Mit der Fliege die Fliege machen
Letztes Jahr haben die Bürgerinnen und Bürger von Rappi-Jona einen Rekord aufgestellt und einen zweiten bestätigt. Sie beschlossen an der Bürgerversammlung im Juni, die grösste Schweizer Gemeinde ohne Parlament zu bleiben. Und sie taten es an der bestbesuchten Bürgerversammlung, welche das direktdemokratische Schweizerländchen je gesehen hat.
Ja, wenn das immer so wäre, konnte man denken, dann wäre in der Rosenstadt der Schwanz, der mit dem Hund wedelt, zwar immer noch ein Schwanz, der mit dem Hund wedelt. Aber er wäre ein recht grosser Schwanz, erschienen mit fast 2000 Personen damals doch gut zehn Prozent der Stimmberechtigten, weshalb die Versammlung vom Hotel-Restaurant «Kreuz» in Jona in die Dreifachturnhalle mit Tribüne Grünfeld verlegt wurde.
Alle machen sich Sorgen um die Macht
Der Andrang war so gross, weil offenbar besonders viele besorgte Einheimische verhindern wollten, dass die Macht der Bürgerversammlung und des Stadtrats durch ein Parlament beschnitten würde. Das gelang mit erdrückendem Mehr. Man befürchtete träge Prozesse, zudem gebe es nicht genug fähige Parlamentarier. (Es gibt in Rapperswil-Jona allerdings einige Köpfe, die behaupten, bereits im Stadtrat sei es mit Tifigkeit und Fähigkeit teilweise nicht weit her. Das alte Feuerwehrdepot beispielsweise, das einer kulturellen Nutzung zugeführt werden soll, bleibt schon lange und auf unabsehbare Zeit, was es seit Jahren ist: ein leerstehendes, ungenutztes, altes Feuerwehrdepot. Und das, obschon Entscheidungsfreude versprochen wurde.)
Parlamentsbefürworter stiessen sich unter anderem genau an der fast unbegrenzten Macht des Stadtrats, sie störten sich aber auch daran, dass immer wieder Geschäfte an der Bürgerversammlung durchkamen oder gebodigt wurden, wenn gut vernetzte Interessengruppen mobilisierten und die traditionell bescheiden besuchten Anlässe mit ihrer Gefolgschaft entscheidend aufstockten.
Im Vorfeld buschtrommelte es
Ein halbes Jahr später: Ein Mobilisierungskampf biblischen Ausmasses ist in der mittelalterlichen Rosenstadt auch jetzt wieder erwartet worden. Und so platzt das «Kreuz» beim letzten Auftritt des eben erst abgewählten Stadtpräsidenten Erich Zoller vor der Bürgerversammlung denn auch aus allen Nähten, mit 640 von gut 18’000 Stimmberechtigten.
Volle vier Stunden harren viele aus, bis das Budget – von diversen Rednern als verschwenderisch kritisiert – genehmigt ist und Erich Zoller die Veranstaltung für beendet erklärt. Ein rechter Anteil der Angerückten ist allerdings nach der Abstimmung über einen neuen öffentlichen Seezugang wieder abgerückt. Der Seezugang wird angenommen. Alles Mobilisieren der Gegner hat nichts genützt.
Für Zoller endet der Abend versöhnlich: Er wird mit stehenden Ovationen verabschiedet. Ein stattliches Grüppchen bleibt jedoch sitzen und verweigert den Applaus. Wohl dieselben Reihen, aus denen vorher noch Buhrufe erschollen sind, als das Gespräch auf die Klage der Stadt und Kesb Linth-Präsident Walter Grob gegen den Kesb-Schrecken Obersee-Nachrichten (ON) mit Verleger Bruno Hug und Journalist Mario Aldrovandi gekommen ist.
Auch diesbezüglich war mobilisiert worden. Im Vorfeld buschtrommelte es, ein Antrag sei geplant, die Klage zu stoppen. Der Antrag wird dann allerdings nicht gestellt. Es heisst trotzdem wiederholt, eine solche Klage sei pure Geldverschwendung. Und Zoller muss wieder einmal erklären, es sei die Pflicht der Stadt, ihre Angestellten vor Diffamierungen zu schützen, und Gegendarstellungen seien nicht möglich gewesen, weil sich die Kesb im Gegensatz zu den ON ans Amtsgeheimnis halten müsse. «Buh! Buuuuh!», lautet für manche offensichtlich die treffende Antwort.
Zoller führt übrigens mit bewundernswerter Grösse durch den Abend. Als er bei der Abstimmung über den Antrag, den Steuerfuss nur um fünf und nicht wie vorgeschlagen um zehn Prozentpunkte zu senken, sagt, für ihn sehe das nach einer kappen Mehrheit für den Vorschlag des Stadtrats aus, befürchten einige Anwesende lautstark, er wolle nicht auszählen lassen. Zoller will aber, denn: «Ich habe mich auch schon getäuscht, und es kam anders als erwartet.» Damit spielt er schön selbstironisch und spitzzüngig auf die misslungene Wiederwahl zum Stadtpräsidenten an, auf die Demütigung durch eben jene Stimmbürger, vor denen er jetzt ein letztes Mal steht.
Kultur in der Freikirche
Nur einen Tag später, am Freitag, hat Zoller seinen zweiten Auftritt. Rapperswil-Jona verleiht die Stadtpreise in den Sparten Sport und Kultur. Offenbar ist es für die Stadt kein Problem, so eine Veranstaltung im Eventhouse abzuhalten, das der Freikirche ICF gehört. Die Infrastruktur ist immerhin state of the art.
Den Kulturpreis erhält die IG Halle unter der Leitung von Kultur- und Kunstwissenschaftler Peter Röllin. In den letzten 25 Jahren organisierte sie 150 Ausstellungen und Veranstaltungen. Lange in der Alten Fabrik, seit einiger Zeit nomadisch mal hier mal dort. Es sei nie zu spät für eine Ehrung, meint Röllin. Das ist grosszügig, wenn man bedenkt, dass die Stadt dem Kanton weit hinterherhinkt; dieser hatte schon 2002 die IG Halle ausgezeichnet.
Die Regisseurin Barbara Schlumpf hält eine fulminante Laudatio und zeigt in Bildern aus 25 Jahren, wie mutig und kühn die IG Halle in ihrer vierteljahrhundertjährigen Wirkungszeit gearbeitet hat. Die Zeitungen hätten anfangs geschrieben, was die IG mache, seien verrückte Wildheiten. Ein besseres Lob gebe es nicht.
Für eine bessere Politkultur
Einen gezielten und nötigen Seitenhieb kann sich Röllin dann doch nicht verkneifen. Kunst gebe es genug in Rapperswil-Jona. Aber: «Es braucht viel mehr Kultur in der Politik der Stadt.»
Zoller überreicht den Preis. Er trägt Fliege statt Krawatte. Die städtische Kulturbeauftragte Franziska Moor habe ihm nahegelegt, einmal mit einer Fliege aufzutreten. Er hat damit auf die wohl letzte Gelegenheit für einen öffentlichen Auftritt gewartet – und macht also die Fliege mit der Fliege. Ob die Unterschrift auf der Urkunde seine letzte sei, fragt Röllin. Zoller antwortet: «Vielleicht unterschreibe ich noch ein paar Lohnerhöhungen, bevor ich gehe.»