Mehr miteinander reden

Unsere Kolumnistin Anna Rosenwasser war mies in Geometrie, aber sie weiss: Die Mitte ist abhängig davon, wo die beiden Aussenpositionen liegen. Ihr Beitrag aus dem Juniheft von Saiten.
Von  Gastbeitrag

Vor den letzten Nationalratswahlen sass ich mal mit einer Handvoll rechter Jungpolitiker:innen auf einem Podium, auf einer Bühne, in einem Club. Nach der Diskussion tranken wir noch was miteinander, und danach war Party im Club, wir hatten Gratiseintritt, also tanzten wir da im Club.

Um ehrlich zu sein: Es war lässig. Es war das erste Mal seit langem, dass ich im un-queeren Ausgang war, jenem Ausgang, den man «normal» nennt, mit normalen sexistischen Songtexten und normaler Zwangs-Heterosexualität.

Anna Rosenwasser, 1990 geboren und in Schaffhausen aufgewachsen, wohnt in Zürich. Sie ist freischaffende Journalistin.

Als ich am nächsten Tag meinen Mitmenschen davon erzählte – damals noch auf Facebook, als es noch kein Boomer-Hellhole war –, erhielt ich sehr unterschiedliche Rückmeldungen. Viele meiner Freund:innen waren mässig begeistert. «Junge Rechte haben nichts verdient ausser deinem Drink in ihrem Gesicht», fanden einige. «Mit Rechten feiern? Ich könnte das nie», schrieben die meisten. Andere waren begeistert. Dass man nach dem Podium noch zusammen weggehen könne, es guthaben könne miteinander, das sei wahre Demokratie! In dem Moment, in dem ich das hörte, hätte ich meinen Drink rückwirkend gerne umfunktioniert.

Eine ähnliche Haltung begegnete mir kürzlich wieder. An einer Radiodebatte mit einer jungen Schriftstellerin, die ein Buch gegen linken Aktivismus geschrieben hat. Zum Abschluss des Gesprächs fragte die Moderatorin, was wir uns für die Zukunft wünschen. «Dass man wieder mehr miteinander redet», antwortete meine Kontrahentin. Sie erzählte, wie sie mit einem Kritiker mal was trinken gegangen war.

Hach ja. Einfach mal an einen Tisch sitzen mit einer Person, die anderer Meinung ist. Einfach mal einen Tee trinken mit jemandem, der Geflüchtete ertrinken lassen will. Einfach mal feiern gehen mit Leuten, die Homos gesetzlich benachteiligen wollen. Einfach mehr miteinander reden! Heart-Emoji! Handshake-Emoji! Demokratie. Schön.

Das Gemeine ist ja: Es klingt mega demokratisch. Weil «mehr miteinander reden» so freundlich und fair, ja nahezu empathisch klingt. Vor allem aber klingt es: symmetrisch. Du sagst was, ich sag was, dann verstehen wir unsere Positionen besser und vielleicht finden wir einen Kompromiss.

Du möchtest gegen die Menschenrechtskonvention verstossen und ich nicht? Cool, verstossen wir doch einfach nur ein bisschen gegen die Menschenrechtskonvention. Du respektierst trans Menschen nicht und ich schon? Fantastisch, lass uns nur einen Teil der trans Menschen respektieren. Du hasst Muslima und ich nicht? Da gibts ein paar prima Abstimmungen darüber.

«Einfach mal miteinander reden» setzt eine friedliche Symmetrie voraus, die meistens nicht gegeben ist; wenn ich, wie in einer früheren Kolumne beschrieben, mit dem homofeindlichen Marsch-fürs-Läbe-Schwurbler über Homosexualität rede, macht das mit mir sehr viel mehr als mit ihm.

Beim Wunsch, dass politische Gegner:innen mehr miteinander reden sollten, schwingt aber gleichzeitig auch ein unausgesprochener Wunsch nach einer Mitte mit, einem Kompromiss am unteren Ende des Hufeisens. Ich war mies in Geometrie, aber ich weiss, dass die Mitte abhängig davon ist, wo die beiden Aussenpositionen liegen. Wenn mein Gegenüber, mit dem ich grad locker-demokratisch zu Justin Bieber tanze, Mensch und Umwelt krepieren lassen will… will ich dann eine Mitte? Mit wem will ich tanzen? Mit wem will ich «einfach mal reden»?

Und wem, liebe Lesende, sollten wir im höchst-übertragenen Sinne ein Getränk ins Gesicht leeren?