. Weil das implizieren würde, dass ich eine klare Vorstellung davon habe, wie genau die Zukunft aussehen müsste. Vielmehr geht es darum zu sagen, dass wir uns darauf konzentrieren müssen, in die richtige Richtung zu gehen und die Geschwindigkeit zu erhöhen. Die Sozialwissenschaften zeigen, dass Menschen in kurzer Zeit sehr starke Veränderungen meistern können, wenn sie daran glauben, dass die anderen mitziehen und die Ziele geteilt werden.
Vielen Menschen macht Veränderung Angst.
Ja, aber oft dann, wenn die Veränderung negativ empfunden wird oder ich keine eigene Wirksamkeit dabei empfinde, also verändert werde. Hier sind Kunst, Kultur, Designer und Kreative gefragt. Sie können neue Formen und Varianten aufzeigen, wie die Welt von morgen aussehen könnte und wie wir uns gegenseitig auf dem Weg dahin inspirieren und unterstützen können. Wir müssen dafür sorgen, dass jene Akteur:innen der Gesellschaft mehr Sichtbarkeit bekommen, die längst die tragbaren Lösungen der Zukunft entwickeln und anbieten. Das betrifft sowohl die mediale Berichterstattung als auch diejenigen, die darüber sprechen, was unsere Zukunft ausmacht.
Maja Göppel war Wissenschaftliche Direktorin am The New Institute in Hamburg und Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der deutschen Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Zuvor leitete sie das Berliner Büro des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie. Sie ist Mitglied in verschiedenen Organisationen wie dem Club of Rome, dem World Future Council und der Balaton Group. Göpel wurde für ihre Arbeit mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit der Science-Communication-Medaille und dem Theodor-Heuss-Preis. Sie hat zwei Kinder und lebt in Brandenburg.
Sichtbar sind seit der Jahrtausendwende vor allem Milliardäre und Tech-Giganten aus dem Silicon Valley, die den Takt vorgeben.
Ja, wir sprechen darüber, den Mars zu besiedeln und uns mit Maschinen zu verschmelzen, um unseren Körper überflüssig zu machen. Das kann man machen, aber es gibt auch Leute, die andere Zukunftsvisionen haben – nur haben diese Leute weniger Geld. Deshalb lautet die Frage: Wie können wir den Raum für alternative Zukunftserzählungen öffnen und zeigen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt? Zum Beispiel die, in deren Zentrum ein lebenswertes «Raumschiff Erde» voller biologischen Lebens steht. Der amerikanische Architekt und Wissenschaftler Richard Buckminster Fuller hat genau aus dieser Perspektive Design und Architektur gedacht. Solche Perspektiven gibt es auch heute wieder, wie beispielsweise die Architects for Future, die sich zusammengetan haben, oder Forscher, die sagen, dass Pilze eine vielversprechende Alternative zu traditionellen Baustoffen sein könnten, da sie nicht nur stabiler, sondern vor allem auch regenerativ sind. All das gibt es bereits. Aber es braucht politische Gestaltung, damit es in die Breite kommt.
In den Köpfen vieler Politiker:innen und Journalist:innen haftet noch immer die Idee des unendlichen Wachstums als einzige Möglichkeit gegen den angeblichen Wohlstandsverlust.
Ja, das ist faszinierend, weil Wachstum, zumindest aus der Perspektive der ökonomischen Lehrbücher, nie als politisches Ziel beschrieben wird, sondern immer nur als mögliches Mittel zum Zweck. Wenn aber der Zweck und die Ressourcen, also die Haushaltsökonomie – die vom griechischen Wort «Oikos» stammt, was so viel wie «haushalten» bedeutet – aus dem Blick geraten, dann kann ein weiterer Wachstumszwang eben zu ziemlich unerwünschten Ergebnissen führen.
Mein Eindruck ist: Viele Politiker:innen lehnen progressive Gesellschaftspolitik ab oder sprechen solche Themen nicht an, weil sie dann Gefahr laufen, in die «linksgrün-versiffte» Ecke gestellt zu werden.
Ja, die «linksgrün-versifft»-Etikette! (lacht) In Deutschland und der Schweiz haben wir grüne Parteien. Deshalb wird alles, was mit der Sicherung unserer Lebensgrundlage zu tun hat, gleich als «grün» markiert. Das macht es für konservative Parteien sehr schwer, sich diesen Themen zuzuwenden, weil sie grundsätzlich eher auf die Industrie und Technologie fokussieren – die aber ja wiederum von ausreichen einer Versorgung mit Rohstoffen abhängen. Das ist in Ländern, die keine grünen Parteien haben, hoffentlich leichter. Andererseits besteht auch eine strukturelle Kurzfristigkeit, die mit der Wiederwahlnotwendigkeit in der Politik zusammenhängt. Auch die politische Kultur ist erodiert.
