, 3. Mai 2024
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Kuscheln mit Rechtsaussen

Die Parteileitung der Jungen SVP Schweiz will sich nicht von Rechtsextremen distanzieren und steht dafür in der Kritik. Auch ein Ostschweizer SVPler pflegt Verbindungen in diese Szene. Seine Partei prüft auf Anfrage einen Ausschluss.

Das Lambda ist der elfte Buchstabe des griechischen Alphabets und Teil des Logos der Identitären Bewegung. (Montage: co)

Sarah Regez, die Strategiechefin der Jungen SVP Schweiz, geriet kürzlich in die Kritik aufgrund ihrer Verbindungen zu rechtsextremen Kreisen. Der «Blick» deckte auf, dass die Baselbieter Politikerin an einem Geheimtreffen mit Martin Sellner von der Identitären Bewegung (IB) teilgenommen hatte, organisiert von der als rechtsextrem eingestuften Jungen Tat. Sellner, das ist der mit dem Remigrations-Fetisch. Der Österreicher war Anfang Jahr in den Schlagzeilen, nachdem das Recherche-Kollektiv «Correctiv» über ein Treffen von hochrangigen AFD-Mitgliedern, Neonazis und Sellner berichtet hatte. Selbst CDU-Mitglieder waren dabei.

Auch in der Schweiz weisen Aktivist:innen und Journalist:innen schon seit Jahren auf Verbindungen von SVP-Mitgliedern zu neurechten und rechtsextremen Kreisen hin, doch sie werden zu wenig ernstgenommen. Man empört sich kurz, tut die Verbindungen aber meist als «Einzelfälle» ab.

Als im letzten Jahr bekannt wurde, dass Einzelfall Maria Wegelin, die Präsidentin der SVP Winterthur, Kontakte zur Jungen Tat pflegt, musste sie zurücktreten. Auch im Fall Regez war die Empörung gross oder zumindest medienwirksam. Sechs Kantonalsektionen der Jungen SVP distanzierten sich umgehend von rechtsextremistischen Inhalten und forderten Regez sowie Präsident Nils Fiechter und die übrige Parteileitung auf, es ihnen gleichzutun. Was nicht passierte.

Laut «NZZ am Sonntag» wird JSVP-intern schon seit längerem darüber gestritten, ob man sich gegen Rechtsaussen abgrenzen soll. Die Leitung der Jungpartei ist offenbar auf Kuschelkurs mit den Extremen. In ihrer Funktion gehöre es dazu, sich verschiedene «Meinungen» anzuhören, sagte Regez in einem TikTok-Statement nach Bekanntwerden ihres Treffens mit Sellner. Auch ihr Partner und Parteipräsident Fiechter, der bereits einmal wegen Rassendiskriminierung verurteilt wurde, hält nichts von einer Abgrenzung gegen Rechtsaussen. Er versuchte aufmuckende Jungpartei-Sektionen kurzerhand mit einem Maulkorb zum Schweigen zu bringen.

Die JSVP des Kantons St.Gallen hat es nach dem Fall Regez ebenfalls für unnötig gehalten, sich zu distanzieren. Anders die JSVP Säntis. Man sei zutiefst besorgt von den publik gewordenen Ereignissen um Regez, vermeldet sie am 2. April. Man stehe für eine Politik, die sich am Rechtsstaat, an Demokratie und am festgeschriebenen Parteiprogramm orientiere. «Ausserdem verzichten wir konsequent auf Begrifflichkeiten, die von extremistischen Gruppierungen (wie bspw. Remigration oder Bevölkerungsaustausch) verwendet werden, da diese eindeutig gefärbt sind und in ihrer wahrgenommenen Bedeutung nicht neu definiert werden können.»

Sünneli-Streule und das «verschwiegene Geschäft»

Mitglied der JSVP Säntis ist auch der in der Eggersrieter Höhe aufgewachsene Jonas Streule, Jahrgang 1993. Der Jurist und Inhaber der Kommunikationsagentur Sünneli GmbH wollte 2023 für die SVP in den Eggersrieter Gemeinderat und hat dieses Jahr auch für den Kantonsrat kandidiert. Aber eigentlich agiert er wohl lieber neben statt auf dem Politparkett. «Ich mag das politische Hintergrund-Geschäft, weil es ein verschwiegenes ist», schreibt Streule auf der Website der Sünneli GmbH. Und: «Ich sehe mich als politischen Söldner.»

