, 9. Februar 2019
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Mission accomplished

Geständnis Nummer 4 aus unserem Februarheft zum Thema #guiltypleasures: Territorium, Taktiken, Truppengattungen – Ich «spiele» gerne Krieg.

Es gibt eigentlich nichts, das mir peinlich ist. Aber manche Dinge muss ich zumindest erklären, wenn sie zum Thema werden, weswegen ich sie lieber einfach verschweige. Das ist eins davon: Ich spiele gern Kriegsspiele.

Bevor ich jetzt schon die Ersten «Killergames!» brüllen höre – ich kann euch beruhigen: Ego-Shooter, also Games, bei denen man als Soldat durch die Gegend rennt und
 nach allem ballert, was sich bewegt, wie Counter Strike oder Call of Duty sagen mir gar nichts. Weniger, weil mir die Vorstellung nicht behagt, auf ein 3D-Bild zu schiessen, das wie ein Mensch aussieht. Seien wir ehrlich – wenn das
 Bild aussieht wie ein insektoider Alien, macht es das auch nicht besser.

Meine Vorliebe sind Simulationen – als grosser General Einheiten durch die Gegend schieben, Aufklärungsmissionen starten, einen übermächtigen Gegner mit Nadelstichen und Finten ärgern, logistische Netzwerke aufbauen, Nadelöhre und Brückenköpfe schaffen und, natürlich, zum Schluss einen triumphalen Sieg einfahren.

Die Ära ist mir dabei ziemlich egal: Ob römische Legionen, ob mittelalterliche Ritter und hellebardenschwingende Bauern, japanische Samurai, Space Marines im 41. Jahrtausend oder gar US-Marines in Afghanistan – jeder Konflikt bietet eine andere intellektuelle Herausforderung, eigene Voraussetzungen an Territorium, Taktiken, Truppengattungen.

Natürlich drängt sich die Frage auf: Ist das pietätlos? Ist es möglich, ein bisschen «Krieg zu spielen» mit deutschen Panzern in Frankreich und dabei die Verbrechen der Wehrmacht und des Nazi-Regimes einfach zu verdrängen? Natürlich nicht. Die einzigen, die behaupten würden, dass Krieg ohne Emotionen geführt werden kann, ohne die immer damit einhergehenden Schrecken präsent zu haben, sind jene,
 die Krieg führen oder damit drohen.

Ich habe 1994 ein Austauschjahr bei einer US-Army-Familie verbracht. Beide meiner Gasteltern dienten noch – Steve war als Oberstleutnant bei der Militärstaatsanwaltschaft tätig, Mary als Oberst im grössten Militärspital der USA. Beide hatten sie in Vietnam gedient, und Mary wäre um ein Haar in den Irak entsandt worden. Einer der Gründe, dass ich politisiert wurde, waren die langen, heftigen Diskussionen, die ich mit diesen Menschen führte. Über die Sinnlosigkeit
 des Vietnamkriegs und des ersten Irakfeldzugs (lange bevor die USA dieselbe Gegend erneut über Jahrzehnte hinaus destabilisierten). Und obwohl ich in diesen Diskussionen einen gewissen Respekt lernte für Menschen, die bereit
 sind, ihr Leben in einem bewaffneten Konflikt aufs Spiel zu setzen, haben sie mich nur in der Meinung bestärkt,
 dass Krieg grässlich ist. Immer. Und dass es ihn um fast jeden Preis zu vermeiden gilt. Ich sage absichtlich: «fast».
 Nur wenige Jahre nach meinem US-Aufenthalt bombardierten dieselben US-Streitkräfte Belgrad. Und meine Grosseltern hätten den Jugoslawienkrieg nicht überlebt, wenn diese Bomben nicht gefallen wären.

Doch die Abneigung hat die Faszination nicht gebrochen. Ich weiss wenigstens ein bisschen, worum es geht, wenn Menschen über den Kauf von neuen Kampfjets
reden. Zumindest virtuell habe ich auch schon eine Staffel Gripen in die Luft geschickt. Klingt das lächerlich? Natürlich. Aber welcher selbsternannte Sicherheitspolitiker weiss denn wirklich mehr über militärische Logik, bloss
 weil er ein paar hundert Tage mit dem Gewehr durch den Schlamm gerobbt ist, ohne dass dabei jemand mit scharfer Munition auf ihn geschossen hat? Kein Wunder, sind es meist ehemalige Unteroffiziere, die dann behaupten, Flüchtlinge aus Kriegsgebieten seien einfach zu feige, um zu kämpfen.

Kein Spieler und auch kein Rekrutenschüler weiss,
was es wirklich bedeutet, nicht mehr über Wiesen gehen zu können aus Angst vor Minen. Von Hauseingang zu Hauseingang zu huschen aus Angst vor Scharfschützen. Die erschütternde Monotonie von Artilleriefeuer aushalten zu müssen. Und vielleicht ist es gerade deswegen so schockierend, wenn mir immer wieder auffällt, dass jene, die so gerne über
 Militär und Krieg reden, sich das nur wie ein Spiel vorstellen.

Im Spiel endet der Kampf mit Sieg oder Niederlage. Danach heisst es wie bei George W. Bush: «Mission accomplished». In der Realität dauert es Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, bis die Narben eines Krieges verheilt sind. Und wer diesen Unterschied nicht kennt, sollte nicht über
 Krieg und Frieden bestimmen dürfen.

Etrit Hasler, 1977, ist Slampoet, Kantonsrat und manchmal Bezwinger der Tyranidhorden von Gladius. Dieser Beitrag erschien im Februarheft von Saiten.

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