Was meinen Sie damit?
Parteienvielfalt soll in einer Demokratie Ideenvielfalt generieren. Ideenvielfalt bedeutet aber noch lange nicht, dass auch die Frage beantwortet wird, ob wir politisch und gesellschaftlich auf dem richtigen Weg sind. Anstatt sich über empirisch unterfütterte Wirkungsprognosen von unterschiedlichen Pfaden und Optionen zu streiten, werden hauptsächlich Programme anderer Parteien per se abgelehnt, populistisch gerahmt oder sogar mit falschen Aussagen torpediert. Das ist meiner Meinung nach eine prekäre Erosion des demokratischen Ethos. Und inzwischen finden wir auch in Deutschland fabrizierte Studien, die Parteien öffentlich gegen die Forderungen anderer einsetzen. Dabei geht es um alles. Da fordere ich als Bürgerin mehr: staatsfrauische und staatsmännische Gemeinwohlorientierung und das Verständnis, dass es heute um die Sicherung von Versorgungssicherheit und Freiheit in der Zukunft geht. Heute sehen wir oft eine Art Kuhhandel wie: Du bekommst deine Wärmepumpe nur, wenn ich kein Tempolimit einführen muss. Das ist verantwortungslos.
Das ist meine Sorge: Solange nicht alle am gleichen Strick ziehen und sich keine One-Planet-Mentalität entwickelt, sind stabile Lebensgrundlagen undenkbar.
Das hat viel mit dem Menschenbild zu tun. In unserer Individualisierungskultur sind alle nur für sich selbst da. Auch die Erzählung der ökonomischen Theorie des Homo oeconomicus, die wir in den vergangenen Jahrzehnten kultiviert haben, hat dazu beigetragen, dass Menschen es für normal halten, in erster Linie nur an sich selbst zu denken. Klar, solche Verhaltensformen sind als Teil unseres Repertoires in uns angelegt. Aber wir haben auch andere Formen in uns wie altruistisches und teilendes Verhalten oder die Sehnsucht dazuzugehören. Immer nur mit dem Rücken zur Wand zu stehen und versuchen zu verhindern, dass uns jemand etwas wegnimmt, ist anstrengend.
Gewinnen oder verlieren – wie kommen wir aus diesem Dilemma heraus?
Das Gewinner-Verlierer-Denken ist unglaublich blockierend. Wir sollten uns eingestehen, dass wir in einer neuen Realität leben. Antworten auf gesellschaftliche Fragen, die vor 50 Jahren im Raum standen, waren damals super sinnvoll. Dafür gilt es, Dank und Anerkennung zu zollen, aber jetzt brauchen wir auch den Mut zu sagen, dass die Dinge im 21. Jahrhundert anders laufen müssen.
Das bedeutet also auch, Ideen und Konzepte aus mehreren Denkrichtungen miteinander zu verbinden?
Es ist die Mischung, die es ausmacht. Wir leben seit jeher in einem sich evolutionär verändernden Kontext. Einmal brauchen wir etwas mehr von dem, dann wieder etwas mehr von dem anderen. Wir streben leider immer nach einem einzigen Modell: Einmal war es der Keynesianismus. Nein, dann doch besser wieder der milton’sche Kapitalismus. Wir tun so, als seien diese Modelle alle hermetisch versiegelt und nur das eine Modell würde dauerhaft funktionieren.
Was schlagen Sie vor?
Systeme entwickeln sich, deshalb wäre es gut, mit These, Antithese und Synthese zu operieren. Wir sollten uns fragen, was zur Erreichung einer ökologischen Lebensgrundlage die nächsten Schritte sind und wer die bestmögliche Lösung dafür anbietet. Deshalb sage ich immer: Hört auf, von Verlierer:innen und Gewinner:innen zu sprechen, sondern sagt, dass ein bestimmtes System oder eine bestimmte Lösung nicht mehr funktioniert. Wir müssen mehr strukturell argumentieren und weniger individuell. Das befreit uns auch aus der Schuldsuche. Zuschreibungen wie «Ach, du warst schon immer auf der richtigen oder falschen Seite» bringen uns nicht weiter. Strukturen und Lösungen tragen uns eine gewisse Zeit gut, aber dann werden sie allergrösster Wahrscheinlichkeit nach zum Problem. Es zeugt auch von Grösse, diese Lösungen loszulassen und damit Teil der Entstehung des Neuen zu sein. Das ist die Perspektive des Gemeinschaftswerkes.
