, 21. Februar 2016
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Mobil für die Stauerei

Charles Pfahlbauer jr. über die Staustadt St.Gallen und die Gehilfinnen, mit denen er sein Braunauge bezirzt: Arnika Angehrn, Bronchita Brülisauer und Herpes Hüttenmoser.

Januarloch, Januarröhre, Januarsack. Alle Glieder dieser Stadt eingeschlafen, und dann plötzlich diese Zuckung: Nein zur Saustadt! Tatsächlich hatte ich die Plakate bei erster Sichtung in der Bahnhofunterführung ohne «t» gelesen, und das war wohlgemerkt Stunden vor dem Zürigschnetzlets und dem Halben Roten plus Grappa und Bieren in der prima Falballabeiz hinter den Geleisen.

Einen Moment lang dachte ich an eine zwangsbeglückende Fusion mit der benachbarten Appenzeller Halbstadt Herisau, um Himmels willen, da muss wirklich ein Nein sein, kein Schritt hin zu dieser Saustadt, die nie eine sein wollte und wo doch dieses Merzmännchen haust. Die einzige Herisauerin, die ich kenne und schätze, wohnt schon lange nicht mehr dort. Aber eben, falscher Alarm, die Appensaustadt wieder vergessen, es geht da um unsere Gallensaustadt, nicht um ihre Olmasäuli und nicht um eine Kampagne ihres superoriginellen Entsorgungsamtes, sondern um ihre Sauerei mit t, also Stauerei, Stäuli, Stau.

Januarstau? Kein Problem, bitte, könnt ihr haben, mach ich jederzeit noch so gern mit. Habe mir ja eine neue Altkiste zugetan, nachdem mein Opa Astra erst 17-jährig quickfidel hingerichtet wurde, wegen dem bisschen Rost, unerbittlicher Schweizer Standard, hält die Autowirtschaft in Gang.

Schwamm drüber, ich holte beim Albaner einen Franzosen, vom Typ Renault Mégane, ein anthrazittriges Bekenntnis zum angeschlagenen Trikolornachbarland. War keine grosse Sache, obwohl ich anfänglich in der Garage noch etwas maulte, von wegen Scheissmoderne und zu viel Elektronik und ich will einen richtigen Schlüssel und Scheiben zum Selberkurbeln. Aber mein Berater Oskar schüttelte nur den Kopf: Dann musst du einen Oldtimer suchen, aber solo, gell. Jetzt habe ich einen 2009er mit Chipkarte und Klimaanlage und sehr viel Elektronik, der fast alles von allein macht, wahrscheinlich hat er sogar einen Tempomat.

Egal, bin also wieder mobil und mit Motorherz dabei, wenn es überfallsartig rammbockend aus allen Quersträsschen gegen die einfallenden AR-Horden beispielsweise auf der Teufenerstrasse geht, die den Anschluss in der Stadt suchen. Ein fettes Nein zur Staustadt ist mir wahrlich ein dringliches Einwohneranliegen, als einer, der zweimal in der Woche ausfährt, am liebsten gen Grossen Pfahlbauersee. Nein zur barrierenfreien Fahrt der Agglomerianer, fröhliches Ja zum Januar- und Jedenmonatstau, wenn unser aller Standortförderer-Chinese Scheit Lin nicht endlich unserer uralten Forderung nach einer happigen Innenstadtmaut nachkommt. Ernsthaft jetzt.

Dachte ich so, doch dann kam der grosse Schnee, nichts mehr mit Franzosenfahren und Stauteilnahme. Und mit dem Schnee kam eine fürchterliche Bronchitis und bald ging gar nichts mehr; ach der Charlie und seine Krankenschleimspuren, hör mir auf. Ich atmete schwer und schleppte mich vom Bett zum Sofa und zurück; ein altertümelnd taumelnder Bronchosaurus, mit eingesackter Lunge und klopfender Stirn; ich war so hundeaffenmüde, dass ich nicht mal lesen konnte.

Alles was ich noch tat, war Suppen kochen und The Wire schauen, endlich mal alle fünf Staffeln an einem Stück, ein atemloses Underdogleben in Baltimore, was als wochenlanges Ritual unter ständigem Zufluss von heavy Bronchialsirup zu psychedelischen Vorstellungen führte, nämlich dass ich zeitweise meinte, wahlweise als McNulty, Lester Freamon, The Bunk oder Proposition Joe herumzustolpern, nur leider nie als Omar oder einer der bösen Griechen.

Was ich auch noch tat, war blödsinnig auf der Schneewehe vor dem Stubenfenster mit meinen Echsen und Sauriern zu spielen, eisige Konferenz der Tiere mit Fachthema bronchitische Pfiffkonversation. Braunauge besuchte mich und fands weniger lustig. Immerhin grinste sie gnädig, als ich sie mit medikamentösen Frauennamen umgarnte: Arnika Angehrn, Kamilla Keller, Eukalypta Eugster, was hättest du denn gern. Wir erfanden immer mehr, auch von der härteren Sorte: Asthma Angst, Angina Allenspach, Bronchita Brülisauer. Oder: Rheuma Deubelbeiss. Und Herpes Hüttenmoser. Kurz bevor wir komplett verblödeten, war dann die Bronchitis doch endlich vorbei.

Jetzt bin ich wieder mobil und zu allen Stauschandtaten bereit. Wie ein junger Flugsaurier! Aber einen weiteren dringenden Wunsch an Scheit Lins Gallenleitungsteam hätt ich diesen kurzen Winter noch: Reisst endlich diese blöde Villa Wiesental ab! Und pflanzt dort ein echtes Stück nostalgische Sozialromantik: einen Nachbau jener Jugendstilhäuser, die ihr so schmählich auf Kosten der Leopardbüroknastbauten geopfert habt. Meinetwegen von der Generalrundumbaufirma Harrass. Wenn die das hinkriegen. Wir sehen uns im Februarstau, hinterm französischen Steuerrad.

Charles Pfahlbauer jr.

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