«Wenn ich auf eine Patientin oder einen Patienten treffe, schaue ich erst, was genau das Problem ist, welche Faktoren die Situation beeinflussen und wo ich hinmöchte: Was kann ich jetzt tun, damit sich für diese Person etwas merklich verändert?» Diese Haltung möchte die angehende Pflegefachfrau Maurizia Bless auch in der Politik vertreten und umsetzen. Sie will zuhören, verstehen und dann Ziele setzen – und zwar «Nahziele», also erreichbare Ziele, keine theoretischen Fernziele, wie es gestandene Politiker:innen jenseits der Dreissiger gerne tun. «Sogenannte Fernziele demotivieren, sie sind nicht greifbar.»
Die 19-jährige Appenzellerin möchte hinterfragen. Die Wichtigkeit dessen und den Unterschied zwischen Hypothesen und handfester Praxis hat sie in der Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit gelernt.
Überhaupt strotzt Bless vor Tatendrang. In ihrer Freizeit tanzt sie Discofox und geht jeden zweiten Tag um 6 Uhr morgens ins Schwimmbad. Zurzeit macht sie eine Weiterbildung zur diplomierten Pflegefachfrau, sie möchte näher am Prozess sein. Nun will sie auch politisch konkreter und aktiver werden, sich Wissen aneignen, um diskutieren und etwas verändern zu können. «Es gibt einen Ist- und einen Soll-Zustand. Die Frage ist doch, wie erreichen wir den Soll-Zustand am besten?»
Bless glaubt, viele Menschen würden aktuell anderen nicht mehr richtig zuhören wollen, geschweige denn Interesse zeigen, die Argumente der Gegenseite verstehen zu wollen. «Vielleicht macht eine bestimmte Haltung je nach Lebenslage Sinn. Es braucht halt Austausch», sagt die Innerrhoderin. Ihr Ansatz mag naiv klingen, und doch trifft sie damit einen wunden Punkt in einer Gesellschaft, in der fast alles politisch aufgeladen ist.
Der Konsens der Mitte
Gemeinsam mit Kolleg:innen hat Maurizia Bless im vergangenen Sommer die Junge Mitte in Appenzell Innerrhoden gegründet. Bisher gab es im Halbkanton lediglich die Junge SVP Säntis – eigenständig und doch ähnlich rechtskonservativ wie die Mutterpartei – und daneben Verdrossenheit und brachliegendes Potenzial. Bless und ihre Kolleg:innen wollten dieses Potenzial auffangen und die politischen Gespräche, die sie untereinander führten, in die Tat umsetzen. Also beschlossen sie, selbst eine Partei zu gründen.
Bei der Mitte würden die Meinungen aller einen Konsens finden, sagt die angehende Pflegefachfrau, obschon sie selbst sich eher links davon positionieren würde. Die Gründung einer Partei sei allerdings komplexer, als sie gedacht hatte, räumt sie ein, dafür sei es eine gute Vorbereitung auf die politische Arbeit. Denn nun müssen die Gründungsmitglieder der Jungen Mitte überzeugen, nicht nur die Mutterpartei, sondern auch Wähler:innen. Darum möchte Bless lernen, wie man gut spricht und griffig überzeugt.
Zwischen Ohnmacht und Klimakleben
Bless möchte vor allem die Jugend abholen, deren Interesse an Politik wecken und Anliegen repräsentieren. Denn gerade was Politik betrifft, sei die Jugend zwiegespalten. Es gebe zwei Lager, meint die Appenzellerin: Die einen, die sehr laut sind und zuweilen mit extremen Mitteln für etwas kämpfen, wie beispielsweise die sogenannten Klimakleber:innen. Und die anderen, die sich dadurch eingeschüchtert und vor lauter Ideologie und polarisierten Ideen ohnmächtig fühlen. Auch darum gab es wohl bisher in Innerrhoden nur eine Jungpartei, nämlich die der SVP.
Hinzu komme, dass die Jugend in der Politik auch nicht angemessen vertreten sei, sagt die 19-Jährige: «Als ich vor einem Jahr das erste Mal im Jugendparlament sass und realisierte, dass hier junge Leute eine Plattform haben, gesehen werden und diskutieren können, hat mich das motiviert.»
Mittlerweile sitzt sie im Vorstand des Jugendparlaments. Sie möchte die Jugend vertreten und zeigen, dass man mitreden kann und gehört wird. Und obwohl ihre Mutter in der Innerrhoder Standeskommission sitzt, möchte Maurizia Bless nicht zwingend auch irgendwelche hohen Posten bekleiden. Ihr geht es ums Hier und Jetzt und wie sie dies verändern kann. Mehr Nahziele eben, wie in der Pflege, und weniger hypothetische Ziele in absurder Ferne.