Morgen in die Comedia gehen!
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Morgen (Donnerstag, 28.10., 20 Uhr) liest in der Buchhandlung Comedia der Bachmannpreis-Leser, Deutscher-Krimipreis-Träger,
(Saiten-)Kolumnist und Übersetzer Kurt Bracharz aus seinem neuesten Krimi «Der zweitbeste Koch»:
Die Spannung ist ein guter Esser.
Der Held in Kurt Bracharz’ letztem Krimi heisst Johann Natter. Sechzehn Jahre ist es her, dass sich der Vorarlberger Gendarm, den alle Cowboy Joe nannten, in einem Fussacher Edelpuff rum trieb und sich von trotteligem Ehrgeiz getrieben mit der Gangster-High-Society Europas anlegte. Cowboy Joe war sein Spitzname, weil er drei Schuss aus seiner Dienstpistole abfeuern musste, um eine angefahrene Kuh von ihren Schmerzen zu befreien. Natter war zwar hart gesotten genug, einer Kuh drei Mal in den Kopf zu schiessen, aber im Gegensatz zu seinen amerikanischen Genrekollegen war er auch eitel und ein bisschen bieder. W
Wenn er sich besoff, dann unfreiwillig und ungeübt. Ein Antiheld nach amerikanischem Krimivorbild, von Bracharz zusätzlich über die Kleinräumigkeit Vorarlbergs gebrochen.
Johann Natter war drei Jahre vor Wolf Haas’ Brenner auf der Piste und ist nicht minder abgerissen und vor allem ist er nicht minder lustig. – Auch ohne sprachliche Running Gags, die der ehemalige Werbetexter Haas so gerne reisst. Und nun schickt Bracharz nach der Krimipause wieder einen stolzen Verlierer in den Kampf gegen Klein- und Grosskriminelle und in den Kampf gegen den Entwurf vom geordneten Leben. Diesmal wohnt der Held aber nicht mit einer Katze in einer Substandardwohnung in der Peripherie Lustenaus, sondern in einer vollgemüllten Substandardwohnung in der Wiener Leopoldstadt mit einem grünzahnigen Mao an der Wand.
Xaver Ypp ist Kritiker beim Gastromagazin «Lukull»: «Die ganz einfältigen Artikel, die nur als redaktionelle Beiträge getarnte bezahlte Werbung waren, mussten die Jungen übernehmen, denen das allerdings nichts auszumachen schien. Sie hielten Kritik für altmodisch, auch wenn sie das nie aussprachen. In ihrer unschönen neuen Welt exponierte man sich nicht durch eine abweichende Meinung, sondern verzierte lieber die Metapher vom Feinkostladen Österreich mit ein paar zusätzlichen Schnörkeln.» Diesen knappen Exkurs zum aktuellen Befinden der Medien hält Ypp, während er mit seinen Redaktionskollegen Krihomol und Zupan darauf wartet, was ihnen Chefredaktor Dr. Ska an einer extra einberufenen Sitzung sagen will. «Das ist Quentin», stellt dieser der blaffenden Redaktion einen modisch gekleideten und ungelenken Teenager vor. Weinexperte Krihomol knurrt: «Der Wichser wird der neue Chefredaktor.» Quentin stellt sich aber als Genie heraus, das sich einen x-beliebigen Geschmack nach einmal verkosten auf ewig merken und zuordnen kann. Ska gibt Quentin in Xaver Ypps Obhut; dieser soll sich mit dem Genie quer durch die Speisekarten futtern, um dessen Geschmacksvokabular aufzumöbeln. Beim genauen Stil- und Kulturkritiker Bracharz fährt der Junge, wie könnte es anders sein, auf Fast Food ab.
Was als Betrachtung der Medienbranche und als Einblick in die Gastrokritik beginnt, artet nach einem merkwürdigen Überfall auf Ypp ein bisschen, und nach dessen Drogenkonsum mit Quentins schöner junger Freundin und einer Ahnung von Sex zwischen den beiden endgültig aus. Eine Odyssee mit jüdischer und chinesischer Beteiligung durch die österreichische Unterwelt nimmt ihren Lauf. Und obwohl ununterbrochen alles gegessen wird, was Beine hat, spielen Esswaren und auch der im Titel erwähnte zweitbeste Koch nicht die Hauptrolle. Im Gegensatz zu den modischen Krimis, die beigenweise in den Buchhandelketten aufliegen, beschreibt Bracharz, in Verwandtschaft zu den Grossen wie Ross Thomas oder auch Jörg Fauser, eine Grosswetterlage, die Verschwörungen, Egoismus und Scheitern übers Land treibt. Und er arbeitet sich mit dem in die Jahre gekommenen, aber nach wie vor ein bisschen wilden und hungrigen Helden packend an einem der grössten Themen ab: alt werden.
Kurt Bracharz. Der zweibeste Koch. Haymon, Innsbruck 2010.