Mit dem Saugoof auf den Kronberg
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Karin Enzler ist Schauspielerin – und sagte einst etwas verschämt, sie hätte eigentlich Sängerin werden wollen. Oder Tänzerin. Sängerin ist sie jetzt. Im Mai ist ihre erste CD – E Trocke voll Musig – erschienen, eine exquisite Sammlung selbstgeschriebener Lieder. Deren melancholische Grundstimmung erinnert an die Lyrik der Romantik. Es geht durch Nacht und Nebel, die Vögel sind schon in den Süden gezogen, der Föhn weht drinnen und draussen.
Gekonnt mischt Karin Enzler Schwerblütiges, (Selbst-)Ironisches, Witziges, Absurdes, Aufrührerisches und Philosophisches zu einer musikalisch fundierten Universalpoesie, deren melodische Wurzeln klar im Appenzellerland liegen: Fern- und Heimweh, unstillbare Sehnsucht, unruhiges Herz, Rebellion gegen Fremdbestimmung.
Innerrhoder Zwiespältigkeiten
Karin Enzlers Werk ist offensichtlich nicht für den grossen Markt konzipiert. Wer in der weiten Welt versteht schon Innerrhoder Dialekt? Wer kennt die mit grossem Zwiespalt verbundene appenzellische Innerlichkeit und kann die Lieder also deuten? Die CD spricht aber vielleicht gerade deshalb jene an, welche auch den Blues mögen oder die Folksongs der kanadischen McGarrigle-Sisters. Nichts wird in diesen Texten verklärt, nichts beschönigt, nichts ist abgedroschen, obwohl es um die ganz grossen Themen geht.
Das Geheimnis? «I bi halt en Saugoof!», singt Karin Enzler. Sie gebraucht schlichte Worte, beschreibt gewöhnliche Ereignisse – aber sie tut dies auf ganz eigene Weise.
Bei Auftritten von Karin Enzler erlebt man einen starken Gegensatz zwischen der kecken, fröhlich erzählenden jungen Frau und ihren hintergründigen, auf Moll gestimmten Liedern. Auf der CD aber überwiegt jene Traurigkeit, welche man auch vom Naturjodel, innerrhodisch Rugguseli genannt, kennt. Karin Enzlers Gesang wird auf diesen Aufnahmen exzellent begleitet von der Streichmusik Appenzeller Echo sowie vom Bassisten Patrick Kessler, dem Gitarristen Knut Jensen und bei den Zäuerli auch von Sepp Manser.
Und so klingt das dann:
Aufgenommen in der guten Stube
Die Aufnahmen sind in der guten Stube der Eltern in Appenzell entstanden. Es scheint, Karin Enzler benötige die heimischen Quellen, um künstlerisch zur Höchstform und zur eigenen Sprache zu finden – obwohl sie als Schauspielerin in Bremen und in Zürich beachtliche Erfolge feierte und schon mehrfach bewiesen hat, dass sie über ein grosses Ausdrucksspektrum verfügt. Und obwohl auch ihre bisher unveröffentlichten englischen Lieder hörenswert sind.
Eine Möglichkeit gibt es in diesem Sommer, Karin Enzler live zu erleben: mit dem Programm «Lobgang». Nur für Frühaufsteher oder Nachtschwärmer.
Sonntag, 16. August, bei Sonnenaufgang auf dem Kronberg.
CD: Karin Enzler: E Trocke voll Musig.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Juli-August-Heft von Saiten.