, 22. Oktober 2020
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«Massnahmen müssen rasch umgesetzt werden»

Die neuen Schutzmassnahmen für Clubs und Bars im Kanton St.Gallen riefen teils harsche Kritik hervor. Weniger die Massnahmen an sich werden torpediert, sondern die kurzfristige Kommunikation und das anfängliche Versäumnis, finanzielle Hilfe in Aussicht zu stellen. Gesundheitsdirektor Bruno Damann nimmt Stellung.

St.Galler Gesundheitsdirektor und Regierungspräsident im Live-Stream: Bruno Damann erläutert am Dienstag die neusten Corona-Massnahmen. (Bild: pd)

Zweimal hintereinander hat die St.Galler Regierung Betriebe des Nachtlebens in die Bredouille gebracht und in aller Eile neue Massnahmen verordnet. Ende September verschärfte sie die Contact-Tracing-Massnahmen, am 16. Oktober folgten Tanzverbot, Maskenpflicht und Sitzpflicht bei Konsumation.

Die einschneidenden Massnahmen sind zwar nachvollziehbar, erfolgten aber ohne Absprache mit der Branche wie in anderen Sektoren üblich. Auch die Kommunikation der Massnahmen war mangelhaft, offenbar wurden nicht einmal die polizeilichen Kontrollinstanzen genügend informiert.

Der faktische Lockdown eines ganzen Kultursektors wurde verhängt, ohne finanzielle Hilfe in Aussicht zu stellen. Hilfsmassnahmen wurden erst am Dienstag angekündigt, nachdem Unmut aus der Szene laut wurde und die IG Kultur Ost einen offenen Brief an die Ostschweizer Regierungen veröffentlichte.

Saiten: Bruno Damann, offenbar haben Sie schon Anfang Kalenderwoche 39 gewusst, dass es zu neuen Weisungen beim Contact Tracing in Betrieben mit Tanzmöglichkeit kommen wird. Beispielsweise sollen Sie das am Gemeindepräsidentenanlass in der Region Gossau gesagt oder zumindest angetönt haben. Stimmt das?

Bruno Damann: Es ist richtig, dass sich seit einigen Wochen abgezeichnet hat, dass wir in Clubs und Bars Ansteckungen verzeichnen. Corona-Massnahmen, welche für den ganzen Kanton gelten, müssen aber von der Gesamtregierung erlassen werden. Relevant ist darum nicht, wer wann was angetönt hat, sondern was die Regierung verabschiedet.

Eine erste Tranche an neuen Weisungen für Betriebe mit Tanzmöglichkeiten kam am Freitagmittag des 25. September – mit Gültigkeit per sofort. Wie beurteilen Sie den Zeitpunkt der Herausgabe zusätzlicher Contact-Tracing-Weisungen?

Wir waren uns dieser Kurzfristigkeit bewusst. Korrekte Kontaktdaten sind jedoch das A und O für ein möglichst rasches Tracing. Vor der Weisung wurde das Contact Tracing wiederholt durch falsche bzw. unvollständige Angaben erschwert. Darum wurde die Weisung umgehend in Kraft gesetzt, damit wir das Contact Tracing so ausführen können, wie es nötig und effektiv ist.

Dass die Veranstalter angewiesen werden, sich selber beim Tracing zu beteiligen bzw. es zu übernehmen, ist nachvollziehbar. Wie soll die Verifizierung der E-Mailadresse an der Abendkasse – etwa bei Leuten ohne Smartphone – erfolgen?

Ziel der Regierung war, eine Schliessung der Clubs zu vermeiden. Die Überprüfung der Kontaktdaten war aus Sicht der Regierung eine verhältnismässige Alternative zur Schliessung. Zumal davon auszugehen ist, dass heute die grosse Mehrheit der mobilen Bevölkerung ein Handy bei sich hat und somit die Mail-Adresse via Prüfmail verifiziert werden kann bzw. die Handynummer mit einem Anruf.

Offenbar sind einzelne Bestimmungen an jenem Freitagnachmittag von gewissen Stellen wieder relativiert worden, weil zumindest in dieser kurzen Frist schlicht nicht umsetzbar, zum Beispiel die Verifizierung der E-Mailadresse. Stimmt das?

Wir haben erkannt, dass die Wohnortkontrolle vor Ort nicht möglich ist, weshalb wir im Nachgang mitgeteilt haben, dass die Wohnadresse zwar aufgenommen, aber nicht kontrolliert werden muss. Falsch ist die Aussage zur Überprüfung der E-Mail-Adresse.

Was gilt denn jetzt konkret fürs Tracing?

Seit dem 17. Oktober müssen Bars und Clubs die ausführlichen Kontaktdaten jedes einzelnen Gastes nicht mehr aufnehmen und kontrollieren. Das haben wir am 16. Oktober kommuniziert. Ebenso das Tanzverbot und die Maskenpflicht.

Diese Weisungen kamen am Freitagnachmittag und galten ab Mitternacht. Auch hier die Frage: Warum die Kurzfristigkeit?

