Leserbrief-Streit um schwulen Regierungsrat

In einem «Tagblatt»-Interview sprach Regierungsrat Martin Klöti über seine Homosexualität. Es hagelte Leserbriefe, aus denen erschreckende Homophobie sprach. Einen Leserbrief eines Klöti-Unterstützers wies das «Tagblatt» zurück: Mit Verweis auf zu rüde Formulierungen – die allerdings zuvor bei Klöti-Kritikern durchgewunken wurden.
Von  Urs-Peter Zwingli

Im Dezember wurde der St.Galler Regierungsrat Martin Klöti zum Präsidenten der Aids-Hilfe Schweiz gewählt. Darauf gab er dem «Tagblatt» ein Interview, in dem er ausführlich über seine Homosexualität sprach: Wie er als junger Mann mit einem älteren Schauspieler zusammen lebte, wie er als schwuler Lehrer im Toggenburg arbeitete, wie er als Regierungsrat mit seinem jüngeren Partner offiziell auftritt.

Klöti sagte auch, dass es in der Schweiz noch immer Aufklärungsbedarf gebe, etwa unter Migranten. Er selber habe in seinem Leben aber nie Negatives erlebt wegen seiner Homosexualität. Man habe ihn «in Ruhe gelassen».

Schlecht maskierte Homophobie

Damit war es nach Erscheinen des Interviews vorbei. Im «Tagblatt» wurden in den vergangenen Wochen mehrere Leserbriefe veröffentlicht, deren Inhalt nachdenklich stimmt.

Es sei ein «Verbrechen, wenn Kinder und Jugendliche in ihrer Identität verunsichert und etwa zu einer vermeintlichen Homosexualität verführt werden», schrieb eine Leserin. Und weiter: Die «allgemein propagierte Gleichwertigkeit der Homosexualität» rechtfertige sich «in keiner Weise». Ein anderer Leser schrieb, Klöti habe sich für den «modischen Schwulentrend in die Propagandamaschine der Homo-Lobby einspannen lassen».

Als wäre die sexuelle Orientierung eine Wahl, die man aufgrund von zeitgeistigen Trends trifft. Ein Irrglaube, der offenbar auch im Jahr 2015 noch verbreitet ist. Wie gefährlich dieser ist, zeigen etwa homophobe Regimes wie Russland, wo Übergriffe auf Homosexuelle zur Normalität geworden sind.

Argumentiert wird in besagten Leserbriefen mit der «Schöpfungsordnung» (Zitat) und Gottes Wille. Zwar liebe Gott alle, auch Homosexuelle, schreibt ein Leser. «Er möchte aber, dass wir uns bekehren.» Der Mensch sei verantwortlich für alles, was er gegen seine «schlechte Neigungen» tun könne.

In den Leserbriefen wird oft noch betont, man finde schon, dass Homosexuelle «in Frieden leben» dürfen und man respektiere Klöti «als Person». Die Leser versuchen so letztlich nur, ihre Homophobie mit dem Feigenblatt der vermeintlichen Toleranz zu maskieren.

Tagblatt weist Pro-Klöti-Brief zurück

Klöti erhielt auch Zuspruch: Er sei ein Vorbild und verdiene Respekt, entgegneten andere Leserbriefe. In die Diskussion in den Leserbrief-Spalten schaltete sich schliesslich auch SP-Kantonsrat Etrit Hasler ein. Auf Facebook postete er vergangene Woche einen Leserbrief, den er ans «Tagblatt» geschickt hatte. Dieses weigerte sich jedoch Ende Woche, den Brief abzudrucken. Auch diese Replik stellte Hasler online.

Grund für die Absage war eine Passage, in der Hasler schrieb, Menschen «die ihre Religion über den Verstand und die Menschenwürde stellen, sind Verbrecher. Das gilt für die Attentäter von Paris wie für die christlichen Fanatiker, die alle Schwulen ‚bekehren‘ oder gar ‚heilen‘ wollen.»

Heikel: Das Wort «Verbrecher», das in der Absage der Redaktion als Grund für die Zurückweisung angeführt wurde, wurde von einer Klöti-Kritikerin ebenfalls gebraucht. Dieser Brief – weiter oben im Text zitiert – wurde Ende Jahr aber abgedruckt.

Redaktion gesteht Fehler ein

Auf Anfrage von Saiten.ch sagt der stellvertretende «Tagblatt»-Chefredaktor Silvan Lüchinger: «Leserbrief-Schreiber als Verbrecher zu bezeichnen, geht zu weit. Das haben wir Etrit Hasler so auch mitgeteilt.» Auf den Widerspruch zum abgedruckten Brief angesprochen sagt Lüchinger: «Der Brief hätte in dieser Form nicht erscheinen dürfen. Wir hätten genauer hinschauen müssen.»

Laut Lüchingers Angaben wurden «mehrere» Briefe von Kritikern gar nicht oder erst abgedruckt, nachdem man diese aufgefordert hatte, ihre Schreiben umzuformulieren. In einer längeren Diskussion auf Twitter schreibt Tagblatt-Chefredaktor Philipp Landmark, man habe dies auch Hasler angeboten.

Die Möglichkeit, seinen Brief anzupassen, wurde Hasler erst angeboten, nachdem er die Geschichte online öffentlich gemacht hatte, wie er sagt: «Ich erhielt zuvor eine kurze, schriftliche Absage.»

Landmark teilt gegenüber Saiten.ch schriftlich mit, er habe Hasler per Mail angeboten, den Text anzupassen. «Dass er den Text schon irgendwo online gestellt hatte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht», schreibt Landmark.

Hasler kritisiert, das «Tagblatt» arbeite mit doppelten Standards: «Je nach Gesinnung der Leserbrief-Schreiber wird das Wort ‚Verbrecher‘ unterschiedlich gewichtet.» Er sehe auch keinen Grund, seine Formulierung zu ändern. «Ich will meine Position nicht verwässern müssen. Wichtiger wäre es mir, dass das Tagblatt aufhört, schwulenfeindliche Leserbriefe abzudrucken und damit indirekt diese Positionen noch in Schutz nimmt.»