Vor etwa einem Jahr erschien in der Zeitschrift «Hochparterre» ein ausführlicher Artikel über die lokale Design- und Gestaltungsszene. Seitenweise St.Galler Gewusel: von den alten und neuen Saitengrafiker:innen über das Sitterwerk bis zum Industriedesigner in seinem Altbauatelier und den Textilerinnen im Lattich. So viel Aufmerksamkeit sind wir hier im Osten fast nicht gewohnt.
Die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt St.Gallen sei «unterdurchschnittlich», befand kürzlich ein Ökonom in der «NZZ am Sonntag». Und einen Absatz später doppelte ein anderer nach: «Seit dem Niedergang der Textilindustrie hat St.Gallen keinen dynamischen Branchencluster hervorgebracht.» Ganz falsch ist das nicht, aber so vernichtend muss man es dann doch nicht formulieren, nur weil wir hier kein Crypto Valley und keine Pharmatürme haben. Es gibt in St.Gallen durchaus ein paar umtriebige und progressive Zellen, die auch international mitmischen können. Nur misst man sie vielleicht an weicheren Kriterien als Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsvorteilen. Und wir wissen um die Gefahr von Monokulturen.
Die Autorin Mirjam Rombach bringt es in ihrem «Hochparterre»-Artikel ganz gut auf den Punkt: «Unauffällig stark» lautet der Titel. Das hiesige Design- und Kreativmilieu ist nämlich sehr lebendig und hat eine ganz eigene Qualität. Schon seit Längerem kursiert in der Welt der Gestalter:innen der Begriff «St.Galler Schule». Aber man versteht sich kaum als Szene und noch weniger als gemeinsame Branche. Dabei sind fast zehn Prozent aller Arbeitsplätze in der Stadt St.Gallen der sogenannten Kreativwirtschaft zuzurechnen. Das ist mehr als in vergleichbaren Schweizer Städten.
Manche haben Mühe mit diesem ökonomisch belasteten Begriff, wie auch die O-Töne auf den folgenden Seiten zeigen. Aber neutral betrachtet, sind die Menschen in den Design- und Gestaltungsberufen Teil der St.Galler Kreativwirtschaft, ob sie wollen oder nicht. Und diese soll nun sichtbarer werden, geht es nach der Schule für Gestaltung, der Fachstelle Kultur und der städtischen Standortförderung. Gemeinsam organisieren sie darum im März die erste Design Week St.Gallen.
Mitorganisatorin Kathrin Lettner von der Schule für Gestaltung erklärt im Interview, warum es solche Treffpunkte braucht, welche Rolle die kleinen Agenturen spielen und wie der «Kreativstandort St.Gallen» gestärkt werden kann.
Kathrin Lettner ist Prorektorin an der GBS St.Gallen für die Schule für Gestaltung/Weiterbildung und diplomierte Kommunikationsdesignerin. Sie hat die erste Design Week zusammen mit Beat Lüscher initiiert. Diese ist eine Kooperation des Gewerblichen Berufs- und Weiterbildungszentrums GBS, der Fachstelle Kultur und der Standortförderung der Stadt St.Gallen.
Design Week St.Gallen:
11. März: ab 13:30 Uhr Design Forum St.Gallen in der Lokremise. Ab 18 Uhr Design Night, wo zahlreiche Ateliers, Studios und Ausstellungen in der ganzen Stadt ihre Türen öffnen.
12. März: 18 Uhr Eröffnung der 7. Swiss Interactive Media Design Days im Stadthaus St.Gallen und Verleihung der 2. Swiss Interactive Media Design Awards.
13. Marz: ab 9 Uhr diverse Workshops für Lernende an der Schule für Gestaltung an der GBS St.Gallen
14. März: ab 9 Uhr Fachkongress Interactive Media Design Day zum Motto «React» in der Aula der GBS St.Gallen. Ab 20 Uhr Drinks und Musik im Øya Klub.

Kathrin Lettner im Lattich. (Bild: Ladina Bischof)
Saiten: Warum braucht die Stadt St.Gallen eine Design Week?
Kathrin Lettner: Hier gibt es viele tolle kleine Initiativen, aber die Design- und Kreativbranche als solche ist nicht wirklich sichtbar – noch nicht. In der Kunst klappt das besser. Projekte wie aktuell der «Graue Himmel» sorgen für mehr Sichtbarkeit der Kunstschaffenden in der Stadt. In den Designberufen gibt es zwar viele erfolgreiche Leute, die Preise und Awards gewinnen, aber es fehlt das Selbstverständnis, von sich selber als Kreativbranche oder gar -wirtschaft zu sprechen. Dabei tragen diese Leute ja ganz wesentlich zur Wertschöpfung bei.
Die städtische Fachstelle Statistik spricht von knapp 10 Prozent aller Arbeitsplätze in St.Gallen.
Genau. Diesen Menschen wollen wir mit der Design Week ein Angebot machen: Wir geben ihnen die Möglichkeit, miteinander in Kontakt zu treten, sich auszutauschen und zu vernetzen. Ich bin überzeugt, dass Kooperation der bessere Weg ist als Wettbewerb.
Die Ansprache ist sehr breit: Von Textildesign über Architektur, Fotografie, Agenturen bis zur freischaffenden Illustratorin sind alle eingeladen. Was war der Gedanke dahinter?
