Lesben, Schwule und Transsexuelle auf der Flucht

Was geht uns die Gruppe der sogenannten Queer-Menschen unter den Flüchtlingen hier in St.Gallen an? Vieles, wenn wir direkt mit Betroffenen konfrontiert sind. Dies das Fazit einer Veranstaltung von Queer-Amnesty im Solidaritätshaus St.Gallen.
Von  René Hornung

Verfolgung wegen gleichgeschlechtlicher Liebe oder weil eine Person als Transmensch lebt: Das sind – gemessen an der Gesamtzahl der Flüchtlinge – zwar wenige Fälle, aber gerade diese Menschen brauchen einen besonderen Schutz. Sie sind nicht nur in ihrem Heimatland verfolgt, sondern werden auch in den Asylzentren ausgegrenzt. Ausserdem haben sie wenig Chancen, wegen ihrer sexuellen Präferenzen Asyl zu bekommen.

Er habe Angst, dass die anderen Menschen in seiner Unterkunft im Kanton Aargau seine Homosexualität entdecken könnten, sagt der 30-jährige Flüchtling X., der aus Syrien stammt, an der Veranstaltung im St.Galler Solidaritätshaus. Er kam im Zuge seines noch laufenden Asylverfahrens in der Schweiz mit Queer-Anmesty in Kontakt, einer Untergruppe von Amnesty International.

Mehrfach tabuisiertes Thema

Queer-Amnesty und die St.Galler Fachstelle für Aids und Sexualfragen (AHSGA) haben das Treffen organisiert. Der in Zürich lebende Sozialarbeiter Taner Tanyeri berichtet über die besonders schwierige Situation für die Betroffenen. Homo- oder Transsexualität fehlen nämlich als explizite Fluchtgründe im Asylgesetz. Tanyeri kam selbst vor 13 Jahren als Flüchtling aus der Türkei in die Schweiz. Als Mitarbeiter der Gruppe «Focus Refugees» von Queer-Amnesty schildert er, wie die Organisation Betroffenen hilft und sie berät.

Ausserdem finden Gespräche mit den zuständigen Bundesstellen statt, um die Mitarbeiter aufzuklären und zu sensibilisieren. Wenn in den Befragungen den Flüchtlingen gesagt werde, sie sollten halt in eine andere Stadt in ihrem Herkunftsland umziehen und sich dort diskret verhalten, dann sei das eine Haltung, die den Betroffenen nicht helfe. Sie würden auch so weiter verfolgt.

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Schwierig sei die Situation bei den ersten Befragungen in den Asylzentren. Die Flüchtenden stünden oft unter enormem psychischen Druck. Und weil sie im Heimatland in der Regel versteckt leben mussten, können sie nicht gleich bei ihrer ersten Befragung von ihrer abweichenden Sexualität erzählen. Komme dazu, dass oft die Übersetzer mit diesen Situationen überfordert seien. Dies schildert X. auch persönlich: «Bei den Fragen nach Familie oder Freundin habe ich klar gesagt, dass ich auf Männer stehe, und ab dieser Stelle hat der Übersetzer einfach nicht mehr weiter geredet.»

Wenn dann erst bei einer zweiten Befragung das Thema abweichende Sexualität zur Sprache komme, würden die Flüchtenden als nicht glaubwürdig eingestuft. Und so komme es, dass in den letzten fünf Jahren von den 130 von Queer-Amnesty betreuten Flüchtlingen, die sich als lesbisch, schwul oder transsexuell definieren, nur zehn in der Schweiz bleiben dürfen.

Transmenschen als «Freiwild»

Auf die besondere Situation der Transgender-Menschen weist AHSGA-Geschäftsleiterin Myshelle Baeriswyl hin. Diese Menschen müssten sowohl in ihrer Heimat als auch im Fluchtland meist als Sexworkerinnen arbeiten, weil sie sonst nirgends eine Arbeit bekämen. So seien sie «Freiwild». Man wisse weltweit von über 250 Morden an Transfrauen. Ein positiver Asylentscheid sei für diese Menschen noch viel schwieriger zu bekommen, denn oft hätten sie die «falschen», die männlichen, Papiere, und niemand glaube ihnen.

Die Besucher, aber auch die Mitarbeitenden im St.Galler Solidaritätshaus waren von diesen Schilderungen sehr beeindruckt. Bei der Vorbereitung der Veranstaltung waren sie noch etwas skeptisch gewesen. Das Thema gehe doch in St.Gallen niemanden etwas an. Konfrontiert mit den direkt Betroffenen, lautete das Urteil am Ende des Abends deutlich anders.