Mehr Kooperation, weniger Wettbewerb

Die erste Design Week St.Gallen will die Kreativen der Stadt vernetzen und den «Kreativstandort» St.Gallen stärken. Explizit eingeladen sind auch die Einzelkämpfer:innen und kleinen Büros – «das Salz in der Suppe», wie Mitorganisatorin Kathrin Lettner sie nennt. 

Vor et­wa ei­nem Jahr er­schien in der Zeit­schrift «Hoch­par­terre» ein aus­führ­li­cher Ar­ti­kel über die lo­ka­le De­sign- und Ge­stal­tungs­sze­ne. Sei­ten­wei­se St.Gal­ler Ge­wu­sel: von den al­ten und neu­en Sai­ten­gra­fi­ker:in­nen über das Sit­ter­werk bis zum In­dus­trie­de­si­gner in sei­nem Alt­bau­ate­lier und den Tex­ti­le­rin­nen im Lat­tich. So viel Auf­merk­sam­keit sind wir hier im Os­ten fast nicht ge­wohnt. 

Die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung der Stadt St.Gal­len sei «un­ter­durch­schnitt­lich», be­fand kürz­lich ein Öko­nom in der «NZZ am Sonn­tag». Und ei­nen Ab­satz spä­ter dop­pel­te ein an­de­rer nach: «Seit dem Nie­der­gang der Tex­til­in­dus­trie hat St.Gal­len kei­nen dy­na­mi­schen Bran­chen­clus­ter her­vor­ge­bracht.» Ganz falsch ist das nicht, aber so ver­nich­tend muss man es dann doch nicht for­mu­lie­ren, nur weil wir hier kein Cryp­to Val­ley und kei­ne Phar­ma­tür­me ha­ben. Es gibt in St.Gal­len durch­aus ein paar um­trie­bi­ge und pro­gres­si­ve Zel­len, die auch in­ter­na­tio­nal mit­mi­schen kön­nen. Nur misst man sie viel­leicht an wei­che­ren Kri­te­ri­en als Wirt­schafts­wachs­tum und Wett­be­werbs­vor­tei­len. Und wir wis­sen um die Ge­fahr von Mo­no­kul­tu­ren. 

Die Au­torin Mir­jam Rom­bach bringt es in ih­rem «Hoch­par­terre»-Ar­ti­kel ganz gut auf den Punkt: «Un­auf­fäl­lig stark» lau­tet der Ti­tel. Das hie­si­ge De­sign- und Krea­tiv­mi­lieu ist näm­lich sehr le­ben­dig und hat ei­ne ganz ei­ge­ne Qua­li­tät. Schon seit Län­ge­rem kur­siert in der Welt der Ge­stal­ter:in­nen der Be­griff «St.Gal­ler Schu­le». Aber man ver­steht sich kaum als Sze­ne und noch we­ni­ger als ge­mein­sa­me Bran­che. Da­bei sind fast zehn Pro­zent al­ler Ar­beits­plät­ze in der Stadt St.Gal­len der so­ge­nann­ten Krea­tiv­wirt­schaft zu­zu­rech­nen. Das ist mehr als in ver­gleich­ba­ren Schwei­zer Städ­ten. 

Man­che ha­ben Mü­he mit die­sem öko­no­misch be­las­te­ten Be­griff, wie auch die O-Tö­ne auf den fol­gen­den Sei­ten zei­gen. Aber neu­tral be­trach­tet, sind die Men­schen in den De­sign- und Ge­stal­tungs­be­ru­fen Teil der St.Gal­ler Krea­tiv­wirt­schaft, ob sie wol­len oder nicht. Und die­se soll nun sicht­ba­rer wer­den, geht es nach der Schu­le für Ge­stal­tung, der Fach­stel­le Kul­tur und der städ­ti­schen Stand­ort­för­de­rung. Ge­mein­sam or­ga­ni­sie­ren sie dar­um im März die ers­te De­sign Week St.Gal­len. 

Mit­or­ga­ni­sa­to­rin Kath­rin Lett­ner von der Schu­le für Ge­stal­tung er­klärt im In­ter­view, war­um es sol­che Treff­punk­te braucht, wel­che Rol­le die klei­nen Agen­tu­ren spie­len und wie der «Krea­tiv­stand­ort St.Gal­len» ge­stärkt wer­den kann.

Kathrin Lettner ist Prorektorin an der GBS St.Gallen für die Schule für Gestaltung/Weiterbildung und diplomierte Kommunikationsdesignerin. Sie hat die erste Design Week zusammen mit Beat Lüscher initiiert. Diese ist eine Kooperation des Gewerblichen Berufs- und Weiterbildungszentrums GBS, der Fachstelle Kultur und der Standortförderung der Stadt St.Gallen.

