, 16. August 2016
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Migranten, Schweizer und Eidgenossen

Am Sonntag fand auf der Schwägalp das 17. Schwägalp-Schwinget statt. Vor einem Jahrzehnt wurde der Schwingsport plötzlich so cool, dass auch die urbane Jugend ans Schwingfest pilgerte. Wie sieht das heute aus? Und was meint Ueli Maurer dazu?

Brauchtum und Heimat: Gerade bei Terrorbedrohung wichtig, findet Ueli Maurer.

Neun Jahre ist es her. Damals ereignete sich in Aarau Erstaunliches: Einem Schweizer Volkssport gelang der Durchbruch, der so vielen hiesigen Kulturschaffenden ihr Leben lang verwehrt bleibt. Damals schwang sich der Schwingsport nämlich vom Underground ins Scheinwerferlicht, vom Sägemehlring auf die grosse Bühne der Schweizer Medienlandschaft.

Schwingfeste waren plötzlich nicht mehr nur Treffpunkt von Schweizer Schwingsportfantraditionalisten. Jetzt tummelten sich am Eidgenössischen auch urbane Hipster, die mit dem bislang im besten Fall naserümpfend ignorierten helvetischen Brauchtum auf Fühlung gingen. Und das SRF übertrug den grössten Sportanlass der Schweiz erstmals von der ersten bis zur letzten Sekunde live im Fernsehen.

Doch wem hatte der Schwingsport die begeisterte Aufmerksamkeit zu verdanken, oder – es gab natürlich auch die Skeptiker – wer waren die Schuldigen? Hauptverantwortlicher war wohl der Abderhalden Jörg, der den Sport professionalisierte und zum Werbeträger wurde. Forrer Nöldi war ein weiterer Schwingername, der schweizweit zum Begriff wurde. Und Wenger Kilian, der hübsche Techniker mit Adoniskörper, der Vorzeigeathlet, der sympathisch Bescheidene, der so gar nicht zum Bild vom unförmigen, schwitzenden Fleischbrocken passte, das manch einer sich vom Schwinger gemacht hatte, setzte dem Hype im Jahr 2010 mit dem Königstitel das Krönchen auf.

Tattoos des Untergangs

Auf das wachsende Interesse folgten Diskussionen über Sponsorenverträge und sogar über Tattoos, welche plötzlich nicht mehr nur auf Fussballerunterarmen prangten, sondern auch vereinzelt aus den Edelweiss- und Turnerhemden hervorblinzelten. Die urbane Invasion hinterliess ihre Spuren.

Dabei hatte die Öffentlichkeit doch eben erst ihre Freude an diesem Sport entdeckt, wo Fairness und gegenseitiger Respekt so viel grösser geschrieben werden als auf dem Fussballplatz. Und vielen Traditionalisten waren die gesteigerte Aufmerksamkeit und die sprudelnden Geldquellen, die sich allenthalben auftaten, sowieso ein Greuel.

Interessant zu beobachten war auch die Herangehensweise der Medien, die Sägemehl geleckt hatten. Natürlich berichteten auch sie über Resultate und über den Hergang besonders spannender Paarungen, wie es die spezialisierten Blätter taten, die sich seit Jahren mit dem Sport beschäftigten. Die grossen Zeitungen und das Fernsehen machten sich aber auch auf die Suche nach Geschichten, die den neuen, urbaneren und damit tendenziell linkeren Schwingfans munden sollten. Es entstanden Porträts über Frauen im Schwingsport. Und natürlich auch über Schwinger mit Migrationshintergrund. Es war, als wollte sich die nach einer neuen Trendsportart dürstende Gemeinde den Schwingsport so zurechtbiegen, dass er mit der eigenen Gesinnung harmonierte.

Eidgenosse, nicht Schweizer

Denn ein bisschen zwiespältig war man diesbezüglich schon. Das helvetische Brauchtum war stets ein Steckenpferd konservativer Kreise. Und als einer der erfolgreichsten Schweizer Schwinger, Stucki Christian, im Jahr 2010 im Interview mit der SBB-Zeitschrift Via auf die Frage, ob er sich in erster Linie als Berner oder als Schweizer sehe, antwortete, er sei zuerst Eidgenosse, Schweizer könne jeder werden, da fand es doch der eine oder andere ein wenig beängstigend, dass ein Schwinger freimütig rechtsradikale Parolen zitiert, auch wenn es nachher hiess, das sei ausschliesslich auf den Sport bezogen gewesen. (Der Spruch stammt von der Neonazi-Band Indizier: «Hör gut zu, mein Freund, hier kannst du was lernen: Wir sind Eidgenossen, Schweizer kann man werden», hiess es auf der CD Die letzte Bastion.)

Doch wie ist die Stimmung an einem Schwingfest heute, zwei Wochen vor dem Eidgenössischen in Estavayer? Ein Besuch am Schwägalp-Schwinget sollte Klarheit schaffen.

Ueli reloaded

«Dä isch au huere bruun. Fascht wie en Neger», sagt direkt hinter dem Eingang einer zu seinem Kumpel, als ein dritter, der Sonnengebräunte eben, vorbeigeht. Man könnte sich fragen, wer denn wohl brauner ist, der Gebräunte oder die Gesinnung desjenigen, der den Vergleich anstellt. Aber man geht weiter und sucht sich seinen Platz auf der Tribüne.