Für das Gelingen des sozial-ökologischen Wandels sind neben Politiker:innen auch die Medienschaffenden gefordert. Progressive Gesellschaftspolitik kommt in der täglichen Berichterstattung aber oft noch immer zu kurz.
Klimapolitik wird in den Medien leider meist als progressives, linkes Thema dargestellt. Da muss ich aber klar sagen: Naturwissenschaften haben keine Parteifarbe. Diese Veränderungen sind erstmal ein Befund. Wenn wir auch Menschenrechte und die Verfassung, in der auch die Chancengerechtigkeit verankert ist, ernst nehmen wollen, kommen wir eben nicht um die Verteilungsfrage herum. Und diese wurde bisher eher von Parteien bearbeitet, die wir als links bezeichnen.
Warum haben wir uns bisher auf breiter gesellschaftlicher Ebene vor der Verteilungsfrage gedrückt?
Weil wir gesagt haben, dass der Kuchen doch immer grösser werde und deshalb das mit der Verteilung nicht so relevant sei, weil irgendwann ja eh alle mehr bekommen würden. Solange das stimmte, hatten alle das Gefühl, sie würden gewinnen. Jetzt merken wir aber: Oh, der Kuchen wird nicht mehr grösser. Deshalb wird die Frage nach der Verteilung immer relevanter – und in den Medien wird das als linke Politik bezeichnet. Die Befunde aber, wie viele Ressourcen wir verbrauchen und letztendlich verteilen können, werden ganz klar durch die Naturwissenschaften definiert. Das gibt uns eigentlich eine rechtsstaatliche Grundlage, die gerade auch von Liberalen und Konservativen verteidigt werden müsste.
Konservative Kräfte klammern sich besonders stark an das aktuelle Gesellschaftsparadigma. Sie tun so, als sei es völlig alternativlos.
Das Problem ist die Beweislast. Diese entfällt stets nur auf jene Akteur:innen, die einen Veränderungsprozess herbeiführen wollen, während all jene, die den Status quo beibehalten wollen, sich nicht rechtfertigen müssen. Diese strukturelle Macht des Status quo ist der Grund, weshalb viele konservative Parteien nicht argumentieren müssen, warum der Beibehalt des aktuellen Systems sinnvoll erscheint. Gegenwart wird so zu Normalität. Dabei müssten wir darüber diskutieren, wie die Politik und Tätigkeiten dieser «Normalität» unsere Welt verändern. Die aktuellen Gesetzgebungen und ihre Lenkungswirkungen in den Steuern transformieren unsere Gesellschaft vor allem von sozialen und ökologischen Zielen der Nachhaltigkeitsagenda weg, obwohl sie eigentlich übergeordnetes Politikziel sein soll. Deshalb ist die Umkehrung der Beweislast auf den Status quo so wichtig. Dieser müsste sich genauso wie die Alternativen für die Konsequenzen seiner Regelungen rechtfertigen. Das wäre auch ein echtes Transparenzkriterium, das aus meiner Sicht demokratisches Aushandeln sehr stark vereinfachen würde.
Politik und Medien sind mit dem Ausformulieren des Wandels teilweise überfordert, was dazu führt, dass viele Menschen die alten Strukturen nicht loslassen können.
Das Loslassen wird einfacher, wenn ich das Gefühl habe, möglichst viele kommen mit. Deshalb ist es wichtig, die Aufmerksamkeit auf das Entstehende zu richten, statt immer auf dem Vergehenden zu verbleiben. Die Menschen müssen sich auch verbindlich darauf verlassen können, dass nach einer Wahl nicht alles wieder geändert wird, sondern die Politik in der Grundrichtung über längere Zeit weitergeführt wird. Das gibt Richtungssicherheit und ich kann für mich eine Rolle in dem Neuen anstreben.
Problematisch ist auch die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich. Immer mehr Menschen können ihren Lebensunterhalt finanziell nicht mehr bestreiten.
Es geht um Fair-Share: Ich gebe etwas ab, die anderen in einem fairen Ausmass ebenfalls. Dann sind Menschen durchaus bereit, für wichtige Ziele auch wieder abzugeben. Wir haben in unseren demokratischen Wohlfahrststaaten ja auch immer die grundlegende Versorgungssicherheit und Teilhabe in Verfassungen verankert. «Niemanden zurücklassen», was ja der Slogan der globalen Nachhaltigkeitsziele ist, hat aber auch einen Umkehrschluss: dass niemand zu extrem davon läuft.
