Mit der CVP in die Kultursackgasse
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Das Kulturkonzept 2020-2028 der Stadt St.Gallen sei «nicht revolutionär, aber solide» (GPK-Präsidentin Evelyne Angehrn), «nicht wahnsinnig mutig» (SP-Sprecher Etrit Hasler), aber eine «gute Grundlage» (FDP-Sprecher Andreas Dudli) mit «lohnenden Neuerungen» wie einem Haus für die freie Szene (Grünen-Sprecher Andreas Hobi): So zum Beispiel tönte es im St.Galler Waaghaus, es waren die einigermassen realitätsnahen Voten.
Denn tatsächlich legt das Kulturkonzept die groben Linien und die Ziele der städtischen Kulturpolitik fest, definiert Handlungsfelder, verbessert die Kulturförderung in ein paar Details – aber verzichtet auf Visionen oder grosse Sprünge. Hasler vermisste denn auch die Unterstützung für neue Initiativen wie namentlich das Literaturhaus-Projekt, attestierte dem Konzept aber insgesamt «grossen Sachverstand».
Das sahen im St.Galler Waaghaus nicht alle so: Das Konzept enthalte «zu viele Handlungsoptionen» und «zu wenig Schwerpunkte» (GLP-Sprecherin Jacqueline Gasser-Beck), es fehle die Kontrolle über den «wirtschaftlichen Impact» der geförderten Kultur (SVP-Sprecherin Manuela Ronzani), es drohe ein «sorgloser» Umgang mit dem Geld (CVP-Sprecher Patrik Angehrn).
Die CVP ging dann in die Vollen: Sollte der Stadtrat zu freigebig mit den Kulturschaffenden sein, werde sie «auch Kleinstbeträge hinterfragen» und – wie im Kantonsrat – einen «Kulturplafond» ins Spiel bringen. Ein Haus für die freie Szene? Die 20’000 Franken für erste Abklärungen könne man sich sparen. Mehr Geld für das Figurentheater? Ohne uns. Und überhaupt: Kulturprojekte, die sich nicht selber finanzierten, müsse man «einstellen» statt «künstlich aufrechterhalten».
In ein ähnliches Horn blies die SVP: Sie vermisste «messbare Kriterien», forderte «Wirtschaftlichkeit» ein, beschwor die Gefahr von «zufälligen Entscheiden» bei der Förderung.
Nein, es ging nicht etwa um Millionenbeträge wie beim Leitungs- oder Strassenbau, es ging nicht um 100 Millionen wie beim Projekt eines neuen Busdepots. Auch nicht um 380’000 Franken für einen Projektierungskredit für ein Millionenprojekt zur Sanierung des Parkhauses Kreuzbleiche, die das Parlament zum Schluss der Sitzung bewilligte. Oder um 120’000 Franken für die Projektierung einer «neuen Expo» der zehn grossen Schweizer Städte, welche das Parlament zu Beginn ohne grossen Widerstand gutgeheissen hatte, samt dem parteiübergreifenden Bekenntnis für eine Schweiz, die «nicht in Winterthur aufhört».
Es ging jetzt beim Kulturkonzept überhaupt nicht um konkrete Beträge – diese stehen erst in einem Monat auf der Traktandenliste, bei der Budgetdebatte, in der Subventionserhöhungen für das Figurentheater, die Grabenhalle, das Sitterwerk, die Kunsthalle und das Textilmuseum zur Diskussion stehen.
Es ging ganz offensichtlich um etwas anderes: um ein grundsätzliches Misstrauen, sobald von «Kultur» die Rede ist. Misstrauen in die Kulturschaffenden, denen die CVP pauschal eine «ausgeprägte Anspruchshaltung» unterstellt. Misstrauen in die Institutionen, deren bescheidene Subventionserhöhungen am Ende noch in die Löhne der dort Tätigen fliessen könnten. Misstrauen aber auch in die Verwaltung und die Kulturkommission, die «zufällig» oder «sorglos» Geld zum Fenster hinauswerfen könnten.
Es ist ein Misstrauen, das System hat, sobald die Rede von Kultur ist. Eine Abwehrhaltung, die man einer Handwerker-Offerte, einem juristischen Gutachten oder einem Bauprojekt nie entgegenbringen würde, weil dort ja, zumindest vermeintlich, «messbare» Kriterien existierten. Das Misstrauen besteht aus einer beklemmenden Mischung von sachlicher Unkenntnis, bürgerlicher Geringschätzung und dem Argwohn, Kultur sei das Privatvergnügen der Kulturschaffenden.
Das neue St.Galler Kulturkonzept behauptet sich als Förderinstrument einer «Kultur für alle» in einer Stadt, die sich nach den Worten von Stadtpräsident Thomas Scheitlin als innovativ und vielfältig versteht. Die CVP und die SVP hätten sie wohl lieber verstockt und vorgestrig. Damit die Schweiz dann tatsächlich in Winterthur aufhört.