Lange herrschte in der Design- und Kreativbranche eine starke Spezialisierung. Der eine hat nur dieses gemacht, die andere nur jenes. Jetzt dreht der Trend. Die verschiedenen Disziplinen wachsen wieder zusammen. Dem wollen wir Rechnung tragen.
Rückt man wieder näher zusammen aus Angst vor der KI, welche die Designbranche dereinst obsolet machen wird, wie manche behaupten?
Schwierige Frage. Die Branche steht bereits vor ihrer zweiten grossen Disruption in kurzer Zeit. Dass mit der Digitalisierung viele alte Berufsbilder verschwanden, ist ja auch noch nicht lange her. Unsere Branche gehörte zu den ersten, die einen durchgehenden elektronischen Workflow hatte. Die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz werden die Branche weiter verändern, klar, aber ich bin da nicht so pessimistisch. Ich denke eher, dass man wieder zusammenrückt, weil die Grenzen zwischen den einzelnen Fachrichtungen fliessender und die Aufgaben komplexer geworden sind. Man muss die Kompetenzen also zusammenbringen und dafür braucht es interdisziplinäre Teams.
«Kreativwirtschaft» ist für manche ein Reizwort. Zu viel Wirtschaft, zu wenig Kreativität. Und wenn die Standortförderung mitorganisiert, dann erst recht. Wie begegnet ihr dieser Kritik?
Indem wir explizit auch jene einladen, die sich vielleicht im ersten Moment nicht trauen oder nicht angesprochen fühlen. Wir wollen nicht nur die Agenturen dabeihaben, sondern möglichst viele Kreative mit möglichst unterschiedlichen Perspektiven. Da greife ich durchaus auch mal zum Telefon, um jemanden persönlich zu ermutigen. Die Etablierten bilden vielleicht den Sockel, aber der bunte, coole Strauss – das sind die Jungen.
Sie sehen sich vermutlich lieber als Teil der Szene und weniger als Teil der Wirtschaft.
Dabei können sie ruhig stolz auf sich sein, denn was die Design- und Kreativbranche hier interessant macht, sind die kleinen Agenturen, nicht nur die grossen. Das sind die Leute, die vielleicht einen neuen Blick auf die Dinge haben. Für mich sind definitiv die Kleinen das Salz in der Suppe.
Ihr wollt das «Kreativzentrum St.Gallen» stärken. Was braucht es dafür?
Gefässe, wo man sich regelmässig trifft, wie die Interactive Media Days oder irgendwann vielleicht die Design Week. Ausserdem braucht es Orte, die unsere Stadt lebendig halten. Dazu können wir als Schule etwas beitragen, aber es braucht auch die ansässigen Büros und Agenturen. Sie sind es, die die guten Leute entdecken, sie hier halten, entwickeln und fördern.
Der Braindrain ist ein Problem. Das bringt uns zur alten Forderung nach einer Hochschule der Künste in St.Gallen, die es wohl so schnell nicht geben wird. Hier setzt man auf Lehrgänge der Höheren Fachschule (HF). Was kann der «Ausbildungsstandort St.Gallen» beitragen zum «Kreativstandort»?
Ich bin ein Fan der HF-Ausbildungen, weil unsere Leute sehr praxisorientiert sind, sowohl die Studierenden als auch die Dozierenden. Aus unseren Lehrgängen entstehen auch junge Agenturen oder die Leute arbeiten international. Was wollen wir mehr? Unser HF-Angebot ist sehr nahe am Markt. Wenn es an gewissen Ausbildungen kein Interesse gibt, kommt auch kein Lehrgang zustande. Hochschulen ticken da weniger marktnah, auch weil sie anders finanziert sind.
Was zeichnet die Lehrgänge in St.Gallen fachlich aus?
Wir glauben daran, dass Design kommuniziert. Insgesamt bieten wir vier HF-Lehrgänge an. Visuelle Gestaltung und Interactive Media liegen nah beieinander, wir setzen auch nach wie vor auf Fotografie und natürlich liegt uns Industrial Design am Herzen. Als wir diesen Lehrgang vor zehn Jahren eingeführt haben, waren wir die einzigen. Mittlerweile gibt es schweizweit fünf. Im Gegensatz zu anderen Schulen zeichnet uns auch der konsequente Praxisbezug aus. Wir beschäftigen nur Dozent:innen, die hauptberuflich in der Branche arbeiten. Die Aktualität des vermittelten Wissens ist damit sehr hoch. Ich sage gerne, dass unsere Studierenden am Montag wissen, ob wir ihnen am Freitag und Samstag Unsinn erzählt haben.
Nochmal zurück zur Künstlichen Intelligenz: Die Kreativbranche mag wohl einigermassen differenziert mit dieser Technologie umgehen, aber was ist mit den Kund:innen? Wie überzeugt man sie davon, weiterhin auf menschliche Kreativleistungen zu setzen und nicht die zweitbeste Lösung zu wählen?
Hier spielt die Beratung eine bedeutende Rolle. Jeder kann irgendwas reinprompten, aber wenn das Resultat beispielsweise nicht zu meinem Produkt passt und ich meine Marke schädige oder gar kein Gespür für meine Zielgruppe habe, dann hilft mir KI gar nicht. Optionen haben wir mehr als genug, aber für die Entscheidungen braucht es immer noch uns Menschen. Darum wird die Beratung in Zukunft wichtiger werden.