Vor allem Leute wie Elon Musk «laufen davon», auch vor der Verantwortung.
Wenn ich Menschen wie Donald Trump oder Libertäre und Tech-Milliardäre reden höre, will ich die Gestaltungsmacht dieser Personen begrenzt sehen. Sie sprechen so abfällig über ihre Mitmenschen, und es ist nicht zu erwarten, dass sie Rücksicht auf sie nehmen werden. Es herrscht ein klarer Eliten-Anspruch, und in ihrem Weltbild werden sowieso nicht alle durchkommen. Dies wird ganz offen so formuliert, zumindest off the record.
Diese Leute verursachen Chaos auf der Welt. Dadurch fühlen sich viele Menschen im Stich gelassen oder sind verunsichert. Es gibt eine Sehnsucht nach Stabilität.
Was wir medial immer wieder völlig durcheinanderbringen, ist die Gleichsetzung von Normalität mit der Suche nach Stabilität. In der gegenwärtigen Unsicherheit ist es wichtig zu fragen: Wo finde ich eine gewisse Form von Stabilität und Verlässlichkeit? Das sind meistens Dinge, die wir uns gewohnt sind. Diese können aber nicht mehr stabil tragen. Daher ist die vorhin skizzierte Richtungssicherheit für die neuen Lösungen und deren Bekanntmachung so wichtig. Da findet sich der Weg in eine neue Normalität. In der Innovationsforschung sprechen wir vom dritten Horizont.
Was heisst das?
Beim dritten Horizont geht es darum, was eine tragfähige Zukunft ist und wie wir dahin kommen. Wie können wir die schlausten Menschen, das meiste Geld und die nötigen Investitionen zielgerichtet einsetzen? Deshalb ist es mir so wichtig zu fragen, wie wir durch gute Prozessgestaltung Stabilitätsangebote schaffen, die diesen Weg dorthin als einen Pfad sichtbar werden lassen. Auch wenn wir jetzt noch nicht genau wissen, wie das Mobilitätssystem aussieht, wenn es dereinst fertig gebaut ist, oder wie grün die Innenstädte in Zukunft sein werden, ist es wichtig, die Ziele und Bedürfnisse klar zu formulieren, die sie bedienen sollen. Und dann konsequent mit dem Umbau anzufangen. Die Fortschrittsformel – hohe Lebensqualität bei geringst möglichem ökologischen Fussabdruck – sollte aus meiner Sicht in jeder Debatte um Innovation im Zentrum stehen. Den Fokus sollten wir auch verstärkt auf das räumliche Denken der Lebensräume sowie auf die Beziehungen mit anderen Menschen legen und nicht alles individualisiert und technisch betrachten.
Zentral für die Zukunft sind demnach auch Kollaborationen und Gemeinschaften.
Ja. Das bietet soziale Sicherheit. Wenn wir Institutionen und Organisationen wieder öffnen, Wertschöpfungsketten und Regionen als Kooperationsräume denken, wird auch der Blick darauf frei, dass viele Ressourcen allein durch bessere, kooperative Nutzung eine ganz andere Wirkung entfalten können.
In die Pflicht genommen werden müssen auch die Unternehmen.
Unternehmen müssen ihre Zugehörigkeit definieren. Grosse Konzerne nehmen gerne die kostenlose staatliche Infrastruktur in Anspruch: Sie profitieren von kostenloser Bildung, vom Sicherheitsnetz, von den Strassen für den Gütertransport und den Sicherungspaketen für die Gesellschaft. Aber Steuern wollen sie dann hier lieber nicht zahlen. Das ist weder ein demokratisches Gemeinschaftswerk noch ein Gesellschaftsvertrag. Das sollte auch ehrlich benannt und regulatorisch eingedämmt werden, wie die OECD es nun vorgibt. Der Philosoph und Kulturtheoretiker Kwame Appiah spricht von «rooted cosmopolitanism». Dabei geht es nicht um Nationalisierung und hermetische Abriegelung, sondern um ein Verständnis dafür, dass ich gerade als privilegierte:r Kosmopolit:in auch zu meinen Wurzeln stehen sollte. Und genau da übernehme ich auch Verantwortung.
Dieser Beitrag erschien im Aprilheft von Saiten.