Leonhardskirche: Die verlorenen Jahre
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In der Leonhardskirche plant der Winterthurer Architekt Giovanni Cerfeda seit zehn Jahren ein Kultur- und Eventzentrum. 2005 kaufte er für die neue Nutzung das zwischen 1885 und 1887 im neogotischen Stil erbaute Gotteshaus von der Evangelischen Kirchgemeinde Centrum. 2007 ist die Kirche von der Musical Company St. Gallen als Aufführungsort für das Musical Sister Act benutzt worden. Im Dezember des gleichen Jahres brannte der Dachstuhl vollständig aus. Anschliessend erfolgte eine umfassende Instandstellung. Einziger Event seither: ein privater Bierbrauer-Silvester.
Unterkellerung ist Voraussetzung
Cerfeda sagt, er habe seine Nutzungsidee den Baubehörden der Stadt St. Gallen vorgestellt, aber damit keine Begeisterung ausgelöst. «Bevor ich die Umnutzung in Angriff nehme, will ich den Kulturplatz St. Gallen weiter abtasten», sagt der Architekt. «In diesem Zusammenhang sind auch entsprechende Marketingmassnahmen geplant.» Das brauche aber alles Zeit.
Die Realisierung eines Kultur- und Eventzentrums bleibe jedoch im Fokus, sagt Cerfeda weiter. «So wie sich die Kirche respektive ihre Umgebung jetzt präsentiert, ist eine vernünftige Nutzung nicht möglich. An der Baute selbst muss nichts verändert werden, aber es braucht für die ganzen Infrastruktureinrichtungen eine Unterkellerung. Zudem ist die Erstellung einer Zufahrt über die Burgstrasse nötig», sagt Cerfeda. Der Architekt ist zuversichtlich. Die baulichen Massnahmen, inklusive Lärmschutzeinrichtungen, seien im Rahmen der geltenden Schutzbestimmungen machbar. Einen Zeitrahmen für die Realisierung seiner Pläne nennt er aber nicht.
«Vor rund drei Jahren hat Cerfeda in einem Vorverfahren die Stadt über seine Pläne für ein Kultur- und Eventzentrum in der Leonhardskirche informiert», sagt Ernst Michel, Leiter der Abteilung für Baubewilligungen bei der Stadt St. Gallen. «Dabei ist er von einer Tiefgarage, einer Einfriedung der Kirche mit einer Mauer und weiteren Bauten auf dem Areal ausgegangen.» Ein solches Projekt sei aber nicht möglich, weil einige Rahmenbedingungen eingehalten werden müssten. Die Kirche und die Häuser in der Nachbarschaft stünden unter Schutz und seien in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen. Es müsse baulich auf vieles Rücksicht genommen werden, erklärt Michel.
Ideen gesucht – in Rorschach und in Ebnat-Kappel
Vom Faktor Zeit bei der Umnutzung einer leerstehenden Kirche geht auch Peter Jehle von der Pfarrei St. Kolumban in Rorschach aus. Dort geht es um die Herz-Jesu-Kirche. «Eine Lösung zu finden und diese auch umzusetzen, wird dauern», sagt er. «Gegenwärtig finden Gespräche zwischen den Vertretern der Kirche, der Denkmalpflege und den lokalen Baubehörden statt. Bisher ist das aber nur Wunschkonzert. Etwas Konkretes zeichnet sich noch nicht ab.» Die Kirchenbürger haben die Umnutzung beschlossen, sind aber gegen den Verkauf des über 100jährigen, renovationsbedürftigen Sakralbaus. Als neue Verwendungen sind der Einbau von Wohnungen, die Einrichtung einer Bank und die Verwendung als Restaurant aufs Tapet gebracht worden.
Ebenfalls neues Leben soll in die evangelische Kirche Kappel in Ebnat-Kappel einziehen. Zu diesem Zweck haben die Kirchbürger dem Verkauf zugestimmt. Diskutiert wird die Einrichtung eines Kulturzentrums. Entschieden ist aber noch nichts.
Es gäbe leuchtende Vorbilder
Das Problem leerstender Kirchen ist auch in der Schweiz angekommen. Im vergangenen August fand an der Universität Bern der Erste Schweizer Kirchenbautag statt und thematisierte die Kirchenumnutzungen. Über 150 Teilnehmende aus den Bereichen Kirche, Denkmalpflege, Städtebau und kommunale Verwaltung – darunter viele Entscheidungsträger – diskutierten über Umnutzungs- und Finanzierungsmodelle. Auf die beiden Landeskirchen bezogen sind derzeit in der Schweiz rund zwei Dutzend Umnutzungen erfolgt.
Darunter gibt es Beispiele mit Vorbildcharakter: Die Offene Kirche Elisabethen in Basel wird ökumenisch geführt und ist sowohl für Gottesdienste als auch für nicht religiöse Anlässe offen. Als Profilkirche mit übergreifenden Angeboten ist sie speziell auf eine städtische Bevölkerung ausgerichtet. Ein weiteres Beispiel ist die Maihofkirche in Luzern, die zum «Quartierzentrum MaiHof» umgebaut worden ist. Sie hat ihren grossen Kirchensaal auch für nichtkirchliche Veranstaltungen geöffnet.
Ebenfalls Vorbildcharakter hat die Kirche Saint-Luc in Lausanne, die in den Quartiertreffpunkt «Maison de Quartier de la Pontaise» umgewandelt worden ist. Grosse Umbauten mussten dafür nicht vorgenommen werden, um Räume für Veranstaltungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene anbieten zu können. Etwas Besonderes ist das Projekt Kloster Wesemlin in Luzern: Die im Kloster eingebauten Wohnstudios bieten klosternahes Wohnen für spirituell Interessierte an.
Umnutzungen können auch scheitern
Auch bei sorgfältiger Vorbereitung können Umnutzungen scheitern. So geschehen mit dem Pilotprojekt Kulturkirche Rosenberg in Winterthur, das am 22. November 2015 von den evangelischen Stimmberechtigten mit rund 54 Prozent abgelehnt worden ist. Dabei ging es um einen Rahmenkredit von 450’000 Franken, um die seit letztem Sommer leerstehende Kirche für neue Aktivitäten zu testen und damit ihre Nutzung in den Fokus eines breiten Publikums zu rücken. Die Gegner hatten kritisiert, dass das Projekt zu elitär und zu kostspielig gewesen sei.
Raumpotenzial an zentraler Stelle
«An einer Kirchenumnutzung ist meistens eine breite Bevölkerungsschicht, weit über die betroffene Kirchgemeinde hinaus, beteiligt», sagt Pfarrerin Sonja Keller von der Reformierten Kirche Zürich Industriequartier. Sie hat ihre Dissertation zum Thema Kirchenumnutzungen geschrieben. «Kirchen bieten vielfach an zentraler Lage ein Raumpotenzial für nicht kommerzielle Nutzungen an. Deshalb ist es wichtig, dass sich an der Realisierung von Umnutzungsidee auch politische Gemeinden, Denkmalpflege und andere öffentliche Institutionen beteiligen.»