12500 Besucher. Das ist Rekord. Das Schwägalp-Schwinget wurde letztes Jahr zum Anlass von nationaler Bedeutung erklärt. Das bedeutet, dass die Organisatoren Unterstützung von der Armee beanspruchen dürfen. Diese hilft bei Auf- und Abbau und bei der Verkehrsregelung. Da passt es natürlich doppelt gut, dass Bundesrat Ueli Maurer, der das Erlangen dieses Status gefördert hat, auch dieses Jahr wieder als Redner zu Gast ist.

Interessanterweise sagt er auch wieder dasselbe wie in den Jahren davor. Nämlich: Die Welt steht Kopf. Um so wichtiger, dass man Heimat, Tradition und Brauchtum liebt und stolz ist darauf. Zum Beispiel hier auf unserer Schwägalp. Und man darf nie vergessen, dass wir Schweizer auch wer sind; klein und bescheiden, aber doch gut. Und da lassen sich natürlich Parallelen zum Schwingsport erkennen.

Erfrischend eine Reaktion eine Reihe weiter hinten: «Häsch ghört? Vo üsere Schwägalp hät er gred. De huere Schiisszürcher.» Und als dem Zivilschutz und der Armee für die gute Zusammenarbeit gedankt wird, ruft ein anderer: «Dä Stüürzahler händer vergässe!»

Auf der Schwägalp scheint das Sünneli am Sonntag aber nicht nur für den SVP-Magistraten. Ein paar Quellwölkchen und hie und da ein kühler Windstoss sorgen gleichwohl für ein ganz erträgliches Klima. Trotzdem werden zwei, dreimal die Sanitäter in die Zuschauerränge gerufen. «Trinken und einen Hut anziehen», heisst es immer wieder über die Lautsprecher. Die Migros verteilt gratis Edelweisshüte mit Migros-Logo.

«Dä chan nüt!»

Es sind aber nicht nur überhitzte Zuschauer, welche die Schwägalp auf der Bahre verlassen. Kammermann Thomas wird nach einem Wangenknochenbruch von der Rega abtransportiert. Wicki Joel, ein Festsieganwärter, verlässt den Berg bald darauf auf demselben Weg mit einer Unterschenkelfraktur. Seine Schreie im Ring zeigen: Schwingen kann eine sehr schmerzhafte Sportart sein. Die akrobatischen Kämpfe beweisen andererseits immer wieder: Schwingen kann eine sehr attraktive Sportart sein.

Schwinger gehören einem Verband an. Nicht alle Verbände treten an allen Schwingfesten an. Die Organisatoren laden abwechselnd verschiedene Verbände ein. Am Sonntag sind das der Innerschweizer und der Nordwestschweizer Verband. Pech hat, wer im Sandwich zwischen Innerschweizer Zuschauern aus Alpnach OW und anderen Innerschweizer Fans sitzt. Denn das sind – mit Verlaub – richtig doofe Heinis.

Bei den Alpnachern ist es mit dem traditionellen Respekt vor dem Gegner nicht weit her. «Jetzt hät wider en Ostschwizer verlore!», ruft der eine jedes Mal laut, fröhlich und unfair, wenn ein Ostschweizer unterliegt. Und sein Sitznachbar brüllt dem Laimbacher Philipp als Motivation im Kampf gegen Titelverteidiger Bösch Daniel gar ein «Dä chan nüt!» zu.

Schlimmer sind aber die anderen. Das zeigt sich insbesondere, als Fejzaj Naim, der einzige Schwinger mit Migrationshintergrund auf der Schwägalp, wieder einen Gegner auf den Rücken legt. «Hüt hät sicher s’ganze Asylanteheim frei», sagt die eine. Und der andere meint: «Wänns so witergaht, hämmer bald nume no söttigi.»

Hervorragender Sportler

Rund ein Prozent der Schwinger haben einen Migrationshintergrund. Es dürfte deshalb noch ein Weilchen dauern, bis nur noch «söttigi» in die Schwingerhose steigen. Für Fans des Sports ist Fejzaj jedenfalls eine Bereicherung. «Im Gegensatz zu anderen kann der Mann richtig gut schwingen. Er hat eine hervorragende Technik, und es macht wirklich Spass, ihm zuzuschauen», sagt Markus Bösch, Agronom, ehemaliger Jungschwinger und regelmässiger Festbesucher.

Er ist offensichtlich nicht der einzige, der das so sieht. Wenn der junge Herr Fejzaj nämlich siegt, für gewöhnlich spektakulär, dann brandet in der Arena tosender Applaus auf. Denn Fejzaj Naim, Vater Kosovare, Mutter Kroatin, in der Schweiz geboren, Schweizer Pass seit dem siebten Lebensjahr, ist in erster Linie ein Appenzeller Schwinger, der soeben einen Innerschweizer auf den Rücken gelegt hat.

Und wenn es ihm in zwei Wochen am Eidgenössischen gut läuft und er einen Kranz nach Hause bringt, dann wird Fejzaj Naim nicht nur Schweizer, sondern sogar Eidgenosse sein.

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