Design Week St.Gallen: 

11. März: ab 13:30 Uhr Design Forum St.Gallen in der Lokremise. Ab 18 Uhr Design Night, wo zahlreiche Ateliers, Studios und Ausstellungen in der ganzen Stadt ihre Türen öffnen.
12. März: 18 Uhr Eröffnung der 7. Swiss Interactive Media Design Days im Stadthaus St.Gallen und Verleihung der 2. Swiss Interactive Media Design Awards.
13. Marz: ab 9 Uhr diverse Workshops für Lernende an der Schule für Gestaltung an der GBS St.Gallen
14. März: ab 9 Uhr Fachkongress Interactive Media Design Day zum Motto «React» in der Aula der GBS St.Gallen. Ab 20 Uhr Drinks und Musik im Øya Klub. 

design-week.ch

Kathrin lettner by ladina bischof

Kathrin Lettner im Lattich. (Bild: Ladina Bischof)

Sai­ten: War­um braucht die Stadt St.Gal­len ei­ne De­sign Week? 

Kath­rin Lett­ner: Hier gibt es vie­le tol­le klei­ne In­itia­ti­ven, aber die De­sign- und Krea­tiv­bran­che als sol­che ist nicht wirk­lich sicht­bar – noch nicht. In der Kunst klappt das bes­ser. Pro­jek­te wie ak­tu­ell der «Graue Him­mel» sor­gen für mehr Sicht­bar­keit der Kunst­schaf­fen­den in der Stadt. In den De­sign­be­ru­fen gibt es zwar vie­le er­folg­rei­che Leu­te, die Prei­se und Awards ge­win­nen, aber es fehlt das Selbst­ver­ständ­nis, von sich sel­ber als Krea­tiv­bran­che oder gar -wirt­schaft zu spre­chen. Da­bei tra­gen die­se Leu­te ja ganz we­sent­lich zur Wert­schöp­fung bei. 

Die städ­ti­sche Fach­stel­le Sta­tis­tik spricht von knapp 10 Pro­zent al­ler Ar­beits­plät­ze in St.Gal­len. 

Ge­nau. Die­sen Men­schen wol­len wir mit der De­sign Week ein An­ge­bot ma­chen: Wir ge­ben ih­nen die Mög­lich­keit, mit­ein­an­der in Kon­takt zu tre­ten, sich aus­zu­tau­schen und zu ver­net­zen. Ich bin über­zeugt, dass Ko­ope­ra­ti­on der bes­se­re Weg ist als Wett­be­werb. 

Die An­spra­che ist sehr breit: Von Tex­til­de­sign über Ar­chi­tek­tur, Fo­to­gra­fie, Agen­tu­ren bis zur frei­schaf­fen­den Il­lus­tra­to­rin sind al­le ein­ge­la­den. Was war der Ge­dan­ke da­hin­ter? 

Lan­ge herrsch­te in der De­sign- und Krea­tiv­bran­che ei­ne star­ke Spe­zia­li­sie­rung. Der ei­ne hat nur die­ses ge­macht, die an­de­re nur je­nes. Jetzt dreht der Trend. Die ver­schie­de­nen Dis­zi­pli­nen wach­sen wie­der zu­sam­men. Dem wol­len wir Rech­nung tra­gen.

Rückt man wie­der nä­her zu­sam­men aus Angst vor der KI, wel­che die De­sign­bran­che der­einst ob­so­let ma­chen wird, wie man­che be­haup­ten? 

Schwie­ri­ge Fra­ge. Die Bran­che steht be­reits vor ih­rer zwei­ten gros­sen Dis­rup­ti­on in kur­zer Zeit. Dass mit der Di­gi­ta­li­sie­rung vie­le al­te Be­rufs­bil­der ver­schwan­den, ist ja auch noch nicht lan­ge her. Un­se­re Bran­che ge­hör­te zu den ers­ten, die ei­nen durch­ge­hen­den elek­tro­ni­schen Work­flow hat­te. Die Mög­lich­kei­ten der Künst­li­chen In­tel­li­genz wer­den die Bran­che wei­ter ver­än­dern, klar, aber ich bin da nicht so pes­si­mis­tisch. Ich den­ke eher, dass man wie­der zu­sam­men­rückt, weil die Gren­zen zwi­schen den ein­zel­nen Fach­rich­tun­gen flies­sen­der und die Auf­ga­ben kom­ple­xer ge­wor­den sind. Man muss die Kom­pe­ten­zen al­so zu­sam­men­brin­gen und da­für braucht es in­ter­dis­zi­pli­nä­re Teams. 

«Krea­tiv­wirt­schaft» ist für man­che ein Reiz­wort. Zu viel Wirt­schaft, zu we­nig Krea­ti­vi­tät. Und wenn die Stand­ort­för­de­rung mit­or­ga­ni­siert, dann erst recht. Wie be­geg­net ihr die­ser Kri­tik? 

In­dem wir ex­pli­zit auch je­ne ein­la­den, die sich viel­leicht im ers­ten Mo­ment nicht trau­en oder nicht an­ge­spro­chen füh­len. Wir wol­len nicht nur die Agen­tu­ren da­bei­ha­ben, son­dern mög­lichst vie­le Krea­ti­ve mit mög­lichst un­ter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven. Da grei­fe ich durch­aus auch mal zum Te­le­fon, um je­man­den per­sön­lich zu er­mu­ti­gen. Die Eta­blier­ten bil­den viel­leicht den So­ckel, aber der bun­te, coo­le Strauss – das sind die Jun­gen. 