Massnahmen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus sollen möglichst rasch kommuniziert und umgesetzt werden, da die epidemiologische Lage zur Zeit sehr angespannt ist. Wir wollten verhindern, dass wegen einer längeren Umsetzungsphase sich nochmals viele Personen unter die Leute mischen. Der Regierung ist bewusst, dass aufgrund dieses Zeitdrucks die Kulturbetriebe und Kulturschaffenden kaum Vorlaufzeit hatten und grosse Flexibilität zeigen mussten.

Das Tanzverbot macht den Clubs und Kulturhallen faktisch den Garaus. Konzerte bleiben möglich, doch werden unter diesen Bedingungen kaum so viel Gäste kommen, dass sich der Betrieb noch einigermassen lohnt. Weshalb dieser Lockdown light?

Die Regierung bedauert die aktuelle Situation für Kulturbetriebe und Kulturschaffende sehr. Sie hat darum verschiedene Massnahmen beschlossen, wie Ausfallsentschädigungen und Kurzarbeitsentschädigungen. Wenn verschiedene Massnahmen möglich sind, ist jeweils die Massnahme zu wählen, die am wenigsten Einschränkungen mit sich bringt. Eine Schliessung von Clubs und Bars ist aus Sicht der Regierung zum aktuellen Zeitpunkt unverhältnismässig. Gleichzeitig hat die Regierung am Dienstag finanzielle Unterstützungsmassnahmen kommuniziert.

Inwiefern unterscheidet sich das Ansteckungsrisiko beim Tanzen im Club und im Fitnessstudio?

Tanzen in Fitnessstudios findet mit weniger Personen statt als in einem Club, und der Mindestabstand kann eingehalten werden. In einem Club treffen sich deutlich mehr Leute, und die Abstandsregeln sind faktisch nicht kontrollierbar.

Bei Betroffenen besteht der Eindruck, dass die Mini-Olma Pätch oder der FCSG als systemrelevant eingestuft werden und Betriebe des Nachtlebens nicht. Was sagen sie dazu?

Für Veranstaltungen und Betriebe gibt es verschiedene Auflagen mit dem Ziel, die Verbreitung des Corona-Virus einzudämmen. Das gesellschaftliche und kulturelle Leben soll nicht eingefroren werden. Es soll nach wie vor möglich sein, dass die Bevölkerung mit geeigneten Schutzmassnahmen Kultur konsumieren kann. Ein weiterer Lockdown wie im Frühling muss aber vermieden werden.

In einer beliebten Bar in St.Gallen hat sich am 10. Oktober eine Person infiziert. Auf eine Quarantäne der anderen Gäste wurde aber verzichtet. Warum? Welchen Zweck hat das Contact Tracing vor diesem Hintergrund noch?

Das Contact Tracing klärt mit der infizierten Person jeweils ab, zu wem enge Kontakte bestanden oder ob die Person mit verschiedenen Gruppen in der Bar Kontakt hatte. Wenn sich der Kontaktkreis klar eingrenzen lässt, ist eine Quarantäne für alle Gäste nicht verhältnismässig.

Die Frage wurde bereits gestellt, aber noch nicht beantwortet: Warum erfolgen die Entscheide später als die von anderen Kantonen, die teilweise weniger Fälle haben?

In der aktuellen besonderen Lage entscheiden die Kantone. So können die jeweiligen Begebenheiten berücksichtigt werden. In den letzten Wochen hat sich gezeigt, dass vor allem die Hospitalisationen relevant sind und weniger die Fallzahlen.

Dass die Zahlen ansteigen, ist nicht erst seit einer Woche bekannt. Ebenso wenig, dass die Kurven exponentiell steigen. Auch dass im Herbst eine zweite Welle kommt, war abzusehen. Weshalb war der Gesundheitsdirektor in dieser heiklen Phase in den Ferien?

Auch die Regierungsmitglieder nutzen moderne Kommunikationsmittel. Es ist somit sichergestellt, dass die Regierung ortsunabhängig jederzeit rasch über Entwicklungen informiert und auch beschlussfähig ist. Dass die Regierung über Tage nicht erreichbar ist, ist eine überholte Vorstellung.

Warum gelingt es dem Kanton nicht, innerhalb von 24 Stunden einen Live-Stream zu schalten, um neue Corona-Massnahmen zu kommunizieren? Nach der allgemeinen Digitalisierungswelle im ersten Lockdown sollte das doch im Bereich des Machbaren sein.

Wir schätzen es, dass sich das Live-Streaming innerhalb eines halben Jahres schon so bewährt hat, dass man es sich als Standard wünscht. Ein Live-Streaming in der von uns verlangten Qualität erfordert aber Vorlaufzeiten im Aufbau der Technik. Auch die Gebärdendolmetscher müssen mit Vorlauf gebucht werden. Diese Ressourcen waren in dieser Kurzfristigkeit nicht verfügbar. Da die Medien aber heute eigene Live-Streams schalten und gleichzeitig live von der Medienorientierung tickern, war die Bevölkerung auch so jederzeit aktuell informiert.

Das Interview wurde per Mail geführt.

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