, 20. Mai 2012
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Lobgesang auf Bit-Tuner

Sonntagmorgen, kurz vor 5 Uhr, der erste Zug nach Zürich füllt sich mit einer Mischung aus Wanderern und Betrunkenen. Auf dem Perron eine Schlägerei, der Kondukteur muss in Deckung gehen, es knallt, über seinen Kopf schiessen Steine. Es war eine schwere Nacht.

Zwei völlig übermüdete Freunde hocken neben uns. Einer zuckt ständig mit dem Bein, der andere hat eine Schallplatte unter dem Arm.

«Das war so deep»
«Ja»
«Aber Bit-Tuner hat mich etwas enttäuscht»
«Warum denn?»
«Ja einfach so. Es pumpte nicht so geil.»
«Du hast keine Ahnung! Oder warst einfach zu drauf»
«Haha»
«Bit-Tuner war der Killer. Der Shackleton hatte keine Chance nachher.»
«Ja schon geil. Ich habe gehört, dass beide von ihrer Musik leben können»
«Ja das ist tough»
«Ja»
«Bit-Tuner macht eben auch Sounds fürs Theater, das habe ich gelesen»
«Geil»

Die beiden stiegen dann irgendwo im Thurgau aus. Deswegen an dieser Stelle einige Zeilen mehr zur gestrigen Palace-Nacht.

Eigentlich war es der Abend des Engländers Shackleton, «Onkel Dubstep himself», wie das Palace ihn in der Ankündigung auch nannte. Eigentlich hätte er schon Ende Januar in St.Gallen spielen sollen. Das wurde dann aber abgesagt und auf gestern verlegt. Shackleton war sehr gut, seine apokalyptischen, langgezogenen, tiefen Tracks waren auch eine physische Erfahrung. Gut vertrackte Beats bereiteten den Tanzenden Schwierigkeiten, das nicht spärlich verwendete weisse Rauschen und die schleppenden Subs liessen einen Kopf und Magen spüren. Doch wie die beiden im Zug schon sagten: Der Mann, der auf dem Label Skull Disco zuhause ist, hatte es nicht gerade einfach gestern.

Grund dafür war der Exil-St.Galler Marcel Gschwend, Bit-Tuner. Eigentlich war er ja nur der „Opener“ für Shackleton, doch nach seinem Set standen viele einfach nur noch draussen auf dem Trottoir, rauchten, konnten nicht mehr. Das spricht für Bit-Tuner, dessen gut einstündiges Set die Taufe seiner neuen EP «Signals» und gleichzeitig auch eines der besten war, das man je gesehen hat. Seine Tracks – die älteren etwas dunkler, deeper, die neuen ein bisschen melodiöser, farbiger, klangräumlich grösser – brachten eigentlich das ganze Palace in Bewegung. Egal ob nun Hyperdub-Fans oder die drei jungen Frauen, die gerade aus dem benachbarten Casablanca kamen: Niemand tat anders, als sich irgendwie zu den tonnenschweren Beats zu bewegen.

Bit überschwemmte das alte Kino mit Nebel, Bier und so etwas wie den besten, im Nervenzentrum stochernden Lynch-Momenten in musikalischer Form. «In London wäre es genau gleich, nur wären da noch fünfzehnmal mehr Leute in der Halle», schrie einer ins Ohr. Und ja, manchmal fragt man sich wirklich, wie lange es noch dauert, bis Bit-Tuner auf den Plakaten in gleich grossen Lettern steht wie Harmonic 313 und die ganzen Hyperdub- und Warp-Künstler.

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