Möchtegern-Spindoctor Streule pflegt mutmasslich gute Kontakte zu ebendieser extremen Szene, von der sich seine Parteifreunde von der Sektion Säntis so eifrig distanzieren. Dass Streule der Identitären Bewegung durchaus einiges abgewinnen kann, hat er bereits 2019 klargemacht. In einem Debatten-Beitrag des HSG-Studimagazins «Prisma» verharmloste er die Positionen der IB als Beitrag zur gelebten Meinungsfreiheit und solidarisierte sich mit ihren angeblichen Werten namens «Heimat, Freiheit, Tradition».

Öffentlich sind keine gemeinsamen Bilder von Streule und IB-Exponent:innen zu finden. Es ist dennoch davon auszugehen, dass er entsprechende Kontakte pflegt.

Im März sollte IB-Posterboy Martin Sellner an einer Veranstaltung der Jungen Tat im Aargau reden. Er wurde jedoch aufgrund eines Einreiseverbots verhaftet und konnte nicht auftreten. Mit an dieser Veranstaltung war auch Nicolas Rimoldi, Gründer von Mass-Voll, der sich in den letzten Jahren zunehmend mit Rechtsextremen vernetzt hat. Unter anderem nahm er letzten Sommer mit Rechtsextremen aus ganz Europa an der «Remigrationsdemo» der Identitären Bewegung in Wien teil und hielt dort eine Rede. Tags darauf besuchte er Hitlers Geburtsort Braunau am Inn.

All das teilte Rimoldi in den Sozialen Medien. Und er postete auch ein Video vom Rande jener JT-Veranstaltung im Aargau, an der Sellner hätte sprechen sollen. Im Hintergrund zu sehen: Jonas Streule.

Das ist nicht die einzige Verbindung von Streule zum Umfeld der neuen Rechten. Im vergangenen Oktober hat er sich in seinem Podcast «Super8» mit der Jungen Tat solidarisiert bzw. sich gegen eine Distanzierung von dieser Gruppierung ausgesprochen. Saiten liegen zudem Bilder von Streule und Rimoldi im vertrauten Gespräch mit Tobias Lingg vor, dem Anführer der Jungen Tat, an einer Demo in Sissach letztes Jahr.

Auch bei einer hitzigen Infoveranstaltung in Ebnat-Kappel zur geplanten Asylunterkunft im August 2023 waren Lingg und weitere Mitglieder der Jungen Tat anwesend, wie Fotos zeigen. An vorderster Front gegen die Asylunterkunft kämpfte der eigens dafür ins Leben gerufene «Bürgerbund Säntis» – gegründet von Jonas Streule, Lukas Reimann und Vivienne Huber.

Mit Huber von der SVP Muri war Streule auch an der St.Gallen Pride letzten Sommer im St.Leonhardspark auf der Pirsch. Sie filmten das bunte Geschehen und führten diverse Interviews, ohne sich zu erkennen zu geben. Aus diesem Material fabrizierten sie ein Propagandavideo, in dem sie die Pride und ihre Besucher:innen als «komplett krank» und «dekadent» verhöhnten. Auf seiner Sünneli-Webseite brüstet sich Streule mit dieser Aktion. Sie bildet zusammen mit dem «Bürgerbund Säntis» seine Referenzliste.

Mit der Kamera unterwegs war er auch an der St.Galler Palästina-Demo im vergangenen Oktober. Dieses Mal bestand seine Entourage allerdings aus Mitgliedern von Helvetia Invicta. Diese junge und relativ kleine rechtsextreme Gruppierung aus der Region St.Gallen nannte sich früher Alpha Squad und wurde kürzlich auf der Plattform «Barrikade» gedoxt, mit Grüssen von der «Antifaschistischen Aktion St.Gallen». Helvetia Invicta posiert in den Sozialen Medien gerne vermummt mit Messern und Äxten. Die halbwüchsigen Boys feiern Rechtsterroristen, folgen einschlägigen Neonazi-Gruppierungen und suchen die Aufmerksamkeit vom rechten Rand.

Streule hält nichts von «Distanzeritis» – seine Partei schon

Warum ist Jonas Streule mit Mitgliedern von Helvetia Invicta unterwegs? Wie eng sind seine Kontakte zu Tobias Lingg und der Jungen Tat? Was verbindet ihn mit Nicolas Rimoldi und Mass-Voll? Und wie steht Streule zu Martin Sellner und der Identitären Bewegung?