Sie se­hen sich ver­mut­lich lie­ber als Teil der Sze­ne und we­ni­ger als Teil der Wirt­schaft. 

Da­bei kön­nen sie ru­hig stolz auf sich sein, denn was die De­sign- und Krea­tiv­bran­che hier in­ter­es­sant macht, sind die klei­nen Agen­tu­ren, nicht nur die gros­sen. Das sind die Leu­te, die viel­leicht ei­nen neu­en Blick auf die Din­ge ha­ben. Für mich sind de­fi­ni­tiv die Klei­nen das Salz in der Sup­pe.

Ihr wollt das «Krea­tiv­zen­trum St.Gal­len» stär­ken. Was braucht es da­für?

Ge­fäs­se, wo man sich re­gel­mäs­sig trifft, wie die In­ter­ac­ti­ve Me­dia Days oder ir­gend­wann viel­leicht die De­sign Week. Aus­ser­dem braucht es Or­te, die un­se­re Stadt le­ben­dig hal­ten. Da­zu kön­nen wir als Schu­le et­was bei­tra­gen, aber es braucht auch die an­säs­si­gen Bü­ros und Agen­tu­ren. Sie sind es, die die gu­ten Leu­te ent­de­cken, sie hier hal­ten, ent­wi­ckeln und för­dern. 

Der Bra­in­drain ist ein Pro­blem. Das bringt uns zur al­ten For­de­rung nach ei­ner Hoch­schu­le der Küns­te in St.Gal­len, die es wohl so schnell nicht ge­ben wird. Hier setzt man auf Lehr­gän­ge der Hö­he­ren Fach­schu­le (HF). Was kann der «Aus­bil­dungs­stand­ort St.Gal­len» bei­tra­gen zum «Krea­tiv­stand­ort»?

Ich bin ein Fan der HF-Aus­bil­dun­gen, weil un­se­re Leu­te sehr pra­xis­ori­en­tiert sind, so­wohl die Stu­die­ren­den als auch die Do­zie­ren­den. Aus un­se­ren Lehr­gän­gen ent­ste­hen auch jun­ge Agen­tu­ren oder die Leu­te ar­bei­ten in­ter­na­tio­nal. Was wol­len wir mehr? Un­ser HF-An­ge­bot ist sehr na­he am Markt. Wenn es an ge­wis­sen Aus­bil­dun­gen kein In­ter­es­se gibt, kommt auch kein Lehr­gang zu­stan­de. Hoch­schu­len ti­cken da we­ni­ger markt­nah, auch weil sie an­ders fi­nan­ziert sind. 

Was zeich­net die Lehr­gän­ge in St.Gal­len fach­lich aus?

Wir glau­ben dar­an, dass De­sign kom­mu­ni­ziert. Ins­ge­samt bie­ten wir vier HF-Lehr­gän­ge an. ­Vi­su­el­le Ge­stal­tung und In­ter­ac­ti­ve Me­dia lie­gen nah bei­ein­an­der, wir set­zen auch nach wie vor auf Fo­to­gra­fie und na­tür­lich liegt uns In­dus­tri­al De­sign am Her­zen. Als wir die­sen Lehr­gang vor zehn Jah­ren ein­ge­führt ha­ben, wa­ren wir die ein­zi­gen. Mitt­ler­wei­le gibt es schweiz­weit fünf. Im Ge­gen­satz zu an­de­ren Schu­len zeich­net uns auch der kon­se­quen­te Pra­xis­be­zug aus. Wir be­schäf­ti­gen nur Do­zent:in­nen, die haupt­be­ruf­lich in der Bran­che ar­bei­ten. Die Ak­tua­li­tät des ver­mit­tel­ten Wis­sens ist da­mit sehr hoch. Ich sa­ge ger­ne, dass un­se­re Stu­die­ren­den am Mon­tag wis­sen, ob wir ih­nen am Frei­tag und Sams­tag Un­sinn er­zählt ha­ben.

Noch­mal zu­rück zur Künst­li­chen In­tel­li­genz: Die Krea­tiv­bran­che mag wohl ei­ni­ger­mas­sen dif­fe­ren­ziert mit die­ser Tech­no­lo­gie um­ge­hen, aber was ist mit den Kund:in­nen? Wie über­zeugt man sie da­von, wei­ter­hin auf mensch­li­che Krea­tiv­leis­tun­gen zu set­zen und nicht die zweit­bes­te Lö­sung zu wäh­len? 

Hier spielt die Be­ra­tung ei­ne be­deu­ten­de Rol­le. Je­der kann ir­gend­was rein­pro­mp­ten, aber wenn das Re­sul­tat bei­spiels­wei­se nicht zu mei­nem Pro­dukt passt und ich mei­ne Mar­ke schä­di­ge oder gar kein Ge­spür für mei­ne Ziel­grup­pe ha­be, dann hilft mir KI gar nicht. Op­tio­nen ha­ben wir mehr als ge­nug, aber für die Ent­schei­dun­gen braucht es im­mer noch uns Men­schen. Dar­um wird die Be­ra­tung in Zu­kunft wich­ti­ger wer­den.