Monster aus dem Sommerloch

Mit sturer Regelmässigkeit tauchen sie in den Sommermonaten auf: Krokodile, die in Badeseen lauern; Schlangen, die durch Hauskanalisationen kriechen; Vogelspinnen, die in Briefkästen warten; Kühe, die Wanderer attackieren und Meister Petz, der zum Problembär wird. – Phantome und Phänomene machen ein Loch, aber noch keinen Sommer. Eher aussergewöhnlich war die Bestie, die heuer die Sommerloch-Saison […]
Von  Harry Rosenbaum

Mit sturer Regelmässigkeit tauchen sie in den Sommermonaten auf: Krokodile, die in Badeseen lauern; Schlangen, die durch Hauskanalisationen kriechen; Vogelspinnen, die in Briefkästen warten; Kühe, die Wanderer attackieren und Meister Petz, der zum Problembär wird. – Phantome und Phänomene machen ein Loch, aber noch keinen Sommer.

Eher aussergewöhnlich war die Bestie, die heuer die Sommerloch-Saison in der Schweiz angekündigt hat: Ein schwarzer Panther im Solothurnischen. Dutzende von Leuten wollen ihn durch den Wald streifen gesehen haben; darunter ein Wildhüter, von dem man annehmen darf, dass er ein Büsi von einer Raubkatze unterscheiden kann. – Niemand hat die reale Existenz des Untiers beweisen können, auch keine Fotofalle. Irgendwann hat es auch die Polizei gemerkt: ein Fake.

Nach einem Fake fahndet jetzt wohl auch die auf 70 Beamte angewachsene „Soko Kroko“ am Klausensee im bayrischen Schwandorf. Hier soll ein mächtiges Krokodil auf Badegäste lauern. Einige Leute wollen den Kopf der Bestie mit aufgerissenem Maul im Schilf ausgemacht haben. Die Polizei nimmt die Meldungen ernst, schliesst aber nicht aus, dass es auch ein vegetarischer Biber sein könnte. – Die Spannung steigt von Tag zu Tag, und die Medien freuts.

Ein Sommer-Phänomen ist M13, der italienisch-bündnerische Wanderbär. Er sucht wohl gerade nach einer Gelegenheit, die Rhätische Bahn aus den Schienen zu werfen, um sich dafür zu rächen, dass ihn ein Zug angefahren und seinen Peilsender zerstört hat. M13 hat zurzeit keine Kontakte mit Touristen oder Abfallcontainern, ein akuter Problembär ist er deshalb noch nicht. Also wird ihm die Jagdbehörde ausser mit Gummischrot mit nichts anderem auf den Pelz rücken.

Ein Phänomen war auch die Kuhherde, welche die Rentnerin Anna J. am Weissenstein niedergetrampelt hat. Die Wanderin liegt nun mit dreifachem Beckenbruch im Spital. In der Herde waren Kälber, was bekanntlich Mutterkühe gegen alle aggressiv macht, die aufs Weideland vordringen. Eigentlich sollte man dieses Phänomen in Wanderkreisen kennen und entsprechend vorsichtig sein.

Kein Phantom der Weisse Hai, der an der amerikanischen Ostküste einen Mann im Paddelboot verfolgte. – Oder war es doch eines? Auf dem Clip bei You Tube sieht man nur eine furchterregende Rückenflosse aus dem Wasser ragen, die dem Paddler folgt, aber nicht den Rachen eines hungrigen Haifischs. Vielleicht hat hier auch nur ein Taucher mit schwarz eingehülltem Pannendreieck auf der Badehaube ein bisschen das Sommerloch ausfüllen wollen, und ein Kollege am Strand hats mit der Handykamera gefilmt. Alles schon da gewesen.

Der Sommerloch-Renner war im letzten Jahr Yvonne – die Waldkuh. Das Phänomen soll 98 Tage im dichten bayrischen Forst zugebracht und allen Einfang-Trupps ein Schnippchen geschlagen haben. Vielleicht geschah das auch absichtlich, mit dem fehlgeschlagenen Einfangen. Es war halt so eine Gaudi, und die versammelten Weltmedien haben Auflage und Einschaltquoten gebolzt.

Ein weiteres Phänomen die fünf Schimpansen, die just in Zeiten des Sommerlochs aus dem Zoo in Hannover ausgebrochen sind und die Polizei ins Schwitzen brachten, weil vom Gelände rund 2’500 BesucherInnen evakuiert werden mussten. Ein Mädchen ist von der Affenbande umgerannt worden und zog sich Hautschürfungen am Kopf zu. Vier der Affen gingen schliesslich freiwillig wieder zurück in ihr Gehege. Der fünfte musste von Tierpflegern dazu überredet werden.

Ach, wären es doch nur Phantome in Zeiten des Sommerlochs und keine Phänomene, denken jetzt wohl die BewohnerInnen von Neapel. Zurzeit leidet die süditalienische Stadt unter einer Invasion von Riesenkakerlaken. Das kommt davon, wenn man wochenlang den Müll in den Gassen stehen lässt und die Abwasserkanäle nicht reinigt.

Die Monster aus dem Sommerloch sind eine Art Medien-Tamagotchi, also weder Phantome noch Phänome. Man erfindet sie einfach oder nimmt etwas Reales, und macht ein publikumwirksames Konstrukt daraus: Das Sommerloch braucht mediales Futter, sonst wäre es ja nicht auszuhalten.