Literarisch die Ostschweiz erwandern

Christa und Emil Zopfi sind in den Kantonen St.Gallen, Appenzell Ausserrhoden und Innerrhoden auf literarische Wanderungen gegangen. Das Ergebnis liegt jetzt unter dem Titel «Sonnenlüfte atmen» vor. von Richard Butz
Von  Gastbeitrag
Rössli Flawil: Hier kehrten die Soldaten nach der von Niklaus Meienberg recherchierten Erschiessung des Landesverräters Ernst S. am 11. November 1942 ein. (Bilder: pd)

15 mit Literatur verbundene Wanderungen durch die Ostschweiz bieten Christa und Emil Zopfi in ihrem neuen Buch an. Es folgt auf ihr 2014 erschienenes literarisches Wanderbuch Sehnsucht nach den grünen Höhen, welches sich in 17 Kapiteln dem Gebiet zwischen Pfannenstiel, Churfirsten und Tödi gewidmet hat.

Entstanden ist ein gut lesbares, informatives und in literarischer Hinsicht ergiebiges Wanderbuch. Über die literarischen Quellen hinaus liefert es, wie in den Rotpunkt-Wanderführern üblich, übersichtliche Routenskizzen, Variantenvorschläge, nützliche bibliografische Angaben und gut recherchierte praktische Hinweise.

Entdeckungen und Vergessene

Viele Namen, die in diesem Buch auftauchen, mögen bekannt sein. Aber auch
 wer sich für eine Kennerin oder einen Kenner der Ostschweizer Literatur hält, kann Entdeckungen machen. Zu ihnen gehört die 1925 geborene Verena Stark, die in Geflochtene Leben von der Kindheit ihrer Grossmutter im Dorf Ennetbühl und von der Toggenburger Bäderkultur im Rietbad im Tal der Luteren erzählt. Zu den Vergessenen zählt der Toggenburger Theologe und Schriftsteller Niklaus Bolt (1864–1947), der seinerzeit mit Jugendbüchern, etwa mit Franzl im Toggenburg, eine Art «Heidigeschichte», grossen Erfolg hatte.

Christa und Emil Zopfi: Sonnenlüfte atmen. Literarische Wanderungen in der Ostschweiz. Appenzell – St.Gallen – Alpstein. Rotpunktverlag, Zürich 2017, Fr. 42.–

Dass die Zopfis im Toggenburger Teil dem autobiografischen, literarisch
 auf hohem Niveau erzählten Familienroman Die Gottfriedkinder des 1929 geborenen Max Peter Ammann (Rotpunktverlag 2011) viel Raum geben, ist mehr als verdient. Heute kaum noch bekannt ist der Wattwiler Pfarrer Johann Georg Birnstiel (1858–1972), der seine vielfältigen Erfahrungen im 1919 erschienen Buch Aus sieben guten Jahren festhielt.

Löwen Lichtensteig: Hier war Ulrich Bräker – Der arme Mann im Tockenburg – gern zu Gast.

Die Wolfhaldner Posthalterin Catharina Sturzenegger (1854–1929) war mit dem Rotkreuz-Gründer Henry Dunant während seiner Zeit in Heiden befreundet. Sie ging in seinem Auftrag nach Ausbruch des Russisch-Japanischen Kriegs im Jahre 1904 nach Japan und schrieb später ein längst vergriffenes Buch über die Rolle Serbiens im Ersten Weltkrieg. Ebenfalls zu
den Fundstücken gehört die Erinnerung an den Komponisten, Dichter, Journalisten, Sänger und späteren Kurdirektor von Arosa Hans Roelli (1899–1962). Er ist der Verfasser des bekannten Soldatenliedes Die Nacht ist ohne Ende. Seine ungeschminkte, 1941 herausgekommene Selbstdarstellung Hier bin ich spielt in Wildhaus und beschreibt seinen Konflikt mit dem Vater.

Bekannte und Fehlende

Heinrich Federer, Peter Weber, Helen Meier, Robert Walser, Friedrich Glauser, Regina Ullmann, Niklaus Meienberg, Christine Fischer oder Eveline Hasler sind bekannte Namen und tauchen zu Recht unter den gut hundert Autorinnen und Autoren im Buch auf. Nicht leicht verständlich ist hingegen das fast vollständige Fehlen von Lyrik.

Buchpremiere:
 18. Mai, 20 Uhr, Stadtbibliothek Wil

Besonders auffallend wird dies im Kapitel 14, einer von zwei Wanderungen im Säntisgebiet. Hier konzentrieren sich Autorin und Autor auf Bergsteigerberichte und Krimis. So übergehen sie – mit Ausnahme eines einzigen Gedichts – einen literarisch interessanten Aspekt. Denn der «Himalaya der Ostschweiz» (Peter Morger) hat zahlreiche Ostschweizer Dichter literarisch fasziniert, wie Rainer Stöckli in seiner Anthologie Säntis und Alpstein im Gedicht (Edition Isele 2009) eindrücklich dokumentiert hat.

Ochsen Grub: Hier spielt Friedrich Glausers Kriminalroman Krock & Co.

Erwähnung verdient hätte auch 
der Wolfhaldner Peter Eggenberger, der in Kurzenberger Mundart amüsant über Menschen und ihre Schwächen im Appenzeller Vorderland berichtet. Unerwähnt bleibt schliesslich bei der St.Galler Wanderung der 1976 gestorbene, über die Region hinaus bekannte Lyriker und Bohemien Joseph Kopf, obwohl die Route über den Gallusplatz und damit an seinem Wohnort auf dem Damm vorbeiführt.

Trotz diesen Einwänden regt das mit vielen Abbildungen illustrierte Buch an – zu vergnügtem Lesen, zum Weiterlesen und zu von Literatur inspirierten Wanderungen entlang der vorgeschlagenen Routen.

Dieser Beitrag erschien im Maiheft von Saiten.