Loben in den höchsten Tönen
Die Verse gibt man sich gerne – wenn denn schon einmal von «güldnen Sayten» die Rede ist:
Ihr holde Thäler voll Rosen, von lauten Bächen durchirret!
Mit euren Düften will ich in mich Zufriedenheit ziehen,
Und wenn Aurora euch weckt, mit ihren Stralen sie trincken.
Gestreckt im Schatten will ich in güldne Sayten die Freude,
Die in euch wohnet, besingen. Reitzt und begeistert die Sinnen…
Es sind, für Leserinnen und Leser des 21. Jahrhunderts, allerdings ungewohnte Töne, hochfliegend, feierlich, mit gelehrten Anspielungen, in kunstvoll gedrechseltem Hexametervers. Wenn man aber durchhält und weiterliest, gerät man bald in ganz gegenteilige, unidyllische Bilder einer Naturkatastrophe:
…noch liessen wüthrische Stürme
Die rauhe dumpfigte Stimm aus Islands Gegend erthönen,
Durchstreiften klagende Klüfte, verheerten taumelnde Wälder,
Und bliesen Schrecken und Furcht herum, Verderben und Kälte.
So wild wüten die Wasserfluten, dass sich die Bären (die es damals noch gab) in die höchsten Baumwipfel retten müssen. Dann setzt sich zwar der Frühling durch, doch gleich legt der Dichter noch eins zu:
Allein, der frässige Krieg vom Zähne bleckenden Hunger
Und wilden Scharen begleitet, verheert oft Arbeit und Hofnung.
Er stürmet rasend einher, zertritt die nährenden Halmen,
Reisst Stab und Reben zu Boden, entzündet Dörfer und Wälder
Für sich zum flammenden Lustspiel.
Rund 400 Verse umfasst das Gedicht, Verse von überschäumender Sprachgewalt, in denen ein ganzer Kosmos ausgebreitet wird, in denen das Landleben verherrlicht und die Schöpfung gepriesen wird, aber auch Kritik am Stadtleben und an den Herrschenden geübt wird. 1750 erscheint es, wird rasch populär und macht seinen Dichter bekannt: Ewald von Kleist, preussischer Offizier und Dichter, der wenige Jahre später, 44-jährig in der Schlacht von Kunersdorf umkommen wird. Das Gedicht heisst Der Frühling. Ein harter Brocken selbst für Germanisten – aber nicht für Johannes Anderegg.
Naturbegeisterung und Fürstenlob
Der langjährige HSG-Professor behandelt Kleists Langgedicht Frühling, neben vielen anderen, in seinem neuen Buch. Es trägt den Titel Lorbeerkranz und Palmenzweig und widmet sich dem Genre der dichterischen Lobpreisung. Johannes Anderegg hat ein Flair dafür, nicht-alltägliche Forschungsgebiete zu erschliessen. Für die hier versammelte Lob-Lyrik ist er als Bibelkenner und Neulatein-Spezialist prädestiniert.
Zuletzt war sein Buch über «Himmlisches und Teuflisches in Goethes Faust» erschienen – Faust II und die anspielungsreiche Figur des «Knaben Lenker», eine Allegorie auf die Dichtkunst, kommen auch hier wieder vor.
Johannes Anderegg: Lorbeerkranz und Palmenzweig, Aisthesis Verlag Bielefeld, Fr. 49.90
Buchpräsentation: 13. Dezember, 19 Uhr, Raum für Literatur, Hauptpost St.Gallen
Das «poetische Lob» ist ein Feld, das auf Anhieb sehr zeitgebunden scheint, und in der Tat führen Anderegg seine «Streifzüge», wie er das Buch nennt, zur Hauptsache in das 17. und 18. Jahrhundert. Da kommen Namen vor, die man auch als gewöhnlich Sterblicher kennt oder jedenfalls schon gehört hat: Klopstock, Herder und der grösste von allen, Hölderlin, daneben die barocken Vorgänger wie Opitz, Jacob Balde oder die einzige Frau im Dichterolymp, Catharina von Greiffenberg. Pate stehen die antiken lorbeerbekränzten Dichterhelden, Horaz und Pindar.
Andereggs detailreiche und farbig erzählte Darstellung macht klar, dass bei aller Zeitgebundenheit im poetischen Lob zeitlose menschliche Bedürfnisse mitschwingen – und nicht immer nur uneigennützige. Lob und Preis gelten der Natur oder, in der Psalmdichtung, Gott. Gelobt werden die Freunde, die Trunkenheit, die Dichtkunst oder die Schönheit der Geliebten.
Gelobt wird voller Symbolgehalt – so preist der Dichter Barthold Heinrich Brockes die «Berg-Kristallen gleichen Bäche», deren Wasser zugleich die Schifffahrt in seiner Heimatstadt Hamburg ermöglichen und die Wirtschaft ankurbeln. Gepriesen werden mit besonderer Inbrunst auch Fürsten und Könige, die Brotherren der Dichter. Das ist in der Feudalzeit so, und das findet noch bei Bert Brecht seinen Widerhall, wenn er in seinen Theaterstücken das «Lob der Partei» singt oder das «Lob des Kommunismus».
Rühmen heisst retten
Solche Bezüge zur neueren Zeit bringt der Autor allerdings nur zurückhaltend zur Sprache. Im Epilog des Buches sind es Rilkes Sonette an Orpheus und Duineser Elegien, die den Kern des poetischen Lobs noch einmal deutlich machen: Rühmen ist bei Rilke ein Akt der Rettung vor dem «Schwinden», vor dem Verlust beständiger Werte, vor der Vergänglichkeit der Dinge und Menschen überhaupt. Erst was poetisch gerühmt wird, hat eine dauerhafte Existenz.