Seine Antwort auf diese und weitere Fragen ist dürftig. «Ich rede mit allen», schreibt er auf Anfrage. «Ich besuche regelmässig Demonstrationen in der ganzen Schweiz und produziere dazu Video- und Textmaterial mit politischem Inhalt für Dritte.» Er lehne diese «Distanzeritis» grundsätzlich ab, lässt er abschliessend noch wissen. Sie überdecke die Sachpolitik.

Mit allen reden – der Rückgriff auf diese ominöse «Meinungsfreiheit», wie ihn auch Regez, Sellner und andere pflegen, gehört zum Einmaleins der rechtspopulistischen Diskursstrategien. Sie fungiert letztlich als Deckmantel für rassistische, sexistische und faschistische Äusserungen. Eine Distanzierung sieht anders aus. Was sagen Streules Parteikollegen dazu?

Nachfrage bei Max Slongo, Präsident der Jungen SVP Säntis: Wie passt es zusammen, dass sich seine Sektion von «extremistischen Begrifflichkeiten» distanziert, Streule sich aber mit Personen umgibt, die genau diese Begrifflichkeiten verbreiten? Ist sich die Parteileitung überhaupt bewusst, dass Streule solche Kontakte pflegt? Und: Hat das Konsequenzen?

Man habe Streules Verbindungen «durchaus schon länger auf dem Schirm», sagt Slongo am Telefon. «Wir haben bereits das Gespräch mit ihm gesucht.» Er betont, dass die JSVP Säntis «eine klare Linie gegen Rechtsextremismus» verfolge. «Das ist nicht verhandelbar.» Falls sich die Vorwürfe erhärten, müsse man einen Parteiausschluss in Betracht ziehen. Zuerst wolle man aber erneut das Gespräch mit Streule suchen.

Ähnlich tönt es bei der Mutterpartei des Kantons St.Gallen, für die Streule dieses Jahr auf der Kantonsratsliste stand: «Die SVP des Kantons St.Gallen distanziert sich in jeder Form von extremistischen Gruppierungen und deren Gedankengut», schreibt Kantonalpräsident Walter Gartmann auf Anfrage. Jonas Streule habe in der Kantonalpartei keinerlei Funktionen inne. Sollten sich die Hinweise erhärten, müsse man in Zusammenarbeit mit der zuständigen Kreispartei einen Parteiausschluss prüfen. «Die SVP des Kantons St.Gallen hat in ähnlichen Fällen bereits mehrfach eine harte Linie bewiesen, wenn es um Mitglieder mit einer Nähe zu extremistischen Gruppierungen geht.»

 

Mitarbeit: Lotta Maier und Aktivist:innen des Kollektivs Recherche Ost.

3 Kommentare zu Kuscheln mit Rechtsaussen

  • smirt sagt:

    So wichtig es ist, diese Tendenzen aufzuzeigen, müsste die Frage nach den Ursachen dafür aber auch immer mitgestellt werden:
    Was für gesellschaftliche Bedingungen liegen vor, dass sich solche Ideologien entwickeln? Bzw. was verdrängt, vertuscht, übersieht die Politik/der mainstream, dass solche Gruppierungen Zulauf bekommen? Jedes Virus braucht ein Milieu…daran können und müssen wir arbeiten. Einzelpersonen zu verurteilen greift zu kurz.
    Stark vereinfacht gesagt vermute ich zu viele perspektivlose und verängstigte junge Männer in einer an Komplexität kaum noch durch- bzw. überschaubaren Welt.
    …nicht ganz einfach also.

  • Corinne Riedener sagt:

    Darüber, warum es diese Tendenzen gibt, haben ganz viele ganz kluge Menschen Bücher geschrieben. In diesem Text ging es um etwas anderes.
    Und einfach damits wiedermal gesagt ist: Die Umstände sind NIE eine Entschuldigung für faschistisches Denken.

  • smirt sagt:

    Danke für die Antwort.
    Ja warum ging es denn eigentlich in diesem Text bzw. was war die Motivation dahinter?
    Mir ging es nicht um ein Entschuldigen. Ich wollte darauf Hinweisen, dass nichts ohne Grund geschieht. Das Gesetz von Ursache und Wirkung ist wohl eines der universellsten, damit das auch wiedermal gesagt ist 😉
    peace

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