Lyrik, welthaltig
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Am Freitag 15. Mai um 10 Uhr schlägt ihre Stunde: Dann liest Monika Schnyder als erste von insgesamt neun Finalistinnen und Finalisten in Meran. Der Lyrikpreis ist gefragt – er wird nur alle zwei Jahre ausgeschrieben, 2014 zum zwölften Mal. Eingereicht werden zehn unveröffentlichte Texte, eine Vorjury wählt 30 Namen aus, die Jury kürt schliesslich neun Personen für den Final. Meran sei für Lyrikschreibende «ein erstrebenswertes Etappenziel», sagt Monika Schnyder. Bisherige Preisträger waren unter anderen Kurt Drawert, Ulrike A. Sandig, Uwe Kolbe oder Lutz Seiler, aus der Schweiz noch niemand. Die Preissumme beträgt 8000 Euro. In der fünfköpfigen Jury sitzt auch Ilma Rakusa, die Schweizer Buchpreisgewinnerin von 2009 (für «Mehr Meer»).
Monika Schnyder ist als Autorin und Übersetzerin aus dem Arabischen tätig. In Zürich geboren, kam sie 1983 in die Ostschweiz, arbeitete als Journalistin namentlich für den Tagesanzeiger, lebt seit 2000 als freie Autorin und Ägyptisch-Arabisch-Lehrerin in St.Gallen und reist viel, vor allem in den Orient. Im Sabon-Verlag erschien 2002 der Band «Schnurrend im goldenen Licht» und 2006 «Swing by. Leuchtziffergrün». Für Meran hat Monika Schnyder eine Auswahl aus einem Zyklus mit dem Titel «Auto Texte» eingereicht – hier einer der Texte:
wie ferngesteuert nahen sie fahren
ein. dunkle leiber dampfend
eine prozession die herden ziehen
paarweise die augen weiss auf
schwarz der himmel
die bäume es rauscht der regen
im flutlicht rollen sie
an setzen über in weitem bogen
ihre schweife im fahrtwind fliegendes
gas. die herden ziehen paarweise
die augen weiss auf gold alt
gold der himmel die bäume es rauscht
im flutlicht fahren sie fallen
ein
Typisch für Monika Schnyder: Ihre Gedichte zielen nicht auf reine Innerlichkeit, sondern beziehen die Aussenwelt mit ein und übersetzen sie in Bilder von aufgeladener Kraft.
Die Teilnahme in Meran bedeute für sie «die Möglichkeit, auswärts zu lesen, meine Mitstreiter und Mitstreiterinnen aus Deutschland (und einen aus Österreich) kennen zu lernen, was im besten Fall zu länger andauernden Kontakten führt», sagt Monika Schnyder auf Anfrage. «Besonders freue ich mich aber darauf, während zweier ganzer Tage in zeitgenössische Lyrik einzutauchen, mich von den verschiedensten Ansätzen anregen zu lassen. Erhellend dürften auch die Statements der Jury sein.»
Im 2012 bei Isele erschienenen Lyrikband «Blattzungen» schlug Fred Kurer im Nachwort für Schnyders Texte einen neuen Zettelkasten-Eintrag vor: «Lyrik, zeitgenössische, welthaltig». Und weiter: «Monika Schnyders Gedichte reichen vom mikroskopisch Kleinen zum Weltumspannenden, vom Jetzt in die Welt vor Jahrtausenden. Sie schlägt Jalousien auf zur Welt – und findet Worte. Besser: er-innert durch Worte.»
In einem der kürzesten Texte in «Blattzungen» bringt die Autorin ihren Anspruch so auf den Punkt:
das café / ein paar gläser blaue kacheln / im löffel kreist / die welt.